Generationenzwist

Nennt sie nicht Boomer!

Sie sind viele und müssen aktuell als Sündenbock für alles herhalten, was gesellschaftlich und sonst noch so schief läuft. Eine Verteidigungsrede im Namen der Babyboomer.

Die Babyboomer waren viele – und das ist heute ihr Problem.

© dpa/Waltraud Grubitzsch

Die Babyboomer waren viele – und das ist heute ihr Problem.

Von Hilke Lorenz

Wer kommt eigentlich nach der Generation Z? Schnalzt das Generationenzählwerk von Z demnächst wieder auf A zurück? Wie beim Fahrradtacho? Die Fragen stellen heißt, sie nicht beantworten zu können. Irgendwann gab es ja auch mal eine Generation Golf. Auf die 68er, die nicht ins Alphabet eingereiht wurden, folgten die Babyboomer, je nach Forschendem geboren von Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre. Dann kam die Pille, und aus war’s mit den Babyboomern.

Lange konnten sie unbehelligt leben. Heute ist Boomer ein Schimpfwort. Die Nennung des Wortes geht mit einem Augenrollen und einem verhaltenen Stoßseufzer einher. Soll heißen: Na, sie wissen es halt nicht besser. Denn die Babyboomer sind ein echtes Problem. Eigentlich das Problem schlechthin. Wenn gar nichts mehr geht, dann sind sie schuld. Durch ihr bloßes Dasein. Am Klimawandel, auch wenn sie als Ökos durch die Welt gelaufen sind und sich für ihre Urlaube ein Interrail-Ticket – und kein Flugticket – gekauft haben. Und überhaupt sind sie aus der Zeit gefallen, weil sie nicht immer korrekt gendern. Und so sehen sie sich einer gar fürchterlichen, jüngst auf Twitter geäußerten, Drohung ausgesetzt. „Immer wenn ein Boomer einen Gegenstand ironisch gendert, wird zur Rache ein 70s Rocksong zu einem Tiktok-Sound remixed“ heißt es da. Ja nun!

Schuld, weil sie da sind

Denn was als Megaprovokation boomerseits noch dazukommt: Sie sind viele, und das waren sie ja schon immer. Sie saßen schon als Kinder in viel zu großen Schulklassen. Doch daran haben sie sich längst gewöhnt.

Aber genau das wird ihnen nun jenseits ihrer Ewiggestrigkeit zum Verhängnis. Weil sie immer so viele waren, sind sie jetzt auch schuld am aktuellen und noch viel fürchterlicher werdenden Fachkräftemangel. Und wenn sie sich dann als lernfähig erweisen und dem Life-Work-Balance-Prinzip der Millennials folgen und nicht bis zum Rentenstichtag arbeiten, sind sie schuld, dass immer weniger junge Menschen einen Berg von Rentnerinnen und Rentnern durchfüttern müssen. Wie sie sich auch entscheiden und was sie auch tun– es ist immer falsch. Ein echtes Dilemma ist das.

Denn wenn sie ausharren und noch ein bisschen bleiben, weil das neue Fünfundsechzig nicht nur modisch das alte Fünfzig ist, blockieren sie die Jobs, die Jüngere bereits im Visier haben. Kann man verstehen, macht es aber nicht leichter. Patt nennt man diese Situation beim Schach.

Höchste Zeit also für einen Stoßseufzer zurück. Versuchen wir’s mal so: In Generationen zu denken ist vielleicht für soziologische Klassifizierung in Kohorten sinnvoll. Es macht sich gut in akademischen Fußnoten. Dem Miteinander tun diese Abgrenzungen zwischen den Jahrgängen nicht unbedingt immer gut. „Immer diese Boomer“, dieser zwischen den Zähnen rausgequetschte Satz ist in den seltensten Fällen als Freundschaftsanfrage gemeint.

Lebensalter ist kein Verdienst

Was also tun? Natürlich verbinden gemeinsame Erfahrungen, die furchtbaren Moden einer Zeit (Schulterpolster, Karottenjeans und Jutebeutel) genauso wie die Kämpfe um den Schulstreik am Freitag. Ein persönliches Verdienst sind jedoch weder Jugend noch Alter. Ersteres wächst sich irgendwann aus. Und vor einem war immer schon eine oder einer da. Eine(r) muss den Tisch ja schließlich decken. An dem sollten die Kontrahenten viel öfter sitzen und reden, von Mensch zu Mensch. Frei nach dem Motto „We are the world“. Unremixed natürlich.

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Erstellt:
16. Februar 2023, 10:16 Uhr

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