Reaktionen auf unser Interview
Manfred Lucha trifft auf Zuspruch und vehementen Widerspruch
Der Frontalangriff des baden-württembergischen Landessozialministers auf die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen bleibt heiß umstritten.

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Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) hat mit seinem Interview eine rege Debatte ausgelöst.
Von Norbert Wallet
Im Gespräch mit unserer Redaktion hatte Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen, scharf attackiert und sogar seine Abschaffung nahegelegt. Hintergrund ist der Streit um Mindestmengen bei der Versorgung von extrem untergewichtigen Frühgeburten. Der Ausschuss hatte entschieden, dass Kinderkliniken jährlich mindestens 25 unreife Frühgeborene (unter 1250 Gramm) behandeln müssen, um deren Versorgung anbieten zu dürfen. Dagegen hat Baden-Württemberg mit zwei anderen Bundesländern vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt.
Dahmen widerspricht Lucha eindeutig
Lucha bekommt nun auch aus seiner eigenen Partei Gegenwind. „Alle Fachgesellschaften und auch die Elternvertretungen wissen: Erfahrung rettet Leben. Wo Teams regelmäßiger Frühchen versorgen, sinkt das Sterberisiko deutlich – jedes Kind zählt“, sagt Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Er verurteilt die Klage scharf: „Die Klage von drei Ländern blendet diese Realität aus und macht aus den Schwächsten Geiseln einer politischen Standortdebatte“, sagte er unserer Redaktion.
Unterstützung für Lucha durch die Kinderärzte
Vier geburtsmedizinische Fachverbände hatten die Klage massiv kritisiert. Nun aber kommt Zuspruch aus der Fachwelt. In einem Brief an den Minister, der unserer Redaktion vorliegt, begrüßt der Verband der leitenden Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands (VLKKD) „ausdrücklich die Initiative Ihres Ministeriums“. Der Verband hält die Erhöhung der Mindestmengen von 14 auf 25 für „sachlich nicht begründet“. Vielmehr erwartet der VLKKD, dass sich dadurch „auch in Baden-Württemberg die derzeit gute flächendeckende Versorgung der zahlenmäßig weitaus größeren Zahl an kranken Neugeborenen mit einem Geburtsgewicht über 1250g verschlechtern“ werde.
Dahmen allerdings kritisiert nicht nur die Verfassungsklage, sondern auch Luchas Generalangriff auf die Institution des GBA, den Lucha durch politische Entscheidungen ersetzen möchte. „Wer den GBA pauschal angreift, stellt auch eines der wichtigsten Schutzschilde der Patientensicherheit in Frage“, sagte Dahmen. Das Gremium sei „das unabhängige Herzstück einer evidenzbasierten Gesundheitsversorgung“. Dahmen warnt vor der Alternative, nämlich die Übernahme der Entscheidungen durch die Politik: „Überlebenschancen von Frühchen oder Krebspatienten würden davon abhängen, welche politische Großwetterlage gerade irgendwo im Land herrscht. Das wäre politische Willkür – und genau davor schützt uns der GBA.“
SPD nennt Luchas Vorstoß „völlig verfehlt“
Ganz so rigoros formuliert nicht einmal die Linkspartei. Deren Gesundheitsexperte Ates Gürpinar teilt Luchas „konkrete Kritik zur Zusammensetzung des GBA“. Dennoch ist er gegenüber Luchas Konzept sehr skeptisch. „Es hinterlässt ein Geschmäckle, dass man die Befugnisse direkt selbst übernehmen will, wenn man mit Entscheidungen nicht einverstanden ist.“ Die von Lucha beklagte Selbstblockade des GBA will er dadurch lösen, dass „die drei unabhängigen Mitglieder künftig aus den Reihen der Patientenvertretung“ besetzt würden.
In den Regierungsfraktionen findet sich nach Recherchen unserer Redaktion keine Mehrheit für eine Abschaffung des GBA. Christos Pantazis, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, nennt den Vorstoß „völlig verfehlt“. Die Abschaffung wäre „ein Rückschritt“. Pantazis weiter: „Wer den GBA infrage stellt, legt die Axt an die Selbstverwaltung.“ Nur so weit stimmt er Lucha zu: Das Gremium müsse „effizienter, transparenter und schneller“ gemacht werden.
Auch Simone Borchardt (CDU), gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, hält eine Abschaffung für falsch. Aber auch sie hält die Arbeitsweise des Gremiums für „in Teilen reformbedürftig“.