Migranten wollen in Backnang mitreden

Jeder dritte Einwohner Backnangs hat einen Migrationshintergrund, doch von den 26 Stadträten haben nur zwei einen ausländischen Namen. Die neu gewählten Migrantenvertreter Muhammet Türk und Hussein Al Bakri wollen den Zugewanderten eine stärkere Stimme geben.

Hussein Al Bakri (links) und Muhammet Türk wollen, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln im Backnanger Rathaus mehr Gehör finden. Als Migrantenvertreter dürfen sie im Sozialausschuss zwar mitreden, aber nicht mit abstimmen. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Hussein Al Bakri (links) und Muhammet Türk wollen, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln im Backnanger Rathaus mehr Gehör finden. Als Migrantenvertreter dürfen sie im Sozialausschuss zwar mitreden, aber nicht mit abstimmen. Foto: Alexander Becher

Von Kornelius Fritz

Backnang. Hussein Al Bakri und Muhammet Türk besitzen beide die deutsche Staatsbürgerschaft und sie tragen beide einen ausländischen Namen. Doch ihre Lebensläufe sind grundverschieden. Türk ist das klassische „Gastarbeiterkind“: In Waiblingen geboren und aufgewachsen hat der Sohn türkischer Eltern Abitur gemacht, zunächst auf Lehramt studiert, sich dann aber für eine Laufbahn bei der Arbeitsagentur entschieden. Dort unterstützt der 39-Jährige nun als Berufsberater Jugendliche bei der Suche nach dem richtigen Job.

Sie stehen für ganz unterschiedliche Personengruppen

Al Bakri lebt hingegen erst seit 2015 in Deutschland. Weil er nicht als Soldat in den Krieg ziehen wollte, ist er damals aus seiner syrischen Heimatstadt Afrin geflohen. Mit einem Schlauchboot ging es von der Türkei nach Griechenland und dann zu Fuß über die Balkanroute nach Deutschland. Hier hat sich der heute 30-Jährige eine neue Existenz aufgebaut, Deutsch gelernt und ein Studium der sozialen Arbeit abgeschlossen. Heute betreut er als Integrationshelfer der Caritas Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften in Aspach und Allmersbach im Tal.

Die beiden Männer stehen mit ihrer jeweiligen Vita für zwei völlig unterschiedliche Personengruppen, die unter dem Schlagwort „Migrationshintergrund“ dennoch oft in einen Topf geworfen werden. Sandra Amofah, Referentin für Integration und Flucht bei der Stadt Backnang, ist deshalb froh, dass bei der Wahl der Migrantenvertretung, die im Rahmen des Internationalen Familienfestes stattfand, diesmal Vertreter aus beiden Lagern gewählt wurden. Muhammet Türk und Hussein Al Bakri werden die Interessen der Backnanger mit ausländischen Wurzeln nun im städtischen Sozialausschuss vertreten, wenn auch nur als beratende Mitglieder ohne Stimmrecht. Vasiliki Papadopoulou und Burak Bircan unterstützen sie als Stellvertreter.

„Bisher entscheiden andere über uns. Es ist Zeit, dass wir mitentscheiden“

Für Muhammet Türk ist das Metier nicht neu: Bereits seit 2021 sitzt er im Fachrat für Integration der Stadt Schorndorf, wo er oft beruflich tätig ist. „Jetzt will ich meine Expertise auch an meinem Wohnort einbringen“, sagt der zweifache Vater, der seit vier Jahren mit seiner Familie in Backnang lebt. Und er hat auch schon genaue Vorstellungen davon, wie er seine neue Aufgabe anpacken will. Zunächst wolle er eine Bestandsaufnahme machen, welche Einrichtungen und Angebote es für Migranten in Backnang bereits gibt, erzählt er. Im nächsten Schritt möchte er die unterschiedlichen Akteure dann mit der Stadtverwaltung, aber auch untereinander vernetzen. „Ich bin davon überzeugt, dass wir in Backnang schon sehr viel haben, aber das weiß noch nicht jeder“, sagt der Migrantenvertreter.

Zum Teil gebe es in den ausländischen Communitys auch noch Vorbehalte und Misstrauen gegenüber Behörden und städtischen Initiativen. Bereits in Schorndorf hat er festgestellt, dass jemand, der wie er einen türkischen Namen hat, hier leichter Brücken bauen kann.

Backnanger mit Migrationshintergrund sollen sich politisch engagieren

Türks Ziel ist es, dass sich die Backnangerinnen und Backnanger mit Migrationshintergrund stärker als bisher auch politisch engagieren. Aber dafür müsse man sie davon überzeugen, dass sie wählen gehen, in Parteien eintreten und sogar selbst bei Wahlen kandidieren. „Bisher entscheiden andere über uns. Es ist Zeit, dass wir mitentscheiden“, findet Muhammet Türk.

Denn selbst Zuwanderer der zweiten Generation würden in Deutschland noch häufig benachteiligt. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich mehr leisten musste als andere“, erzählt der 39-Jährige. Hussein Al Bakri kennt derweil die Probleme der Geflüchteten aus erster Hand. „Das größte Problem ist, dass viele keine normale Wohnung finden“, sagt der Sozialarbeiter. In den Gemeinschaftsunterkünften müssten sich wildfremde Menschen aus verschiedenen Ländern und mit völlig unterschiedlichen Lebensgewohnheiten ein Zimmer teilen. „Das gibt immer Streit“, weiß Al Bakri aus eigener Erfahrung. Als er nach Backnang kam, hat er in der Flüchtlingsunterkunft in der Hohenheimer Straße selbst ein Jahr lang mit drei anderen Männern auf engstem Raum zusammengelebt.

Deutsche Freunde zu findenist für Geflüchtete schwierig

Auch bei den Integrationsangeboten für Geflüchtete sieht Hussein Al Bakri noch Verbesserungsmöglichkeiten. So gebe es zum Beispiel zu wenig Sprachkurse für Mütter mit Kindern. Und Erwachsene täten sich nach wie vor schwer, mit der deutschen Bevölkerung in Kontakt zu kommen. „Es ist schwierig, deutsche Freunde zu finden“, erklärt der 30-Jährige, der zusammen mit seinem Bruder in Heiningen wohnt. Vor allem zu Gleichaltrigen bekommt selbst er, der inzwischen fließend Deutsch spricht, nur schwer Kontakt. Die Ehrenamtlichen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, sind überwiegend Ältere.

Verändern können die beiden Migrantenvertreter zwar erst einmal nichts, aber Muhammet Türk ist davon überzeugt, dass ihr Wort in der Kommunalpolitik Gewicht haben wird. Allerdings reiche es nicht, alle drei Monate einmal die Sitzung des Sozialausschusses zu besuchen. Die Migrantenvertreter wollen stetig Lobbyarbeit machen und das Sprachrohr der rund 12000 Backnangerinnen und Backnanger mit Migrationshintergrund werden. „Wenn uns das gelingt“, ist Muhammet Türk überzeugt, „haben wir mehr Einfluss als jeder Stadtrat.

Kontakt Die Migrantenvertretung der Stadt Backnang ist per E-Mail erreichbar unter integration@backnang.de.

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Erstellt:
26. September 2022, 06:00 Uhr

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