Stefan Weidner: Yoga

Mehr als Sonnengruß und herabschauender Hund

Stefan Weidner hat ein Buch über die Geschichte des Yoga geschrieben – und überrascht die Leser mit einer Reise durch 1000 Jahre ost-westlicher Geistesgeschichte.

Yoga hat seine Wurzeln in Indien und ist dort in seiner modernen Form auch heute eine Massenbewegung..

© IMAGO/Akila Jayawardena

Yoga hat seine Wurzeln in Indien und ist dort in seiner modernen Form auch heute eine Massenbewegung..

Von Lukas Jenkner

Wer sich mit Yoga mehr als über die üblichen Entspannungs- und Körperübungen hinaus beschäftigt, stellt schnell fest, dass das aus Indien importierte Wissen wesentlich mehr umfasst. Wie viel, ist im jüngst erschienenen Buch „Yoga oder Die sanfte Eroberung des Westens durch den Ostern“ von Stefan Weidner nachzulesen. Der Islamwissenschaftler und Übersetzer spannt den weiten Bogen von den antiken Überlieferungen über islamische Gelehrte bis hin zu den modernen Yoga-Studios in der westlichen Welt – eine Reise durch die ost-westliche Geistesgeschichte, die bisweilen einen langen Atem braucht, aber eine lohnende Lektüre bleibt, an deren Ende sich der Leser eher Gedanken über das Ende der westlichen Vorherrschaft im globalen Kontext und weniger über die richtige Fußstellung in der Rückbeuge macht.

Und das aus gutem Grund: Yoga gilt als eine der sechs klassischen Denkschulen der indischen Philosophie, deren Wurzeln bis weit in die Antike zurückreichen (also auch weiter als das Christentum), aus der sie mittels Abschriften und Übersetzungen von islamischen Gelehrten im (westlichen) Mittelalter bis in die Moderne hinübergerettet und zugänglich gemacht wurden. Das schildert Weidner bisweilen als anschauliche Wissenschaftsgeschichte, wenn sich etwa der Islamwissenschaftler Louis Massignon im Jahre 1912 in einer Istanbuler Bibliothek durch 433 vergilbte, vom Wurmfraß durchlöcherte Papiere wühlt und die Yoga-Sutren des Patanjali entdeckt, die heute als eine der zentralen Schriften im modernen Yoga gilt.

Eine Alternativgeschichte des Denkens

Dann wieder braucht es viel Liebe zum philosophischen Detail, wenn Weidner den Weg der indischen Philosophie von ihren Wurzeln über den islamischen Mystizismus bis hin zu den Denkwelten eines Artur Schopenhauers nachzeichnet. Dabei verdeutlicht sich immer weiter, was Weidners Buch eigentlich ist: Eine Alternativgeschichte des Denkens, in der Philosophen und Gelehrte zu Wort kommen, die es im vor allem durch technische Errungenschaften befeuerten globalen Siegeszug des Westens nicht immer leicht hatten, mit ihren Ideen durchzudringen und heute als Sonderlinge gelten oder gar vergessen sind.

Dazu zählt zum Beispiel der indische Gelehrte Swami Vivekananda, der mit einem fulminanten Auftritt beim Weltparlament der Religionen zur Weltausstellung in Chicago 1893 dem Yoga in den USA zu einem ersten Durchbruch verhalf, ein Impuls, der bis in die heutige Zeit fortwirkt.

Weidner lässt aber auch umstrittene Persönlichkeiten wie Helena Blavatsky zu Wort kommen, nicht ohne den Hinweis, dass sein Buch an diesem Punkt das „Dunkelfeld“ seiner Materie betrete. Blavatsky stehe nämlich nicht nur für die Gründung der universal denkenden Theosophischen Gesellschaft, sondern auch für „irritierende Rassetheorien“ und esoterische Experimente, die Grenze zur Scharlatanerie überschritten. Der Weg des Yoga vom Osten in den Westen ist eben verschlungen und vielgestaltig, und häufig sind die Protagonisten nicht frei von Fehleinschätzungen und persönlichen Motiven.

Neue Perspektiven über den westlichen Blick auf die Welt hinaus

Wer Weidners Yoga-Geschichte liest, versteht, dass die Weisheits- und Körperlehre in ihrer heutigen Form eine moderne Erfindung des 20. Jahrhunderts ist und auch dem indischen „Nation Building“ zu verdanken ist. Er gewinnt neue Perspektiven, die über den westlichen Blick auf den Rest der Welt hinausreichen, und begreift, dass aktuelle Strömungen wie die Dekolonialisierung mehr als berechtigt sind; jetzt, wo sich die negativen Folgen des vermeintlichen globalen Siegeszugs des Westens zeigen in Gestalt eines entfesselten neoliberalen Kapitalismus, weltweiter Ausbeutung von Ressourcen, des Klimawandels und neuer Migrationsbewegungen, an deren Ende womöglich wirklich steht, was Weidner unter den Titel seines Buchs geschrieben hat: „Die sanfte Eroberung des Westens durch den Osten“.

Stefan Weidner: Yoga oder Die sanfte Eroberung des Westens durch den Osten. Carl Hanser Verlag München 2025. 416 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 30 Euro.

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Erstellt:
3. Dezember 2025, 13:30 Uhr

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