Europa und der Klimawandel
Mehr Flexibilität im Klimaschutz
Die Länder der Europäischen Union bekommen nach dem Willen von Brüssel mehr Spielraum, um die Klima-Vorgaben zu erfüllen.

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Ursula von der Leyen will, dass Europa bis zum Jahr 2050 klimaneutral ist. Doch der Weg zu diesem Ziel ist lang und kompliziert.
Von Knut Krohn
Das heiße Tropenwetter passt zur richtungsweisenden Entscheidung. Am Mittwoch zeigte das Thermometer über 30 Grad im ansonsten eher verregneten Brüssel, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Klimaziele bis zum Jahr 2040 vorstellte. Im Kampf gegen den Klimawandel will die Kommission die Treibhausgasemissionen in Europa bis 2040 um 90 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 senken. Allerdings wird den EU-Staaten ein Schlupfloch gelassen: einen Teil ihrer Emissionen können sie über CO2-Zertifikate aus dem Ausland anrechnen.
Das Ziel bleibt die Klimaneutralität
Ursula von der Leyen versicherte, dass die Union an ihrem übergeordneten Ziel festhalte, bis 2050 klimaneutral zu sein. „Da die europäischen Bürger zunehmend die Auswirkungen des Klimawandels spüren, erwarten sie, dass Europa handelt“, erklärte sie bei der Präsentation. Der Vorschlag ist nun Diskussionsgrundlage für das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten, die dem Ziel noch zustimmen müssen.
Die deutsche Industrie beurteilt die angepeilten Klimaziele höchst zurückhaltend. Die seien „deutlich zu hoch gegriffen“ und „nicht realistisch“, erklärte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Achim Dercks, am Mittwoch. Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, sprach von einem „hochambitionierten“ Ziel und fordert „mehr Flexibilisierung“.
Umstrittener Handel mit CO2-Zertifikaten
Zu dieser Flexibilisierung beitragen soll der angekündigte Handel mit CO2-Zertifikaten aus dem Ausland, der von den Industrievertretern einhellig begrüßt wird – allerdings geht es ihnen nicht weit genug. „Der Spielraum in Höhe von drei Prozentpunkten, den die Mitgliedsstaaten durch internationale Klimaschutzvereinbarungen erhalten, ist vor diesem Hintergrund sinnvoll, aber nicht ausreichend“, betonte Achim Dercks am Mittwoch. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass die EU-Staaten ab 2036 in begrenztem Umfang Klimaschutzprojekte in Drittstaaten auf ihre Klimabilanz anrechnen dürfen - bis zu drei Prozent der Emissionen von 1990.
Kritik an den Klimagutschriften kommt aus dem Europaparlament. Der Grünen-Politiker Michael Bloss sieht darin einen Ablasshandel. „Diese Gutschriften sind schwer überprüfbar und öffnen die Tür für Betrug und Rechentricks“, warnt er. Ähnlich sieht das sein SPD-Kollege Tiemo Wölken. Der verwies am Mittwoch ausdrücklich auf Betrugsfälle mit angeblich nachhaltigem Biosprit aus fiktiven Anlagen in China. Und er gibt zu bedenken, dass in Zukunft jene „Finanzmittel, die für Investitionen in die Transformation der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft gebraucht werden, außerhalb der EU investiert werden“. Das sei nicht zielführend und diene allein dazu, die Klimabilanz eines Unternehmens aufzuhübschen.
Widerstand aus Frankreich gegen Klimaziele
Weniger kritisch beurteilt CDU-Mann Peter Liese den Handel mit den CO2-Papieren und sieht darin die von vielen EU-Mitgliedsländern geforderte Flexibilisierung im Kampf gegen den Klimawandel. Zuletzt hatte der französische Präsident Emmanuel Macron sogar gefordert, die Ziele ganz zu kippen „Wer die Flexibilität bekämpft, leistet einen Beitrag dazu, dass es überhaupt kein 2040-Klimaziel gibt, da der Widerstand anderer Mitgliedsstaaten gegen die 90-Prozent generell sehr stark ist“, betonte der Europaabgeordnete Liese. Aber auch er sieht das Problem bei der Überwachung des Handels. „Wir müssen aus der Vergangenheit lernen“, betonte der Christdemokrat und er forderte, „nur hochwertige Zertifikate zuzulassen“.
Die EU-Kommission will den Weg zum Erreichen der Klimaziele zudem auch für einzelne Branchen aufweichen. Mitgliedsländer könnten dann zum Beispiel stockende Fortschritte in der Landwirtschaft durch überdurchschnittlich große CO2-Einsparungen im Verkehr ausgleichen. „Jeder Mitgliedstaat ist anders und steht vor unterschiedlichen Herausforderungen“, erklärte EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra das Vorgehen.
Die Vorschläge aus Brüssel liegen auf einer Linie mit dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung. Länder wie Italien und Tschechien hatten sich offen für niedrigere Klimaziele ausgesprochen, sie verweisen auf die Schwerindustrie in ihren Ländern. Frankreich will seinerseits erreichen, dass Atomkraft und erneuerbare Energien in den EU-Klimagesetzen gleichgestellt werden.