„Mobilität ist mehr als bloß Auto“

Integriertes Verkehrskonzept Aspach: Gemeinderäte werden über den Bearbeitungsstand, das Ergebnis eines Bürgerforums und das weitere Vorgehen informiert. Lokale Vision für die nächsten 15 bis 20 Jahre soll entwickelt werden.

Verträgliches Miteinander im Blick: Auf der Ortsdurchgangsstraße ist vor allem zu bestimmten Zeiten sehr viel los. Aspach erarbeitet nun ein Verkehrskonzept. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Verträgliches Miteinander im Blick: Auf der Ortsdurchgangsstraße ist vor allem zu bestimmten Zeiten sehr viel los. Aspach erarbeitet nun ein Verkehrskonzept. Foto: A. Becher

Von Renate Schweizer

ASPACH. Lang ist es her, gefühlt zumindest, und für so manche Aspacher Bürger wie in einer anderen Zeitepoche – das Aspacher Bürgerforum zum Thema Verkehr. Am 27. Januar war das, vor Corona, ziemlich genau fünf Monate ist das her. Viele Bürger waren damals gekommen, um sich gemeinsam Gedanken zu machen zu drei verschiedenen und doch ineinander verzahnten Themen: Fahrrad und öffentlicher Nahverkehr, Kraftfahrzeugverkehr und Fußverkehr sowie Parken. Ziel war, ein Konzept für die Entwicklung sämtlicher Verkehrsarten zu entwickeln, das Mobilität für alle gleichermaßen verträglich ermöglicht, denn „Mobilität ist mehr als bloß Auto“, so Raphael Domin vom Verkehrsplanungsbüro Planersocietät, das diesen Prozess begleiten, moderieren und mit Daten unterfüttern sollte. Dann kam Corona. Verkehr gab’s immer noch – aber nicht mehr die Möglichkeit, gemeinsam und öffentlich darüber nachzudenken.

„Einige Bürger hatten sich tief in die Materie eingearbeitet“, so berichtet Bürgermeisterin Sabine Welte-Hauff bei der Gemeinderatssitzung mit dem einzigen Tagesordnungspunkt „Integriertes Verkehrskonzept Aspach – Bearbeitungsstand, Ergebnis Bürgerforum und weiteres Vorgehen“. Die Bürgermeisterin ist Verwaltungschefin einer Kommune, die aus weitverstreuten, idyllischen – und damit auf Mobilität angewiesenen – Teilorten besteht. „Sie sind Bürgerexperten, deren Sachkenntnis dringend gebraucht wird.“ Sie strahlt und man spürt ihre Freude darüber, dass das jetzt wieder möglich ist: Öffentliche Gemeinderatssitzung mit Präsentation der Bestandsaufnahme des Planungsbüros. Nicht um Details soll es gehen, sondern um die Entwicklung einer lokalen Vision für die nächsten 15 bis 20 Jahre. (Nichtsdestotrotz glänzt die Bürgermeisterin, wenn es darauf ankommt, mit geradezu sagenhaften Detailkenntnissen, und das nicht nur aus der eigenen Gemeinde.)

Natürlich und wie immer bei solchen Präsentationen ist es nicht ganz einfach, all die Schaubilder, die da auf der großen Leinwand zu sehen sind, auf Anhieb zu verstehen. Daniel Jacobi, einer der Gemeinderäte (FWA), ist es, der den erlösenden Vorschlag macht, die gesamte Präsentation allen Gemeinderäten zukommen zu lassen, um sie zu Hause noch einmal in Ruhe studieren zu können, bevor am 15. Juli der Verkehrsbeirat tagt – so kann jeder Einzelne dem Vertreter seiner Fraktion Fragen und Anregungen in diese Sitzung mitgeben. Ganz klar, so wird’s gemacht.

Nach einer kurzen Vorstellung überörtlicher Mobilitätstrends und der Vorgehensweise des Planungsbüros geht’s zur Sache. Domin hat seine Präsentation in sechs Themengebiete aufgeteilt: Fußverkehr und Barrierefreiheit, Radverkehr, ÖPNV, Kfz-Verkehr, Schwerverkehr und ruhender Verkehr, also das Parken. Zu jedem dieser Themen listet er, teils mit Beispielfotos, die Stärken und Schwächen des Istzustands auf und dann die „Potenziale“, das heißt, die Dinge, die man verbessern könnte. „Potenzial“ – das klingt doch gleich viel netter als „Defizit“ oder „Problembereich“. Manches wird klar wie Kloßbrühe: Dass zum Beispiel Bushaltestellen Sitzgelegenheiten haben sollten für die Wartenden, und dass Infotafeln und Busfahrpläne so aufgehängt sein sollten, dass man sie barrierefrei zum Lesen erreichen kann, das leuchtet jedem ein und man kann da mit überschaubarem Aufwand viel erreichen. Dass vieles schon gut gelöst ist („Stärken“), wird von allen froh zur Kenntnis genommen. Die Diskussion im Anschluss dreht sich naturgemäß um die ambivalenten Themen, und das sind einige. Beispiel: Parken. Parken am Straßenrand wirkt verkehrsberuhigend und lässt den Bürgern Freiheit – das klingt gut. „Wir brauchen Kurzzeitparkplätze innerorts und sollten keine Stellplätze streichen – sonst stirbt der Ort“ gibt Joachim Goller (FWA) zu bedenken. Für andere ist das wilde Parken ein Ärgernis (Wolfgang Klenk, CDU): Es behindert Rettungsfahrzeuge und den Busverkehr – Aspacher Schüler in Backnanger oder Marbacher Schulen kommen regelmäßig zu spät zum Unterricht, weiß Andrea Schünzel (SPD) – und es erschwert die sichere Überquerung der Fahrbahn für Fußgänger. Gewichtige Argumente auf beiden Seiten, und die Diskussion verläuft denn auch ergebnisoffen quer zu den Fraktionszugehörigkeiten – das ist eine der großen Stärken des Gemeinderats in kleinen Kommunen. „Was können wir denn überhaupt erreichen?“, will Sonja Tränkle wissen. „Die Probleme liegen doch vor allem auf Kreis- und Landstraßen – und genau auf die haben wir gar keinen Einfluss.“ Das stimme, räumt da der Planungsprofi ein, die ganz großen Stellschrauben könne der Gemeinderat tatsächlich nicht drehen, „aber dafür mehrere kleine – und die haben auch einen Effekt und können sich gegenseitig verstärken“.

Ganz zum Schluss und abseits der Tagesordnung fragt irgendwer den jungen Verkehrsplaner noch, wie er denn jetzt eigentlich zurück nach Karlsruhe käme. Der grinst vergnügt und freut sich über die Frage: Mit dem Bus von Großaspach zum Backnanger Bahnhof, von dort mit dem Zug nach Karlsruhe und dann mit dem Fahrrad nach Hause. Vorbildlich! Eilig packt er zusammen, der Bus von Großaspach fährt im 15-Minuten-Takt, er kann seinen Zug noch erreichen. Die Berichterstatterin schämt sich ein bisschen: Sie ist von Backnang mit dem Auto gekommen.

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Erstellt:
2. Juli 2020, 06:00 Uhr

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