Mahle in Gaildorf wird schließen

Die Konzernleitung will den Beschluss bis spätestens Anfang 2024 umsetzen. 289 Mitarbeiter wären betroffen. Keine Investitionen vor Ort, Produktion in Billiglohnländern und gierige Gesellschafter sieht der Betriebsrat als Gründe für die Entwicklung.

Die IG Metall hatte zu einer Kundgebung bei Mahle Gaildorf aufgerufen. Am Ende fiel die Aktion anders aus als geplant. Symbolfoto: Caroline Seidel

© Caroline Seidel

Die IG Metall hatte zu einer Kundgebung bei Mahle Gaildorf aufgerufen. Am Ende fiel die Aktion anders aus als geplant. Symbolfoto: Caroline Seidel

Von Richard Färber

GAILDORF. Die Aktion fiel anders aus als geplant. Wegen der virtuellen Funktionärskonferenz, die jüngst in ganz Baden-Württemberg stattfand, hatte die IG Metall zu einer Kundgebung bei Mahle Gaildorf aufgerufen. Im Lauf des Vormittags wurde dann bekannt, dass die Konzernleitung kurzfristig eine Belegschaftsversammlung einberufen hatte.

„Kein gutes Zeichen“, sagte Uwe Bauer, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall, als er die Information telefonisch weitergab. Wenige Minuten später erklärte Mahle per Pressemitteilung, dass die Schließung der deutschen Werke in Gaildorf und Freiberg geplant sei. Die strategische Umstrukturierung mache diesen Schnitt notwendig. In Gaildorf allein wären 289 Mitarbeiter betroffen.

Um 13.30 Uhr versammelten sich die Mitarbeiter vor dem Werktor. Statt um die Verhinderung von Stellenabbau, den Erhalt von Arbeitsplätzen und die Standortsicherung geht es jetzt allerdings ans Eingemachte.

2023 soll Schluss sein, hat der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Muhsin Aygüzel erfahren – spätestens 2024, wird es später heißen. Man werde alle Register ziehen, kündigt Aygüzel an: „Wir kämpfen für jeden Arbeitsplatz, für jeden einzelnen Kollegen“. Das Ziel sei, den Standort Gaildorf mindestens bis 2030 zu halten. Der Betriebsratsvorsitzende Martin Maaß ist um diese Zeit noch unterwegs. Er war vormittags beim Gesamtbetriebsrat in Stuttgart, wo die Schließung bekannt gegeben wurde. Die zuletzt etwa 150 Beschäftigten warten vor den Toren auf die Vertreter der Geschäftsführung, formieren sich zu einer Menschenkette entlang der Straße. Immer wieder fordert Bauer sie auf, Sicherheitsabstände einzuhalten und die Gesichtsmasken nicht zu vergessen. Zwei Fernsehteams sind da, filmen und führen Interviews.

Keine Investitionen vor Ort, Produktion in Billiglohnländern, gierige Gesellschafter – das, sagt Aygüzel, seien die wahren Gründe für die Entscheidung. „Mahle Gaildorf ist profitabel“, sagt Uwe Bauer, „hier kann Geld verdient werden.“ Die Lkw-Sparte sei weniger von der Transformation betroffen als andere Teile des Konzerns. Dass das Traditionsunternehmen, das heuer 100 Jahre alt wird, erst Kurzarbeitergeld kassiert habe und dann die Leute rausschmeißen wolle, finde er „fast kriminell“.

Die Kurzarbeit sei nach einem zweiwöchigen, coronabedingten Lockdown eingeführt worden, bestätigt Aygüzel. Anfangs wurden die Arbeitszeiten auf 70 Prozent reduziert, mittlerweile liege man bei 90 Prozent. Das zeige, „dass wir gut ausgelastet sind“. Georg Dietz von der Konzernleitung, Arbeitsdirektorin Anke Felder und weitere Vertreter der Konzernleitung nutzen die Hintertür, um aufs Gelände zu kommen. „Dort stehen die Bodyguards und passen aufs Auto auf“, sagt ein Mahle-Mitarbeiter und deutet auf einige kräftige Jungs, die das Geschehen aus der Ferne beobachten. Das Tor selbst wird durch einen Lkw blockiert, von der Ladefläche aus sollen die Mitarbeiter informiert werden.

Bauer versucht, die Geschäftsführung nach draußen zu zwingen, fordert die Mitarbeiter auf, vor dem Tor zu bleiben. Wer stempeln muss, soll danach wieder rauskommen. Gegen 14.15 Uhr trifft auch Maaß ein. Der Lkw wird weggefahren, die Mitarbeiter betreten das Gelände, die Presse muss draußen bleiben. Ein paar Wörter weht der Wind nach draußen: „Auftragsvolumen“, „Rentabilität“, „reicht nicht“, „gute Belegschaft“, „immer mitgezogen“. Auch Bürgermeister Frank Zimmermann erscheint. Er sei um 13.15 Uhr von Werkleiter Albert Bost informiert worden, sagt er. Nach all den recht optimistisch verlaufenen Gesprächen der letzten Jahre sei das dann doch überraschend gekommen. Kurz vor Ausbruch der Coronapandemie sei ihm noch versichert worden, dass der Betrieb mindestens bis 2025 Bestand haben werde. Die angekündigte Schließung eines Betriebs mit jahrzehntelanger Tradition, der Verlust von fast 300 zum Teil hoch qualifizierten Arbeitskräften sei ein herber Schlag für die Gaildorfer Bevölkerung, betont Zimmermann. Er hoffe, dass sich die zuständigen Akteure noch einmal überlegen, „ob es richtig ist, all dieses fachliche Know-how einfach so von dannen ziehen zu lassen“.

Martin Maaß befürchtet genau das. Bisher sei es noch nicht vorgekommen, dass solche Beschlüsse der Konzernleitung gedreht werden konnten, sagt er. Gleichwohl: „Wir werden das so nicht hinnehmen!“ Die Mitarbeiter seien produktiv, kreativ und dem Werk verbunden, sagt Bauer. Und sie hätten auch Produkte entwickelt, die zukunftsfähig seien und sich verkaufen. Allerdings habe man auch gehört, dass Mahle Ventiltrieb mittlerweile gar keine Aufträge mehr annehmen dürfe. Hätte man mehr Zeit, könnte man den Standort sozial verträglich runterfahren, sagt Maaß. In dem jetzt angegebenen Zeitraum aber sei das ein Ding der Unmöglichkeit. Für heute wird er eine Betriebsversammlung einberufen. Und Bauer kündigt weitere Maßnahmen an: „Wir werden den Arbeitgebern das Leben schwer machen.“

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Erstellt:
30. September 2020, 11:30 Uhr

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