Mildes Urteil dank spätem Geständnis

Restaurantfachfrau tätigte fingierte Überweisungen  –  Urteil: 18 Monate auf Bewährung und 80 Sozialstunden

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Es kommt nicht alle Tage vor. Aber so hin und wieder gibt es eine Verhandlung, spannend wie ein Sonntagabend-Krimi. Oder soll man besser sagen zäh? Eine 35-jährige Restaurantfachfrau aus Bochum hatte sich vor dem Amtsgericht Backnang zu verantworten. Im Sommer 2015 war sie im Callcenter einer Bank im Ruhrgebiet beschäftigt. Um diese Zeit lernt sie in einer Diskothek ein anderes Paar kennen. Weil die Angeklagte bei einer Bank arbeitet, eröffnet dies Kooperationsmöglichkeiten. Man tauscht die Telefonnummern aus, trifft sich dann regelmäßig in der Wohnung der Angeklagten. Alles bleibt sehr diskret. Keine Adressen, keine Nachnamen. Vorname und Handynummer reichen.

Im Juni und Juli des Jahres schreitet man zur Tat. Die Angeklagte fingiert Überweisungen von Postbankkunden auf das Konto eines sogenannten Finanzagenten. Bei vier Aktionen Beträge von insgesamt 99000 Euro. Die letzte Überweisung geht nach Waiblingen. Es sind 44000 Euro. Als die Finanzagenten den Versuch unternehmen, von einer Filiale der Bank in Murrhardt den Betrag abzuheben, werden sie festgenommen. In allen anderen Fällen waren die Banken rechtzeitig auf den Betrug aufmerksam geworden und hatten die Beträge wieder zurücküberwiesen.

Die beschlagnahmten Handys der in Murrhardt Festgenommenen werden ausgewertet. Eine Spur der abgespeicherten Telefonchats führt ins Ruhrgebiet. Die Angeklagte und ihre Tätigkeit werden ermittelt. Um sicherzugehen, werden vom Arbeitgeber die Arbeitszeiten der Angeklagten erfragt. Und siehe da, alles passt mit den Vollzugsmeldungen auf den Handys zusammen. Bei einer Durchsuchung der Wohnung der Angeklagten wird auch ihr Handy eingezogen. Nur leider kann die Polizei damit wenig anfangen, denn sie weigert sich, die Zugangscodes preiszugeben. Wobei es mittlerweile eine israelische Firma gibt, die es versteht, solche Smartphones dennoch auszulesen. Das geschieht denn auch.

In Backnang vor dem Schöffengericht stehend will es die Angeklagte zunächst aber nicht gewesen sein. Sie verweist auf das Paar aus der Diskothek. Diese hätten Zugang zu ihrer Wohnung gehabt und da wohl das Handy der Angeklagten missbraucht. Schöne Geschichte! Allein der Richter schenkt dem leider keinen Glauben. Er macht deutlich: ein frühes Geständnis ist besonders wertvoll. Und gewährt der Angeklagten und ihrem Rechtsanwalt Bedenkzeit. Die erste Unterbrechung des Verfahrens. Die aber bleiben bei ihrer Version. Daraufhin verteilt der Richter die ausgelesenen und verschriftlichen Telefonchats und verordnet eine Lesezeit. Die zweite Unterbrechung. Die Angeklagte und ihr Verteidiger bleiben unerschüttert. Zwei Polizeibeamte sagen zu den erfolgten Ermittlungen aus. Es geht um viele technische Details. Insbesondere darum: kann ein Smartphone so missbraucht werden, dass ein Fremder damit etwas anstellt, was der Besitzer gar nicht merkt. Die Experten verneinen. Der Richter zieht sich mit den Schöffen, dem Staatsanwalt und dem Verteidiger zur Sachstandsklärung zurück. Dritte Unterbrechung. Woraufhin sich der Verteidiger nochmals mit seiner Mandantin berät. Es wird ein intensives Gespräch von fast einer Stunde Dauer. Die vierte Unterbrechung.

Als die beiden zurück sind dann die Überraschung. Der Rechtsanwalt erklärt für die Angeklagte: Das Pärchen aus der Diskothek hat das Geschäft angeregt, die Angeklagte hat sich dazu hergegeben. Vierzig Prozent der ergaunerten Gelder sollten bei der Angeklagten verbleiben.

Der Staatsanwalt spricht in seinem Plädoyer von hoher krimineller Energie, von arbeitsteiliger Täterschaft, von konspirativer Vorgehensweise. Unter dem Eindruck des Verfahrens, so stellt er positiv fest, habe sich die Angeklagte geständig gezeigt. Der Verteidiger verweist darauf, dass kein Schaden entstanden sei. Im Übrigen sei seine Mandantin nicht vorbestraft.

Nach äußerst kurzer Beratung des Schöffengerichts – der Unterbrechungen waren ja genug – folgt das Gericht dem Antrag des Staatsanwalts. 18-monatige Haftstrafe auf Bewährung. Und auch 80 Arbeitsstunden hält das Gericht – die Angeklagte ist gerade arbeitslos für vertretbar. Der Richter macht in seiner Urteilsbegründung, an die Angeklagte gewandt, deutlich: Sie sei eben „denkbar knapp an einer Haftstrafe vorbeigeschrammt.“ Die Rettung war, dass sie sich doch noch geständig zeigte.

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Erstellt:
12. Oktober 2018, 06:00 Uhr

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