Mehr Tempo 30 in der Stadt gefordert

Wie viel Verkehrsberuhigung verträgt Waiblingen – und was schadet dem Einzelhandel? – Fraktionen haben unterschiedliche Ideen

Die Neustädter Straße ist nur eine von vielen stark frequentierten Straßen in Waiblingen – besonders im Feierabendverkehr. Foto: B. Büttner

© Benjamin Büttner

Die Neustädter Straße ist nur eine von vielen stark frequentierten Straßen in Waiblingen – besonders im Feierabendverkehr. Foto: B. Büttner

Von Andreas Kölbl

WAIBLINGEN. „Mehr autofreie Innenstadt geht nicht“, hat Oberbürgermeister Andreas Hesky kürzlich gesagt. Eine Aussage, die polarisiert. Die einen wünschen sich, dass der Autoverkehr besser flutscht. Andere sehnen sich nach mehr Ruhe und möchten die Autos am liebsten verdrängen.

Im Prinzip spricht sich die SPD-Fraktion gegen Zwang und Schikanen aus. „Wir wollen keine autofreie Bahnhofstraße und wir wollen auch nicht das Auto großflächig verbannen“, versichert Roland Wied. Das Auto sei für viele unverzichtbar – „nicht jeder kann aufs Rad umsteigen“. Dass zu viel Verkehr stört, wüssten außer lärm- und abgasgeplagten Anwohnern auch die Autofahrer selbst. „Es macht ja keine Freude mehr, ständig Staus, verstopfte Straßen, Fahrverbote und nervige Parkplatzsuche zu erleben.“ Gegen Lärm und uneinsichtige Raser helfen nach Wieds Überzeugung nur Tempolimits und konsequente Überwachung. Deshalb der Vorstoß, von 22 bis 6 Uhr im gesamten Stadtgebiet auf allen Straßen Tempo 30 einzuführen.

Um motorisierten Verkehr so weit als möglich zu vermeiden, soll das Radfahren attraktiver werden. Die Mehrkosten dafür könnten durch höhere Parkgebühren oder höhere Bußgelder für Verkehrssünder zumindest teilweise kompensiert werden, meint der SPD-Chef. Über die Anträge zum Haushalt 2020 entscheidet der Gemeinderat vor Weihnachten.

Auch die Gruppierung Grünt will den Autoverkehr grundsätzlich reduzieren. In Sachen Tempo 30 wartet sie mit einem eigenen Vorschlag auf. Um den Verkehr weiter zu beruhigen, soll auf der kompletten Bahnhofstraße von der AOK-Kreuzung bis zum Bahnhof Tempo 30 gelten. Solange Autofahren bequemer und günstiger sei als andere Verkehrsmittel, werde es nicht gelingen, das Verkehrsaufkommen zu senken. Die Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs, „Zweiräder aller Art“ und die Fortbewegung für Fußgänger müssten noch attraktiver werden.

Die Bahnhofstraße und die Fronackerstraße hat auch die FDP im Fokus. Nach der Remstal-Gartenschau, die sich so erfolgreich und nachhaltig um das Grün in der Stadt bemüht habe, sei es Zeit, „sich dem Asphalt zuzuwenden“, meint Julia Goll. Die Verkehrssituation insbesondere in der Waiblinger Innenstadt werde von Verkehrsteilnehmern aller Fortbewegungsarten als verbesserungsbedürftig moniert. Die meisten seien mal mit dem einen, mal mit dem anderen Fortbewegungsmittel unterwegs und könnten bestätigen, dass die Zustände für jeden Verkehrsteilnehmer verbesserungsbedürftig seien. „Man muss kein Psychologe sein, um zu erkennen, dass Stau, widrige Verkehrsumstände, potenziell gefährliche Situationen für Fußgänger und Fahrradfahrer Stress bedeuten.“ Das Lebensgefühl in der Stadt werde erheblich beeinträchtigt. Die Liberalen fordern deshalb eine aktualisierte Verkehrsuntersuchung für die Innenstadt.

„Shared Space“, der ohne viele Schilder gemeinsam genutzte Verkehrsraum, ist eine Vision, welche die Fraktion „Agtif“ (die frühere ALi plus Tierschutzpartei) unterstützt. Ihre Initiative, Studenten der Fachhochschule Nürtingen/Geislingen „mit frischen Vorschlägen gegen den immer unerträglicheren Verkehr“ nach Waiblingen zu holen, war auf ein unerwartet großes Echo gestoßen – beim Diskussionsabend war der Schwanen-Saal voll. Die Studenten des Studiengangs für nachhaltige Mobilität werden ihre Pläne für die Fronackerstraße in den nächsten Semestern vertiefen. Längerfristig soll eine „Zukunftswerkstatt Verkehr“, bestückt mit Bürgern und Fachleuten von außen, Wege in die Zukunft weisen.

Der individuelle Personenverkehr wird wichtig bleiben, davon geht die CDU aus. „Dass Straßensperrungen, Durchfahrtsverbote und der Wegfall von Fahrspuren nur zu einer Verlagerung des Verkehrs und Dauerstau führen“, das zeige aktuell eindrucksvoll Stuttgart. Dies sei sicherlich nicht der richtige Weg für Waiblingen. Die Christdemokraten wollen mit einer neuen Machbarkeitsstudie einer möglichst umweltschonenden Variante des Nordostrings nähertreten.

Vor den Folgen von – aus ihrer Sicht – zu viel Verkehrsberuhigung warnt die DFB/FW: „Forderungen, dass Waiblingens Innenstadt autofrei wird, sind schnell gestellt.“ Das sollte zum Flanieren und Verweilen einladen, aber: „Ängste der Fachgeschäfte, Dienstleister und des ansässigen Handwerks müssen wir ernst nehmen.“ Autofreiheit würde das Fortschreiten des Internethandels begünstigen, glaubt Siegfried Bubeck. Die Folgen: Beratung im Geschäft, Einkauf beim Online-Händler, immer mehr Lieferdienst – und damit noch mehr Verkehr auf den Straßen.

David Krammer von der Bürgerliste Bittenfeld sieht wegen des Baugebiets Berg-Bürg auch für seine Ortschaft eine verschärfte Verkehrsproblematik und tritt für eine bessere Taktung des ÖPNV ein. Der Vollständigkeit halber. Die AfD hat sich in ihrer Haushaltsrede nicht zum Thema Verkehr geäußert.

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Erstellt:
4. Dezember 2019, 11:30 Uhr

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