Naturfreunde begeben sich an Orte der Taten

100 Jahre Naturfreunde Backnang: Führung zu Gedenkstätten des KZ Welzheim ist ein Teil des zweitägigen Festprogramms

Die Naturfreunde Backnang haben ihr 100-jähriges Bestehen mit einem zweitägigen Programm gefeiert. Als Arbeiterkulturverein gegründet, verstehen sie sich heute als Verband für Umweltschutz, sanften Tourismus, Sport, Kultur. Diese Zielrichtungen spiegelten sich im Programm wider. Ein eindrücklicher, hochaktueller Punkt: Die Führung zu den KZ-Gedenkstätten in Welzheim.

An den Orten der Tat: Heinrich Lindauer erläutert vor der ehemaligen KZ-Kommandantur stehend die Geschichte des Welzheimer Lagers. Im Wald bei Welzheim hat man im Henkersteinbruch ein Mahnmal aus zwölf roten Stelen errichtet. Fotos: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

An den Orten der Tat: Heinrich Lindauer erläutert vor der ehemaligen KZ-Kommandantur stehend die Geschichte des Welzheimer Lagers. Im Wald bei Welzheim hat man im Henkersteinbruch ein Mahnmal aus zwölf roten Stelen errichtet. Fotos: J. Fiedler

Von Nicola Scharpf

BACKNANG/WELZHEIM. „Wir hoffen alle, dass sich die Geschichte nicht wiederholt“, sagt Peter Müller und nennt im nächsten Atemzug das Erstarken der AfD. Viele Naturfreunde seien durch die Maschinerie der Nazis gelaufen. „Unsere große Sorge ist, dass sich die Geschichte wiederholt.“ Peter Müller ist das Vorstandsmitglied der Backnanger Naturfreunde, das eine Führung zu den Gedenkstätten des KZ Welzheim in die Wege geleitet hat – als ein Programmpunkt zum 100-jährigen Bestehen der Backnanger Ortsgruppe. Zusammen mit gut 20 Vereinsmitgliedern steht er am Gottlob-Bauknecht-Platz in der Welzheimer Innenstadt vor einem freundlich gelb gestrichenen stattlichen Gebäude mit hellgrauen Fensterläden. Es ist heute das Notariat. Früher war es das Amtsgerichtsgebäude mit dahinter liegendem Gefängnis. Und während der Diktatur der Nationalsozialisten war es ein Ort der Tat: Die Kommandantur des KZ Welzheim. 10000 bis 15000 Menschen wurden unter dem NS-Regime durch das Lager geschleust, 65 starben hier oder im Henkersteinbruch, der etwas außerhalb der Stadt im Wald liegt. Aus zwölf roten Stelen besteht heute das Mahnmal, das an die Opfer erinnert. Die letzte Stele, an der man den Galgen vermutet, ist mit einem schwarzen Kranz gekennzeichnet.

Erhängen war in Welzheim das Mittel der Wahl, nicht erschießen. Mancher wurde auch zu Tode gefoltert. Makaber: Der Galgen stammte aus der KZ-eigenen Zimmerei, wurde also von KZ-Insassen gefertigt. Auch die Henkersknechte waren Häftlinge. Es ist weniger die kalte Nässe dieses Samstagnachmittags, die einen schaudern lässt, als vielmehr die bedrückende Schilderung dessen, was über das KZ überliefert ist – erzählt von Heinrich Lindauer vom Historischen Verein. Als Welzheimer Bürger sieht er sich in der Pflicht, dass die Gräueltaten nicht in Vergessenheit geraten. Das Anliegen, die unrühmliche KZ-Geschichte aufzurollen, mündete 2012 in eine Sonderausstellung im Welzheimer Museum, die als Wanderausstellung auch schon in der Kreissparkasse in Backnang zu sehen gewesen ist.

Das KZ sei mitten in der Stadt gewesen, nicht außerhalb wie etwa das KZ Dachau, sagt Lindauer. „Man hat es gewusst.“ Die Häftlinge – vorwiegend Kommunisten, Sozialisten, Spione, Geistliche, Ausländer oder Fremdarbeiter, die Rassenschande begangen hatten – waren in der Stadt präsent, weil die Werkstätten, in denen sie tätig waren, über das Stadtgebiet verteilt waren. Saßen im ehemaligen Amtsgefängnis vor 1933 nur acht Häftlinge ein, sollen es am Ende der Nazizeit bis zu 200 Menschen gewesen sein. War die Mauer um das Gelände anfangs noch drei bis vier Meter hoch, wurde sie später noch erhöht und zusätzlich mit Stacheldraht gesichert. „Die SA-Aufseher waren oft Arbeitslose, die über die Partei zu Ruhm und Ehre gekommen sind“, erzählt Lindauer. Durch die überhandnehmenden Kriegshandlungen und die Vielzahl der Inhaftierten habe es zunehmend personelle Engpässe gegeben, weshalb auch Welzheimer Bürger zum Dienst im KZ verpflichtet wurden. Das Lager hat bis zum 18. oder 19. April 1945 existiert. Am 20. April marschierten in Welzheim die Amerikaner ein. Listen der KZ-Insassen existieren nicht. Die Bewachungsmannschaft hatte sie vernichtet.

Lagerkommandant Karl Buck wurde übrigens in Frankreich zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde nicht vollstreckt und verhinderte, dass er in Deutschland ein zweites Mal verurteilt werden konnte. Buck soll bis zu seinem Tod zurückgezogen und frei in Rudersberg gelebt haben. „Das ist unbegreiflich“, schüttelt Lindauer den Kopf. Es waren der Unfassbarkeiten viele, die die Führungsteilnehmer mit ins Naturfreundehaus Welzheim nahmen, wo sie den Tag ausklingen ließen.

Naturfreunde begeben sich an Orte der Taten

© Jörg Fiedler

Info
Naturfreunde zum Klima

Andreas Linsmeier, Vorsitzender der Naturfreunde Württemberg, hat bei den Feierlichkeiten der Backnanger Ortsgruppe Position zum Thema Klimawandel bezogen: Ziel der Naturfreunde ist, Ökologie und soziale Gerechtigkeit zusammenzubringen. So muss die Energiewende sozial gestaltet werden.

Die Naturfreunde sprechen sich für eine CO2-Steuer aus, weil sie den CO2-Ausstoß verringert und damit die Umweltschäden, weil sie im Verkehrssektor stark wirksam ist, weil Unternehmen mit einer festen Steuer besser planen können, weil sie schnell wirkt.

Die eingenommenen Gelder müssen rückverteilt und/oder erkennbar für den Klimaschutz eingesetzt werden. Die Menschen müssen die Gelegenheit bekommen, sich CO2-arm zu verhalten.

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Erstellt:
7. Oktober 2019, 06:00 Uhr

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