Möbelproduktion wurde 1990 eingestellt

Blick in das Archiv von Peter Wolf: Die traditionsreiche, renommierte Möbelfabrik Sorg, der Gasthof Engel und das erste Backnanger Kino in einem ehemaligen Brauereigebäude mit Saalanbau.

Hermann Sorg (mit Zylinder) umringt von Mitarbeitern Ende der 1880er-Jahre.

© P. Wolf

Hermann Sorg (mit Zylinder) umringt von Mitarbeitern Ende der 1880er-Jahre.

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Die Möbelfabrik Sorg hatte in Backnang eine lange Tradition, bei der sich das Schreinerhandwerk bis ins frühe 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Im Jahr 1713 heiratete der aus Marbach am Neckar stammende Johann Georg Sorg die Backnangerin Anna Barbara Schimmel. lm Haus seines Schwiegervaters in der späteren Stuttgarter Straße 30 eröffnete er eine Schreinerwerkstatt. Beim Wiederaufbau des abgebrannten Backnanger Rathauses 1716/17 war Johann Georg Sorg an den Schreinerarbeiten beteiligt. Es folgten vier weitere Generationen von Schreinermeistern, ehe dann Christoph Gottlieb Sorg am 15. Mai 1858 seine Werkstatt in das Gebäude der späteren Stuttgarter Straße 4, direkt neben das Gasthaus Engel, verlegte. Am selben Tag erfolgte der Eintrag der Firma ins Handelsregister, was seither als offizielles Gründungsdatum der Firma Sorg gilt, heißt es in einem Beitrag von Gerhard Sorg im Backnanger Jahrbuch (Band 17) von 2009, der anlässlich des 150-jährigen Bestehens der Firma Sorg erschienen ist.

1887 übergab Christoph Gottlieb Sorg das Geschäft an seinen Sohn Hermann. Ein Foto, das Ende der 1880er-Jahre entstanden ist, zeigt Hermann Sorg umringt von seinen Mitarbeitern, die stolz ihre gefertigten Möbelstücke präsentieren. Sehr junge Lehrlinge sind dabei. Der Firmenchef ließ vier Jahre nach seiner Geschäftsübernahme eine neue Werkstatt bauen und versah diese mit einer maschinellen Ausstattung. Damit war er der Erste in der Schreinerfamilie, der sich die neue Technik zunutze machte. Es wurden hochwertige Wohnmöbel gefertigt und bis nach Stuttgart geliefert. lm Jahr 1919 übergab er den Betrieb seinen Söhnen Albert und Fritz Sorg, die für weitere Verbesserungen der Räumlichkeiten und der Technik sorgten.

1958 begann die industrielle Fertigung von Wohnmöbeln.

1948 trat mit Albert Sorg junior und Fritz Sorg junior die nächste Generation in die Firma ein. Von 1958 an wurden moderne Wohnmöbel industriell gefertigt und europaweit verkauft. Auf einer Luftaufnahme aus dem Ende der 1950er-Jahre wird das Ausmaß des Fabrikgeländes deutlich, das sich hinter dem Verkaufshaus an der Stuttgarter Straße befand und bis zum Schornstein reichte.

Gegenüber dem Möbelhaus Sorg und dem Gasthof Engel, auf der Insel zwischen drei Straßen, ist auf der Luftaufnahme auch das erste Backnanger Kaufhaus zu sehen. Der Kaufmann Max Mayer hatte 1912 das gemischte Warengeschäft seines einstigen Lehrherrn Ernst Haag in der Marktstraße 44 übernommen und darin ein Textilgeschäft eröffnet. 1955 erfolgte die Ausweitung des Sortiments durch die Umstellung in ein Kaufhaus, informiert das Backnang-Lexikon. Das Kaufhaus Max Mayer zog 1962 in die wesentlich größeren Räumlichkeiten der ehemaligen Lederfabrik Louis Schweizer an der Bleichwiese um. Auch das Einrichtungshaus Sorg wurde 1967 auf 2500 Quadratmeter Verkaufsfläche erweitert, die Fassade versah man im selben Jahr mit den sogenannten Horten-Kacheln, Elementen, die Architekt und Möbeldesigner Egon Eiermann für die Kaufhauskette Horten entworfen hatte. Sogar auf einem Poststempel war das Backnanger Gebäude damals abgebildet, weiß Eberhard Sorg. Im Jahr 1975 baute die Firma eine neue Möbelfabrik in der Stuttgarter Straße 135. Der Möbelhandel gewann zunehmend an Bedeutung, weshalb 1988 der Backnanger Möbelmarkt – ein Mitnahmemarkt – eröffnet wurde. 1990 musste die Möbelproduktion eingestellt werden. Da der alte Standort nicht mehr zeitgemäß war, errichtete die Firma Sorg 1999 in der Stuttgarter Straße 135 ein neues Einrichtungshaus, das im Jahr 2019 geschlossen wurde. Damit endete die lange Tradition im Möbelverkauf.

