Liebes-Erklärung: Selbstliebe

Müssen wir uns selbst lieben, um eine gute Beziehung zu führen?

Das Wort Selbstliebe ist gerade in aller Munde. Unter dem Motto „Beziehungen leicht gemacht“ gibt es in Buchhandlungen und im Internet zahllose Ratgeber dazu. Kann man wirklich erst geliebt werden, wenn man sich selbst liebt? Und kann man das lernen?

Behandeln wir uns selbst zuvorkommend, achten wir auf unsere Gesundheit, investieren wir in unser Fortkommen?

© IMAGO/Westend61/Tanya Yatsenko

Behandeln wir uns selbst zuvorkommend, achten wir auf unsere Gesundheit, investieren wir in unser Fortkommen?

Von Nina Ayerle

Wer Single ist, kann den Spruch nicht mehr hören: „Man kann erst geliebt werden, wenn man sich selbst liebt“, ist heute der ultimative Ratschlag in Ratgeberbüchern, auf Covern von Frauenzeitschriften oder in Instagram-Posts. Aber stimmt diese Behauptung? Zu einer Liebesbeziehung gehört ja noch ein zweiter Mensch dazu.

Nun ist die Idee nicht neu. Bereits 2007 schrieb die Paartherapeutin Eva-Maria Zuhorst den Bestseller „Liebe dich selbst und es ist egal, wen du heiratest“. Und lange davor, 1984, sang Udo Lindenberg „I love me selber“: „Ich hab ne Love Affair mit einem Herrn; genau der Typ, auf den ich steh’; verläßt mich nie – hat mich so gern; ist immer für mich da – tut mir niemals weh; dieser Typ, der bin ich; ewiger Schwur – ich liebe mich.“

Tatsächlich tun sich viele Menschen eher schwer mit dieser Selbstliebe. In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts Yougov 2020 gab fast jede zweite befragte Frau an, sich von Selbstzweifeln (44 Prozent) im Alltag verunsichert zu fühlen, was sich negativ auf ihr Selbstbewusstsein auswirke. Auch die amerikanische Psychologin Kristin Neff, die seit Jahren über Selbstmitgefühl forscht, kam in Studien zu dem Schluss: „Niemanden behandeln wir so schlecht wie uns selbst.“

Ist Udo Lindenberg die große Ausnahme? Im Jahr 1986 fühlte sich der US-Bundesstaat Kalifornien bemüßigt, eine Taskforce ins Leben zu rufen, die sich der Förderung eines positiven Selbstbildes seiner Bürger widmen sollte. Aber geht das, Selbstliebe lernen? Eine Studie der Universität Kalifornien von Wiebke Bleidorn und Anke Hufer aus dem Jahr 2018 mit 2000 deutschen Zwillingsfamilien setzt dem, was viele Coaches und Ratgeber vermitteln wollen, Grenzen: denn vornehmlich unsere Gene und unser Umfeld beeinflussen, wie ausgeprägt unser Selbstwertgefühl ist und sich entwickelt, so das Fazit.

Mit zunehmendem Alter werden die meisten selbstbewusster

Dennoch gibt es auch positive Nachrichten aus der Wissenschaft: Viele Studien kämen zu dem Ergebnis, dass „Menschen im Laufe ihres Erwachsenenalters gelassener, zuverlässiger, stressresistenter und kompetenter im Umgang mit anderen werden“, schreibt Cornelia Wrzus, Professorin für Alternsforschung an der Universität Heidelberg, in ihrem Buch „Werden, wer ich bin. Psychologisches Wissen zur Persönlichkeitsentwicklung“. Im Durchschnitt, so Wrzus, nehmen die Eigenschaften Emotionale Stabilität, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit im Laufe unseres Lebens zu.

