Mehr freie Tage als Feiertage?

Das Weihnachtsfest zwischen nachhaltigem Konsum und christlicher Nachhaltigkeit

Wenn der Bundespräsident und seine Frau vom Schloss Bellevue niedersteigen, um Obdachlosen in einer Berliner Wärmestube eine gute Mär von Geborgenheit und Gemeinschaft zu bringen, Suppe zu verteilen und Stullen zu schmieren, dann ist Weihnachten. Wenn das Erste um 20.15 Uhr „Sissi“ bringt und das Zweite abends zur „Helene-Fischer-Show“ bittet, auch. Tochter Zion, freue dich!

Wirklich? Es gehört längst zu den unausrottbaren Ritualen, säkulare Nebensächlich- und Äußerlichkeiten nicht ohne den Anspruch, frech oder witzig zu sein, zu vermengen, wenn es um Weihnachten geht. Wie das Heiligabend-Wienerle zum Kartoffelsalat gehört der aufgeklärte Hochmut offenbar zum christlichen Hochfest. Es wird gewarnt und gestöhnt, verkitscht und verrührt, was einem in den Weg kommt und den Blick für das Eigentliche, die christliche Botschaft, vernebelt.

Die Deutsche Umwelthilfe verbreitet ihre Schätzung, dass an den Feiertagen 20 Prozent mehr Müll als sonst anfällt. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft teilt mit, dass der Stromverbrauch eines Haushalts am ersten Weihnachtsfeiertag um rund ein Drittel steigt. Laut einer Umfrage von 2017 entspricht allein der Stromverbrauch für die Weihnachtsdeko dem Jahresverbrauch einer Stadt so groß wie Mainz. Sogar die Lämpchen, die über Deutschland verteilt strahlen, glaubt man zu wissen: 17 Milliarden. Der Naturschutzbund regt an, an einem der Feiertage vegetarisch zu essen. Selbst die Summe, die die Bundesbürger im vergangenen Jahr für Weihnachtsgeschenke ausgegeben haben, ist kein Geheimnis: je nach Umfrage zwischen 266 und 465 Euro. Dieses Jahr könnten es noch ein paar mehr werden. Wie bei den vielen großherzigen Spenden.

Weihnachten sei eben eine gute Zeit, um sich ein bisschen mit seinem Konsum und nachhaltigem Kaufen auseinanderzusetzen, glaubt eine Politikwissenschaftlerin am Zentrum für Interdisziplinäre Nachhaltigkeitsforschung in Münster. Was fast zwangsläufig zu einem ganz anderen, womöglich interessanteren Blick auf das Weihnachtsfest und zur Frage führt: Wie nachhaltig ist eigentlich der christliche Glaube? Wie stark sein Selbstbehauptungswille? Wie gesellschaftsprägend noch seine Botschaft? Wie bedeutungsvoll noch die mit Weihnachten beginnende christliche Heilsgeschichte von Jesu Geburt bis zu seiner Kreuzigung?

Es ist ein schönes Zeichen der Verbundenheit, wenn der Vorsitzende der Islamischen Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg sagt, der islamische Glaube und das christliche Weihnachtsfest gingen für viele Muslime in Deutschland zusammen. Weihnachten könne man auch als Muslim nicht ignorieren. Viele muslimische Familien im Südwesten würden sich auf freie Tage und die gemeinsame Zeit freuen.

Das ist verständlich. Aber muss es nicht nachdenklich stimmen, wenn viele der rund 45 Millionen zumindest kirchensteuerlich engagierten Christen ganz genauso denken? Weihnachten als fröhliche Folklore ohne frohe Botschaft? Weil ihnen – womöglich nett gemeint – hinterhergerufen wird, es sei auch an Weihnachten egal, woran sie glauben? Natürlich werden auch diesmal an Heiligabend die Kirchen wieder bis auf den letzten Platz besetzt sein. Die Kirchengemeinde Essen-Haarzopf wird deshalb erstmals Eintrittskarten für die Gottesdienste vergeben. Doch übers Jahr wird ihr Beispiel nicht Schule machen. Mangels Masse. Aber das sollte nicht bange machen. Weil Weihnachten ein unvergleichliches Symbol für Mut und Nächstenliebe ist.

wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de

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Erstellt:
24. Dezember 2018, 03:14 Uhr

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