Das Wirtshaus Engel, das viele Jahre lang direkter Nachbar des ursprünglichen Möbelhauses Sorg war, hatte der „Engelskreuzung“ ihren Namen gegeben. Das Gebäude in der späteren Stuttgarter Straße 2 wurde 1785 von dem Bäckermeister Johann Jacob Kübler erbaut, informiert das Backnang-Lexikon. Allerdings wird erst sein Enkel Gottfried Ludwig Kübler in den Quellen als „Bierbrauer und Engelwirt“ bezeichnet. Er ließ 1834 neben der Wirtschaft ein Brauereigebäude mit Tanz- und Speisesaal errichten (heute: Am Schillerplatz 6). Dahinter befanden sich eine Kegelbahn und eine Gartenwirtschaft. Im Jahr 1895 wurde ein weiterer Saalanbau eröffnet, in dem ein Jahr später die erste Kinematografenvorstellung (Filmvorführung) in Backnang stattfand. Eine kolorierte Ansichtskarte zeigt die Engelkreuzung um das Jahr 1900 mit der „Restauration z. Engel“ und daneben das Möbelhaus Sorg. Im Bereich, in dem sich heute die Buchhandlung K. Kreutzmann befindet, gab es damals einen kleinen Park oder Garten. Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte der „Engel“ zeitweise der Stuttgarter Brauerei Wulle und wurde an verschiedene Wirte verpachtet. 1938 übernahm der in Waldrems geborene Metzgermeister und Wirt Albert Nesper den „Engel“. Da er 1946 in russischer Gefangenschaft starb, führten zunächst seine Frau Johanna und ab 1958 sein Sohn Kurt den „Engel“ weiter.

Von den Metropol-Lichtspielen bis zum Central-Theater.

Das ehemalige Brauereigebäude mit Saalanbau nutzte man nach dem Zweiten Weltkrieg als Kino. Im alten Saalbau des Gasthauses eröffneten 1947 die Metropol-Lichtspiele, ist im Backnang-Lexikon zu lesen. Ab 1. Januar 1952 hießen sie kurz Kammerlichtspiele und ab 25. April 1952 Central-Theater. Der schmale Saal fasste 300 Sitzplätze im Parkett und 45 auf der Empore. Im Jahr 1984 wurde das Central-Theater geschlossen.

Die Gaststätte „Engel“ übernahm 1978 der neue Betreiber Georgios Kolosof und benannte das Traditionswirtshaus in „Grill Schorsch“ um. Ende der 1990er-Jahre wurde der Gastronomiebetrieb eingestellt. Anschließend nutzte man das Gebäude für Wohnzwecke und Büroräume. Im Januar 2009 brach im Dachgeschoss ein Brand aus, der den ehemaligen „Engel“ so schwer beschädigte, dass das Gebäude abgerissen werden musste. 2012 erfolgte auch der Abbruch des ehemaligen Möbelhauses Sorg. Ein Neubau im Bereich der beiden Gebäude war 2015 fertiggestellt, in dem sich heute unter anderem das Teppichgeschäft Sorg Carpet befindet, das von Eberhard, Gerhard und Martin Sorg geführt wird. Wo einst die Fabrikation von Möbeln war, sind heute Wohnungen eingerichtet.

Die „Engelkreuzung“ mit der Restauration Engel und dem Möbelhaus Sorg um 1900. Repros: P. Wolf

Die „Engelkreuzung“ mit der Restauration Engel und dem Möbelhaus Sorg um 1900. Repros: P. Wolf

Die Luftaufnahme zeigt das Ausmaß des Fabrikgeländes Sorg Ende der 1950er-Jahre. Gegenüber das erste Backnanger Kaufhaus Max Mayer.

© P. Wolf

Die Luftaufnahme zeigt das Ausmaß des Fabrikgeländes Sorg Ende der 1950er-Jahre. Gegenüber das erste Backnanger Kaufhaus Max Mayer.

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Erstellt:
25. Januar 2021, 06:00 Uhr

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