Und das hat Einfluss auf unsere Partnerschaften: „Verträgliche, emotional stabile Menschen führen bessere Beziehungen – sowohl zu Freunden und zur Familie als auch zum Partner“, schreibt Wrzus und ergänzt: „Als Konsequenz ist das Scheidungsrisiko bei ihnen niedriger, je verträglicher und emotional stabiler Menschen sind.“

Auch die Münchner Beziehungscoachin Stella Schultner teilt diese Erfahrung aus ihrer Praxis: „Die Beziehung zu uns selbst ist die wichtigste im Leben.“ Sie ist überzeugt: „Je glücklicher ich mit mir bin, desto glücklicher bin ich mit anderen.“

Denn für die Coachin ist Selbstliebe eng damit verknüpft, welche Ansprüche jemand hat. „In unserer Elterngeneration wurden Beziehungen wenig hinterfragt“, sagt die studierte Psychologin. Vieles habe man einfach ausgehalten – auch wenn man dann ein Leben lang unglücklich war. Sie rät deshalb dazu, seinen eigenen Wert zu kennen – und für sich zu überlegen, was man in einer Beziehung tolerieren möchte und was nicht.

Und Schultner glaubt, dass man Selbstliebe lernen kann. Wichtig sei, Grenzen zu setzen. „Ich muss Nein sagen können zu Dingen, die ich nicht will“, sagt sie. „Auch muss ich erkennen, wer mir überhaupt guttut.“

Dazu gehöre, sich mit den eigenen Themen im Leben auseinanderzusetzen: Was sind meine Schwächen? Was habe ich in meiner Kernfamilie über Beziehungen gelernt? Was davon prägt mich im Erwachsenenalter noch negativ? „Denn wenn ich ständig auf der Suche nach etwas Fehlendem bin, gerate ich eher an Partner, die mir das erfüllen sollen.“ Dies habe aber wenig mit Liebe zu tun, sondern eher mit Abhängigkeit.

Jemand anderes soll eine Lücke füllen, um eigene Defizite zu kompensieren. Wer in Beziehungen immer wieder dieselben negativen Erfahrungen macht, dem fehle es häufig an Selbstbewusstsein. „Wenn wir uns nur durch jemand anderen bestätigt fühlen, sind wir nicht frei in der Liebe“, sagt Schultner.

Man muss nicht ständig komplett mit sich im Reinen sein

Nun ist es nicht gleich so, dass wir völlig mit uns im Reinen sein müssen, um einen Partner zu finden – die Menschheit wäre vermutlich längst ausgestorben, wenn dies zuträfe. „Aber es hat einen Einfluss darauf, wie zufrieden wir in unseren Beziehungen werden“, sagt Schultner. Denn wen wir anziehen, spiegelt uns oft auch wider, wie wir zu uns selbst stehen. Suchen wir uns einen Partner, der uns ständig runtermacht, betrügt oder schlecht behandelt, zeigt uns dies, dass wir auch selbst von uns wenig halten.

Die Frage muss also lauten: Kümmere ich mich ausreichend um mich selbst? Für Schultner gehört dazu auch, Sport zu treiben, auf seine Gesundheit zu achten und in sein eigenes Fortkommen zu investieren, eigene Hobbys und Freundschaften zu pflegen. „So sind wir nicht abhängig davon, ob wir überhaupt einen Partner haben“, sagt sie. Und der „beste Schutz vor dysfunktionalen Beziehungen“ sei Selbstliebe und Selbstbewusstsein.

Viele halten Selbstliebe für etwas übertrieben, stören sich schon an dem Wort. Schultner spricht daher von Selbstfreundschaft. „Wenn ich mit mir selbst befreundet bin, überlasse ich die Verantwortung für mein Glück nicht meinem Partner“, sagt sie.

Wer in sich verankert habe, dass er okay so sei, wie er ist – unabhängig von Partnerschaft, Geld, beruflichem Status –, der sei auch abgehärteter gegen Widrigkeiten des Lebens. „Ich gehe einfach gechillter mit allem um.“ Und: Plötzliche ziehe man eher Menschen an, die genau so sind.

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Erstellt:
27. Januar 2023, 16:02 Uhr
Aktualisiert:
27. Januar 2023, 16:16 Uhr

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