Netanjahus Krieg ist nur noch Selbstzweck

Israels Regierungschef will sein Bündnis mit den radikalen Rechten retten – und isoliert dabei sein Land.

Von Eidos Import

Es gab eine Zeit, da war Israels Krieg in Gaza gerechtfertigt. Nach dem beispiellosen Massaker der Hamas vom 7. Oktober, der Auslöschung ganzer Familien, der Entführung von Alten, Kranken und Kindern hatte Israel sogar die Pflicht, zurückzuschlagen – strategisch, militärisch, moralisch. Nicht nur an die Hamas, sondern an alle seine Feinde musste der jüdische Staat eine Warnung senden: Wer Israel so etwas antut, wird aufs Härteste bestraft. Wer Israelis foltert, ermordet, entführt, wird es bereuen.

Manche Beobachter haben Israels Angriffe auf die Hamas in Gaza schon am Tag nach dem Massaker scharf kritisiert. Bereits im November 2023 sprachen Kommentatoren, unter anderem auf Qatars Fernsehsender Al-Jazeera, von „Genozid“. In Teilen des Westens und der arabischen Welt gibt es – nicht erst seit dem Gazakrieg – einen Hang, Israel reflexhaft zu verurteilen und dabei routinehaft zu den denkbar schwersten Vorwürfen zu greifen („Apartheid“, „Völkermord“). Das ist nicht nur intellektuell und moralisch zweifelhaft. Es macht es auch schwerer, den schrillen Aktivismus von harter, aber legitimer Kritik zu trennen in Momenten, da Letztere nötig ist.

So ein Moment ist jetzt.

Den Krieg, den Israel heute in Gaza führt, kann das Oktober-Massaker nicht mehr rechtfertigen. Die Rettung der letzten Geiseln – in den Augen der meisten Israelis das wichtigste Kriegsziel – hat die rechts-religiöse Regierung längst anderen Zielen untergeordnet: Die Hamas soll vernichtet werden, was immer das heißt. Israels Armee soll große Teile Gazas besetzen und halten.

Wer dann für die zwei Millionen Palästinenser dort zuständig sein, wer Straßen sichern, Städte aufbauen, wer Schulen, Behörden und Kliniken am Laufen halten und wer für all das bezahlen soll – all diese Antworten bleibt Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen Bürgern und der Welt seit bald zwanzig Monaten schuldig.

Derweil sterben in Gaza Tag um Tag Männer, Frauen und Kinder: unter den Bomben der israelischen Armee, den Schüssen ihrer Soldaten, an den Folgen von Unterernährung, mangelnder Hygiene und fehlender medizinischer Versorgung, manche auch unter der Folter der Hamas. Das neue Arrangement, bei dem eine schwer greifbare, angeblich amerikanische Stiftung nun Hilfen in Gaza verteilt, steht sinnbildlich für Israels Vorgehen in Gaza.

Zwar ist jedes Essenspaket in den Händen hungriger Menschen ein Segen. Und der Hinweis darauf, dass Hamas-Männer zuvor UN-Hilfen plünderten, ist berechtigt. Aber das neue System hat so viele Mängel, dass selbst Insider es kritisieren. Und dass Israel die Stiftung heimlich selber finanzieren könnte, wie glaubhafte Quellen behaupten, passt in das Muster aus Zynismus, Intransparenz und dem Leugnen von Verantwortung.

Wie Umfragen zeigen, hat Israels Regierung den Rückhalt der Öffentlichkeit schon lange verloren. Über die Hälfte der Befragten glauben, Netanjahu führe den Krieg nur weiter, um sein Bündnis mit den radikalen Rechten zu retten. Den Krieg zu beenden, liegt zwar nicht allein an Israel: Die Hamas weigert sich noch immer, die letzten Geiseln freizulassen. Doch zu viel spricht dafür, dass Netanjahu und seine Partner dieses Ende gar nicht wollen.

Wegen der häufig maßlosen Vorwürfe gegen Israel im Laufe der Jahre haben viele seiner Politiker sich angewöhnt, jegliche Kritik aus dem Ausland als Zeichen des Judenhasses abzutun. Dass sich nun aber selbst Länder abwenden, die Israel einst freundlich gegenüberstanden, sollte der Regierung zu denken geben. Israel droht die Isolierung – und dieses Mal ist es nicht schuldlos daran.

Zum Artikel

Erstellt:
1. Juni 2025, 22:10 Uhr
Aktualisiert:
2. Juni 2025, 21:59 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen