Südwest-Grüne erwarten von CDU große Zugeständnisse

dpa Stuttgart. Es war auf Messers Schneide: In Baden-Württemberg muss der grüne Wahlsieger Kretschmann Schwerstarbeit leisten, um seine misstrauische Parteibasis von einer neuen Koalition mit der CDU zu überzeugen. Jetzt muss er liefern - und die CDU wohl Federn lassen.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gibt eine Regierungserklärung im Landtag von Baden-Württemberg ab. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gibt eine Regierungserklärung im Landtag von Baden-Württemberg ab. Foto: Sebastian Gollnow/dpa/Archivbild

Nach dem großen Widerstand bei den Grünen in Baden-Württemberg gegen eine Koalition mit der CDU bemühen sich die Spitzen beider Parteien, Zweifel an einer Neuauflage der grün-schwarzen Koalition zu zerstreuen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann traf sich am Karfreitag mit dem grünen Landesvorstand in Stuttgart, um ausführlich seine Beweggründe für eine Koalition mit der CDU und gegen eine Ampel mit SPD und FDP zu erklären.

Wie die Deutsche Presse-Agentur erfuhr, wurde mehr als fünf Stunden lang kontrovers diskutiert. Danach teilten die Grünen mit: „Wir sind bereit für einen Neustart mit der CDU, um ab sofort mit neuer Energie die Zukunft Baden-Württembergs zu gestalten. Die CDU ist unserem Eindruck nach bereit, die Bremsen zu lösen und gemeinsam mit uns voranzugehen.“

Die Union ließ sich von den ursprünglichen Bedenken bei den Grünen nicht beirren und gab in ihren Gremien einstimmig grünes Licht für Koalitionsverhandlungen. CDU-Landeschef Thomas Strobl sagte: „Die Sondierungsgespräche zeigen: Wir haben eine gemeinsame Idee für Baden-Württemberg.“ Die Grüne Jugend widersprach, die Entscheidung sei „ein schlechter Aprilscherz“. Sie will das weitere Verfahren kritisch begleiten.

Schon an diesem Samstag wollen Grüne und CDU mit einem gemeinsamen Papier die Grundlage für die Koalitionsgespräche schaffen. Danach ist im Stuttgarter Haus der Architekten ein gemeinsamer Auftritt vor der Presse geplant. Die Ökopartei erwartet nun, dass die Union vor allem beim Klimaschutz besser mitzieht als in den vergangenen fünf Jahren.

Strobl hatte in der Sondierung dem Vernehmen nach weitgehende Versprechen gemacht. So müssen sich Häuslebauer darauf einstellen, dass es eine Solarpflicht für Neubauten gibt. Auch die Windkraft soll nach dem Willen der Grünen massiv ausgebaut werden. Der grüne Bundestagsabgeordnete Cem Özdemir ermahnte die CDU, kompromissbereit zu bleiben. Die Zusage sei „jetzt kein Freibrief“ für die Union.

Die Arbeitgeber im Südwesten, die Anfang der Woche massiv Stimmung gegen eine Ampel gemacht hatten, formulierten andere Erwartungen. Rainer Dulger, Präsident der Unternehmer, forderte neue Impulse für den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg. Es dürfe kein „Weiter so“ geben. Vielmehr brauche es eine Politik, „die auf Investitionen statt auf Wohltaten setzt, Bildung priorisiert, Infrastruktur leistungsfähig macht, eine wettbewerbsfähige Energieversorgung befördert, Innovationen begünstigt sowie Belastungen und Bürokratie reduziert“.

Der grünen Zusage an die CDU war eine schwere Belastungsprobe vorausgegangen. Der Grünen-Vorstand hatte am Donnerstag das Votum des Verhandlungsteams um Kretschmann für eine Koalition mit der CDU zunächst aufgehalten. Am Vormittag hatten dem Vernehmen nach vor allem die Jüngeren eine Ampel bevorzugt und Kretschmann widersprochen. Der 72-jährige Garant für den Wahlsieg will mitten in der schweren Corona-Krise an der Regierung mit der CDU festhalten und verwies auf weitgehende Zugeständnisse der Union in der Sondierung.

