Opposition in Myanmar

Myanmars geheime Regierung

Die oppositionelle Volksbefreiungsarmee baut im Verborgenen eine alternative Verwaltung im Land auf – bis hin zu Kliniken und Schulen. Minderheiten begegnen den Plänen mit Skepsis.

Straßenkontrollen in Rangun.

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Straßenkontrollen in Rangun.

Von Felix Lill

„Sie sind unsere einzige Hoffnung“, sagt Arthur, wenn er an diejenigen denkt, denen er jeden Monat Geld überweist. „Für uns alle ist es im Moment schwer zu überleben. Aber wenn ich von meiner Arbeit als Unternehmensberater etwas übrighabe, schicke ich es der Volksbefreiungsarmee.“ Auch bei Freunden sammle der 25-Jährige Geld ein. „Es sind kleine Summen, aber viele kleine Summen machen am Ende etwas Großes.“

Als Volksbefreiungsarmee bezeichnet sich der bewaffnete Arm des demokratischen Widerstands in Myanmar, wo sich im Februar 2021, drei Monate nach demokratischen Wahlen, das Militär an die Macht putschte. Auf Proteste gegen den Staatsstreich antwortete die Junta mit Gewalt. Soldaten schossen nicht nur auf Demonstranten, sondern auch auf Krankenhäuser und Schulen.

Geflecht von Firmen: Myanmars Militär ist mächtig

Myanmars Demokratiebewegung beansprucht – wie das Militär – die politische Führung im Land. Und wie das Militär, das von den 1960er Jahren an für ein halbes Jahrhundert regierte und sich in dieser Zeit ein riesiges Geflecht an Unternehmensbeteiligungen und Abhängigkeiten aufbaute, versucht sich nun der demokratische Widerstand im Aufbau eigener staatlicher Strukturen. Die durch Spenden von Aktivisten finanzierte Volksbefreiungsarmee ist nur ein Element von mehreren. Dahinter steht eine Art demokratische Schattenregierung.

Die Nationale Einheitsregierung (NUG), wie sich das Führungskabinett der Demokratiebewegung nennt, arbeitet seit ihrer Ausrufung im Untergrund am 15. April 2021 an einem bemerkenswerten Vorhaben: Die große Mehrheit der Burmesinnen und Burmesen, die laut dem letzten Wahlergebnis vor dem Putsch eine Herrschaft des Militärs ablehnen, sollen statt den von der Junta dominierten Institutionen alternative Infrastruktur nutzen können – von öffentlicher Verwaltung über ein Gesundheitssystem bis zu Schulen und Universitäten.

Myanmars Opposition ist weit verstreut

Die NUG setzt sich maßgeblich aus Politikerinnen und Politikern zusammen, die bei der letzten Wahl ins Parlament gewählt wurden. Hinzu kommen Anführer mehrerer ethnischer Minderheiten. Im Gegensatz zum Militär hat sie also durchaus demokratische Legitimität. Und in ihren öffentlichen Erklärungen hat die NUG immer wieder betont: Sie will freie Wahlen, ein Parlament ohne Einmischung des Militärs und liberale Rechte für alle im Land.

„Bis jetzt sind sie auch recht erfolgreich“, sagt Soe Myint, Chefredakteur des führenden unabhängigen Medienhauses Mizzima News, der wie viele Journalisten nach dem Putsch das Land verlassen hat und jetzt von Thailand aus arbeitet. „Die Militärjunta hat Ende Januar selbst zugegeben, dass sie die Hälfte des Territoriums von Myanmar nicht unter Kontrolle hat.“

Allerdings sind die Herausforderungen riesig. Nicht wenige der NUG-Mitglieder befinden sich im Ausland. „Die Anführer sind über Myanmar verteilt“, berichtet Soe Myint. „Deshalb ist es schwierig, sich zu treffen. Sogar in den vom Militär befreiten Gebieten besteht das Risiko, abgehört zu werden. Von zentraler Bedeutung ist daher das Internet.“ Hinzu kommen die ständigen Angriffe der Militärs.

Und die Gewalt dürfte kaum aufhören. Einerseits wird das Militär laut UN-Berichten aus dem Ausland mit Waffen versorgt. Andererseits hat die NUG das Problem, dass sie zwar in einigen Ländern der Welt inoffizielle Repräsentanzen unterhält, offiziell aber von keinem Staat anerkannt ist – wenngleich sich diverse westliche Staaten rhetorisch mit ihr solidarisieren. So muss die Demokratiebewegung ihre Waffen zu höheren Preisen auf dem Schwarzmarkt kaufen und hat keinen Zugang zu Geldreserven in Übersee.

Und selbst wenn die NUG über das Militär siegen sollte, wäre damit noch lange kein Frieden hergestellt. „Myanmar hat im Prinzip seit dem Zweiten Weltkrieg keinen richtigen Frieden gekannt. Es gab ja immer bürgerkriegsähnliche Zustände“, sagt Felix Girke, ein Kultur- und Sozialanthropologe an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz, der gerade ein Buch über das kulturelle Erbe Myanmars schreibt. „Viele ethnische Minderheiten sind selbst bewaffnet und versuchen, Kontrolle über ein Territorium zu erlangen.“

Zudem sind wegen der jahrzehntelangen Diskriminierungspolitik – für die mehrere NUG-Vertreter als Teil der Regierung vor dem Putsch mitverantwortlich waren – viele Minderheiten zögerlich gegenüber den Vorhaben der Demokratiebewegung. „Viele Akteure sind sich einig, dass das Militär eine große Bedrohung für ihre Interessen ist“, so Felix Girke. Aber mit dem Blick auf die Versprechen der NUG für eine Zeit nach dem Militär fehlen Zusagen zur Autonomie von Minderheiten. „Was da als positive Vision dahintersteht, ist noch immer nicht klar.“

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Erstellt:
13. April 2023, 16:28 Uhr

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