Nackt im Museum kommt nach Stuttgart

Das Haus der Geschichte wagt ein ungewöhnliches Experiment. An zwei Tagen dürfen Besucherinnen und Besucher zur Sonderausstellung „Frei Schwimmen - Gemeinsam?!“ nur nackt hinein. Was FKK-Fans daran reizt – und warum die Termine rasch ausgebucht waren.

Ums Schwimmen und Nacktsein geht es in der aktuellen Ausstellung im Haus der Geschichte.

© Tröller/Haus der Geschichte

Ums Schwimmen und Nacktsein geht es in der aktuellen Ausstellung im Haus der Geschichte.

Von Uwe Bogen

Stuttgart - Nachts im Museum – was für unglaubliche Dinge zur späten Stunde geschehen, wissen wir aus den Hollywood-Filmen mit Ben Stiller. Nackt im Museum – aaber auch dies scheint reizvoll zu sein. Aus Paris, Marseille und Hannover werden Publikumserfolge gemeldet, sobald dem Publikum erlaubt wird, die Hosen oder Röcke fallen zu lassen.

So etwas gab’s im Haus der Geschichte noch nie: Am 30. August und 13. September lautet der Dresscode beim Besuch: Nichts als die nackte Haut! Anlass ist die Sonderausstellung „Frei Schwimmen - Gemeinsam?!“, in der es darum geht, was Badende seit Generationen eint und trennt. „Im Becken spiegelt sich die Gesellschaft“, lautet eine Erkenntnis der Kuratoren, „unterschiedliche Moralvorstellungen begegnen sich hier – mal mehr und mal weniger harmonisch.“

Garderoben und Schließfächer werden installiert

Was die einen für moralisch verwerflich halten, ist für andere „der natürliche Zustand“ des Menschen. „Es ist an der Zeit, dass das einfache Nacktsein als nichts besonderes angesehen wird und in der Gesellschaft nicht länger intuitiv mit sexuellen Handlungen verbunden wird“, heißt es auf der Homepage des Vereins Get Nacked Deutschland, der gemeinsam mit dem Haus der Geschichte zum hüllenlosen Museumsbesuch einlädt.

Ruckzuck waren für die beiden Führungen alle Plätze ausgebucht. Wird sich auch der Museumsmitarbeiter, der die Ausstellung erklärt, ausziehen? „Das bleibt ihm überlassen“, sagt eine Sprecherin des Hauses der Geschichte unserer Redaktion. Freie Plätze gibt es an den beiden Tagen nur noch nach 18.30 Uhr, wenn die Führungen gelaufen sind. Garderoben und Schließfächer werden für die beiden Nackttage installiert. Das Museum empfiehlt, ein Handtuch mitzubringen (um sich hinsetzen zu können) sowie Badeschlappen zweck Hygiene.

Was fasziniert so viele Menschen an der Idee, splitterfasernackt durch eine Ausstellung zu laufen? Thomas Numberger, seit fast drei Jahrzehnten Aktmodell und tief in der FKK-Szene verwurzelt, hat eine klare Erklärung dafür: „Viele Menschen tragen ein starkes Interesse an Nacktheit und deren gesellschaftlicher Bedeutung in sich – oft verborgen, manchmal offen.“

Numberger, studierter Geisteswissenschaftler, vermittelt seit 25 Jahren ehrenamtlich Aktmodelle an Kunsthochschulen, Filmproduktionen und andere Projekte. Er beobachtet eine auffallend hohe Zahl von Menschen, die sich gerne nackt zeigen – nicht nur Männer, auch viele Frauen. „Der Unterschied ist nur, dass Frauen in unserer Gesellschaft immer noch mit anderen Maßstäben gemessen werden. Während männlicher Exhibitionismus oft belächelt wird, gilt weibliche Freizügigkeit schnell als anrüchig“, sagt er.

Viele wollen nackt sein,‚ohne anzuecken

Für viele sei Nacktheit vor allem eines: ein Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen – ein Schritt zurück in die Unbekümmertheit der Kindheit, als man ohne Sorgen nackt herumrannte, sagt der FKK-Experte. „Ohne Kleidung fällt ein Stück Alltagsballast ab“, erklärt Numberger, „ich merke an mir selbst, dass ich dann sehr viel entspannter, ausgeglichener und fröhlicher bin.“

Gleichzeitig macht er deutlich: „Natürlich gibt es auch zahlreiche Männer, die durch Nacktheit in der Gegenwart anderer Menschen auf Beziehungs- oder Sexualpartner hoffen.“ Doch dies sei nur ein Teil des Gesamtbilds. Egal ob erotische, exhibitionistische oder psychologische Motive – es gebe erstaunlich viele Menschen, die sich gut dabei fühlten, wenn sie nackt in der Gegenwart anderer Menschen seien.

Und genau damit kommt die gesellschaftliche Spannung ins Spiel: „Unsere kulturellen Normen sagen uns, dass es sich nicht gehört, sich nackt in der Öffentlichkeit und vor anderen Menschen zu zeigen“, sagt Thomas Numberger, „deshalb suchen viele gezielt nach Situationen, in denen sie nackt sein dürfen, ohne anzuecken – in der Sauna, am FKK-Strand, bei Kunstaktionen oder eben in einer Ausstellung.“

Dabei spielt die Gruppenerfahrung eine große Rolle. In der Gemeinschaft fällt es vielen leichter, sich zu entblößen – das Gefühl von Normalität entsteht oft erst dann, wenn man nicht allein nackt ist.

Baden-Württemberg gilt nach seinen Worten als Hochburg für FKK- und Nacktinteressierte – doch viele reisten für Nacktwanderungen lieber in andere Bundesländer. „Die Schwaben stellen oft die größte Gruppe – aber im eigenen Land hält man sich zurück. Da fragt man sich wohl zu sehr, was die Nachbarn denken“, meint Numberger.

Seine Einschätzung zur Museumsidee fällt etwas nüchtern aus: „„Ich glaube, dass sich viele Teilnehmer gar nicht primär für die Ausstellung interessieren. Es ist vielmehr eine Gelegenheit, in einem seriösen Rahmen – im Museum, in einer geschützten Umgebung – nackt sein zu dürfen, ohne dafür schief angeschaut zu werden.“ Der Verein Get Naked begrüßt es, wenn die Menschen Naturismus auch außerhalb von begrenzten FKK-Zäunen ausleben können.

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Erstellt:
8. August 2025, 11:32 Uhr
Aktualisiert:
8. August 2025, 22:00 Uhr

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