Bundesanwalt fordert Sicherungsverwahrung im Mordfall Lübcke

dpa Frankfurt/Kassel. Der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke soll für die Tat eine lebenslange Haft verbüßen - so das Plädoyer der Ankläger. Trotz vieler offener Fragen zeigen sie keine Zweifel an der Schuld des Hauptangeklagten.

Der Hauptangeklagte Stephan Ernst (l.) wird in den Gerichtssaal geführt. Foto: Boris Roessler/dpa

Der Hauptangeklagte Stephan Ernst (l.) wird in den Gerichtssaal geführt. Foto: Boris Roessler/dpa

Im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat die Bundesanwaltschaft in ihrem Plädoyer die härteste Strafe des deutschen Strafrechts gefordert.

Der Hauptangeklagte Stephan Ernst soll auch nach Verbüßen einer lebenslangen Freiheitsstrafe nicht freikommen.

„Nach unserer Überzeugung ist bei dem Angeklagten Ernst Sicherungsverwahrung anzuordnen“, sagte Oberstaatsanwalt Dieter Killmer am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt in seinem Plädoyer. Zudem gehe er von einer besonderen Schwere der Schuld bei Ernst aus.

Das würde eine Haftentlassung nach 15 Jahren quasi ausschließen. Für den wegen Beihilfe zum Mord Mitangeklagten Markus H. forderte Killmer neun Jahre und acht Monate Haft. Zudem forderte er einen erneuten Haftbefehl, da die Gefahr bestehe, dass H. untertauchen könnte. Das Gericht hatte im Oktober den Haftbefehl gegen H. aufgehoben.

Der 47-jährige Ernst sei sowohl des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke als auch des versuchten Mordes an einem irakischen Flüchtling schuldig, erklärte Killmer zu Beginn seines rund fünfstündigen Plädoyers: „Beide Taten sind rechtsextremistische Anschläge.“ So sei der Politiker Lübcke wegen seiner Werte zum Anschlagsziel geworden. Auch der Messerangriff auf den Flüchtling sei ein „politisches Attentat“, so Killmer: „Er sollte sterben, weil Stephan Ernst Flüchtlinge und Asylsuchende hasst.“

Ernst hatte gestanden, im Sommer 2019 den CDU-Politiker auf dessen Terrasse im Kreis Kassel erschossen zu haben. Motiv sollen Äußerungen Lübckes gewesen sein, der die Aufnahme von Flüchtlingen verteidigt hatte. Ernst bestreitet aber, im Jahr 2016 den heute 27-jährigen Flüchtling mit einem Messer schwer verletzt zu haben.

Killmer sprach von einer historischen, politischen und menschlichen Dimension des Mordes an Lübcke, der als erster Politiker im demokratischen Deutschland seit 1945 getötet worden sei. Ernst wiederum sei in seinem Hass nicht allein gewesen, sagte der Oberstaatsanwalt und stellte die Tat in die Tradition des „führerlosen Widerstands“ von Rechtsextremisten, die seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Gewalttaten verübten - von Nazi-Untergrundkämpfern der Nachkriegszeit, über das Dutschke-Attentat bis zur NSU-Mordserie und dem Anschlag von Halle.

Der gewaltsame Tod Lübckes sei nicht nur die Ermordung eines Ehemanns, Vaters oder Großvaters gewesen, sagte Killmer am Ende seines Plädoyers. „Es war ein Angriff auch auf unseren Rechtsstaat und die demokratischen Werte, für die Doktor Lübcke in besonderer Weise gestanden hat.“

Solche Taten seien ohne Unterstützung eines extremistischen Umfeldes unmöglich. „Genau in dieses Umfeld ordnet sich der Tatbeitrag von Markus H. ein“, sagte Killmer. H. habe psychische Beihilfe zu dem Mord geleistet. H. habe vom „tiefverwurzelten Fremdenhass“ Ernsts und dessen Fokus auf Lübcke gewusst, ihn in seinem Weltbild verstärkt und in gemeinsamen Schießübungen an Waffen geschult - „eine Fähigkeit, die Walter Lübcke das Leben kostete.“

Ernst verfolgte das Plädoyer äußerlich unbewegt. Mit halbgeschlossenen Augen saß er reglos da, vermied Blickkontakt und zeigte keine Emotionen, nachdem er in der Pause vor dem Plädoyer nachdenklich gewirkt und mit seinen Anwälten geredet hatte. Auch beim Antrag auf lebenslange Haft wirkte er wie unbeteiligt. Lübckes Witwe und Söhne, die als Nebenkläger an dem Verfahren teilnehmen, sahen während des Plädoyers mit festem Blick zu Ernst hinüber.

Ernsts Angaben vor Gericht, dass auch H. in der Tatnacht mit ihm auf der Terrasse von Lübckes Wohnhaus gewesen sei, schenkte die Bundesanwaltschaft keinen Glauben. Sie nannte das erste, bei der polizeilichen Vernehmung abgelegte, Geständnis „größtenteils glaubhaft.“ Darin hatte Ernst geschildert, wie er immer wieder, auch mit einer geladenen Waffe, zum Wohnhaus Lübckes gefahren sei, wie er den CDU-Politiker ausspähte und regelrecht besessen von Lübcke gewesen sei, den er auch für islamistische Anschläge und sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht 2015 verantwortlich gemacht habe.

In diesem Geständnis, bei dem er noch keine Einsicht in die Ermittlungsakten gehabt habe, habe Ernst reflektiert und lebhaft gewirkt, spätere Aussagen seien deutlich knapper und zurückhaltender gewesen, angepasst an Vorhalte und den Ermittlungsstand. Die Aussage im Gericht, dass der Gebrauch der Schusswaffe nur eine von mehreren Optionen war, nahm der Oberstaatsanwalt Ernst nicht ab: „Mord war der einzige Tatplan, alternativlos.“

Im neuen Jahr sollen die Plädoyers der Verteidiger und der Nebenkläger, die Lübckes Familie und den Flüchtling vertreten, folgen. Ende Januar wird ein Urteil erwartet.

© dpa-infocom, dpa:201222-99-783358/4

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Erstellt:
22. Dezember 2020, 12:02 Uhr

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