„Man muss auf seinen Köper hören“
Rund 1300 Angemeldete sind beim „Megamarsch Stuttgart“ gestartet. Sie hatten 24 Stunden Zeit für die Wanderstrecke von 100 Kilometern.
Von Uli Meyer
Stuttgart - Noch mal Sonnencreme aufgetragen, die Schnürsenkel der Schuhe ein letztes Mal festgezurrt, den Rucksack überprüft, noch ein Gruppenfoto oder vielleicht doch noch einmal auf die Toilette. Wie nervöse Pferde vor einem Rennen vertreiben sich viele der Teilnehmenden die letzten Minuten vor dem Start. Auf dem großen Platz im Römerkastell herrscht reges Treiben.
Rund 1300 Starterinnen und Starter haben sich zur siebten Auflage des „Megamarsch Stuttgart“ angemeldet. Pünktlich zur Mittagsstunde wird bei Sommerwetter die erste Gruppe auf die Strecke gelassen, im Fünf-Minuten-Abstand folgen die nächsten Kleingruppen, bis gegen 13 Uhr wirklich alle ihr Wochenendabenteuer angetreten haben.
24 Stunden bleiben jedem und jeder Zeit, die vorgegebene 100-Kilometer-Strecke abzuwandern und dann wieder im Römerkastell den Zielstrich zu überqueren. „Bis auf den Zielbereich, der voriges Jahr noch unten im Neckarpark war, ist die Strecke praktisch die gleiche“, sagt Jone Heilmann vom Veranstalter Hundert24 GmbH. Die Firma mit Sitz in Mönchengladbach tourt seit 2016 mit ihren Megamärschen für jedermann durchs Land. 19 Events sind es in Deutschland.
„Stuttgart ist aufgrund seiner Topografie der wahrscheinlich anspruchsvollste Marsch, den wir anbieten“, sagt Heilmann über das hügelige Auf und Ab in der Landeshauptstadt. Bei dem Weg runter ins Stadtzentrum, über den Killesberg, nach Botnang, Möhringen, Scharnhausen und Denkendorf, runter bis Esslingen und dann wieder hoch bis zum Kappelberg und über Fellbach, Steinhaldenfeld und Münster zurück ins Römerkastell haben die Wanderinnen und Wanderer über 1600 Höhenmeter zurückzulegen. Alle 20 Kilometer ist eine Verpflegungsstation eingerichtet.
„Du musst einen Schaden haben, da mitzumachen“, sagt Conny und lacht über sich selbst. Die junge Frau aus Erdmannhausen hat den Stuttgarter Megamarsch schon zwei Mal bestritten. Sie zählt zu den rund 60 Prozent der sogenannten Finisher, also jene Gruppe, die die Strapaze bis zum Ende durchgehalten hat und innerhalb der vorgegebenen Zeit ins Ziel gekommen ist, wo eine Urkunde, eine Medaille und ein alkoholfreies Bier als Belohnung warten.
„Zwischen Kilometer 60 und 70 war es schlimm. Aber wenn man diesen Tiefpunkt mal durchgestanden hat, dann macht einem der Rest nichts mehr aus. Dann läuft man nur noch, ohne an Schmerzen zu denken“, erinnert sie sich an ihr Debüt. Ihr Laufpartner Stefan aus Vaihingen/Enz sieht die Aufgabe als „aktives Antiaging“, und für Madleen aus Leonberg, die Dritte aus dieser kleinen Gemeinschaft von Mitdreißigern, steht Aufgeben nicht zur Debatte: „Plan B ist, den Plan A durchzuziehen.“ Das Trio erinnert sich noch genau an das Ankommen im vorigen Jahr: „Man ist nach durchgewanderter Nacht eigentlich völlig kaputt und im Ziel dann heilfroh, dass es vorbei ist. Man will sich so etwas eigentlich nie wieder antun, aber schon nach einer Stunde Erholung haben wir uns für 2025 wieder angemeldet.“
„Wir haben einen Motor dabei, der uns hoffentlich erfolgreich über die Strecken bringt“, sagen Günter Riedinger (57) und seine Bekannte Julia Feist (56). Dieser Motor, der die beiden Megamarsch-Debütanten aus Gerlingen und Hannover ins Ziel bringen soll, ist freilich aus Fleisch und Blut. Bahman Ghaffari hat in München die 100-Kilometer-Distanz in 24 Stunden schon zwei Mal erfolgreich absolviert. Wenngleich der 66 Jahre alte „Motor“ dafür selber Hilfe benötigte. Ghaffari ist blind und hat in Yvonne Zimmermann von der gemeinnützigen Organisation Achilles International Germany eine geschulte Begleiterin.
„Man muss auf seinen Körper hören. Letztendlich ist es vor allem eine Kopfsache“, sagt Yvonne Zimmermann. Erst wenn der Gute-Laune-Mann Bahmann Ghaffari mal die Unterhaltung einstellt, werde es hart, sagt seine Begleiterin mit einem Lachen im Gesicht. „Also ab Kilometer 85.“