Wegen des Widerstands war die Schalte nach drei Stunden vertagt worden. Nach internen Krisengesprächen wurde am späten Nachmittag eine neue Vorstandsschalte angesetzt. Nach nur kurzer Zeit kam das Votum für eine Fortsetzung der bisherigen grün-schwarzen Koalition. 13 Mitglieder stimmten dafür, 4 dagegen, 2 enthielten sich.

Der Sprecher der Grünen Jugend, Deniz Gedik, erklärte danach die Beweggründe für die Skepsis: „Dass die CDU kein zuverlässiger Partner ist, hat sie in der letzten Legislatur gezeigt. Jetzt einfach in dem alten Bündnis weiterzumachen, ist ein Schlag ins Gesicht aller engagierten grünen Mitglieder, die für einen echten Aufbruch Wahlkampf gemacht haben.“ Auch die Klimabewegung Fridays for Future hatte dringend von einem Bündnis mit der CDU abgeraten.

Die Grünen hatten die CDU bei der Landtagswahl vor zweieinhalb Wochen klar hinter sich gelassen. Sie kamen auf historisch gute 32,6 Prozent, die CDU nur noch auf 24,1 Prozent. Daraufhin hatte die Union Sorge, sie könne bei einer Ampel neben der AfD in der Opposition landen. Nun haben Grüne und Schwarze etwa sechs Wochen Zeit, um einen Koalitionsvertrag auszuarbeiten. Kretschmann würde sich gern - wenn möglich - am Tag nach der ersten Sitzung des Landtags zum dritten Mal zum Ministerpräsident wählen lassen.

Die Entscheidung im Südwesten ist auch ein Signal an Berlin, knapp ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl: Hätten sich die Grünen für SPD und FDP entschieden, wäre es die erste grün-geführte Ampel-Koalition bundesweit gewesen. Kretschmann, der sich gut mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) versteht, kann sich aber auch ein Bündnis mit der Union vorstellen - im Zweifel auch mit einer Grünen oder einem Grünen im Kanzleramt. Strobl, der in der vergangenen Wahlperiode als Vertrauensmann Kretschmanns galt, berichtete in der Schalte mit dem Landesvorstand und den Kreisvorsitzenden dem Vernehmen nach, Merkel habe ihm drei Worte zukommen lassen: „Macht was draus.“

Die Bundes-Grünen liegen in den Umfragen wegen des Sinkflugs der Union aufgrund der Maskenaffäre und des Corona-Managements nur noch knapp hinter CDU und CSU. Derzeit würde es sogar für ein grün-rot-gelbes Bündnis unter Führung der Ökopartei reichen. Hier ist allerdings FDP-Chef Christian Lindner sehr skeptisch.

Die Südwest-FDP zeigte sich nach dem grünen Nein zur Ampel enttäuscht und erklärte, man sei auf Grüne und SPD inhaltlich zugegangen. „Wir waren aber nicht dazu bereit, die FDP völlig Regulierungs- und Verbotsvorstellungen der Grünen zu unterwerfen“, hieß es in einer Mitteilung von Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. „Anders als die FDP hat sich die CDU den Grünen total unterworfen.“

Rülke glaubt nicht an eine stabile Neuauflage von Grün-Schwarz: „Viele grüne Abgeordnete und Parteifunktionäre haben deutlich gemacht, dass sie von der Koalition mit der CDU gründlich die Nase voll hätten und sie gern verlassen möchten“, sagte er der „Pforzheimer Zeitung“ (Samstag). „Es kann durchaus sein, dass diese Koalition vor der Zeit zerbricht.“ Für die SPD kritisierte Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch, die Grünen hätten sich „für ein mut- und kraftloses Weiter so“ entschieden.

© dpa-infocom, dpa:210401-99-53199/6

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Erstellt:
1. April 2021, 11:11 Uhr

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