Neuanfang in einer Zeit des Umbruchs

Heute vor 75 Jahren ist der Grundstein für die Backnanger Volkshochschule gelegt worden.

Das Bildungshaus auf dem ehemaligen Postareal in Backnang ist seit 2015 das Domizil der Backnanger Volkshochschule. Foto: VHS

Das Bildungshaus auf dem ehemaligen Postareal in Backnang ist seit 2015 das Domizil der Backnanger Volkshochschule. Foto: VHS

Von Ingrid Knack

Backnang. Am 8. Dezember 1946 wird die Backnanger Volkshochschule mit einer Feierstunde im Filmtheater in Backnang gegründet. Gut ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs stehen die Zeichen in allen gesellschaftlichen Bereichen auf Neuanfang. „Nach Jahren der Diktatur in Deutschland sollte der demokratische Neubeginn durch eine Bildungsinstitution für Erwachsene begleitet werden, der neu aufkommende Bildungshunger der Bürgerinnen und Bürger sollte befriedigt werden und vor allem sollte Bildung in der Fläche für jeden erreichbar und erschwinglich angeboten werden“, heißt es in dem im aktuellen Semesterprogramm veröffentlichten Rückblick der Backnanger Volkshochschule.

1946. Wir schreiben das Jahr, in dem Walter Baumgärtner zum Bürgermeister von Backnang gewählt wird. Der Elektrokonzern AEG eröffnet in den ehemaligen Gebäuden der Lederfabrik Fritz Häuser in der Gerberstraße einen Reparaturbetrieb für Kühlschränke, kurz darauf folgt die Abteilung Fernmeldetechnik nach „und begründet damit einen Wirtschaftszweig in Backnang, der heute noch zu den Wichtigsten zählt“, wie aus der Präsentation zur Ausstellung „Die Stunde Null in Backnang – Kriegsende und Nachkriegszeit“ der Stadt Backnang im Jahr 2005 hervorgeht. Sie gibt einen guten Einblick in die Hoffnungen und Herausforderungen in dieser Zeit. Zu Letzteren gehörte auch das: „Bereits kurz nach Kriegsende strömten zahlreiche Flüchtlinge aus dem Osten nach Deutschland und stellten die Kommunen vor große Probleme. Ein Höhepunkt der Flüchtlingswelle war im Jahr 1946 erreicht, als allein im Mai d. J. 4172 Flüchtlinge aus dem Osten durch die Flüchtlingslager des Landkreises Backnang geschleust wurden.“

Fabrikant Häuser hilft finanziell, erstes Domizil ist in der Buchdruckerei Stroh

Zudem geht es um Entnazifizierung, um Verbesserung der Versorgungslage, um Wiederaufbau. Und um das zentrale Anliegen der Volkshochschulen, „die Freude an Bildung, an Selbstveränderung und Weiterentwicklung unabhängig von Alter und sozialer Herkunft zu wecken“, wie es im Leitbild der Volkshochschulen heißt, von denen einige schon seit 1919 existieren. Diesem Ziel schließen sich nun auch Mitarbeiter der Militärregierung, des Kultusministeriums und des öffentlichen Lebens bei der Gründung der Backnanger VHS an. Zum 50-Jahr-Jubiläum am 10. Oktober 1996 schreibt Helmut Bomm in der Backnanger Stadtchronik: „Mit einem Festakt im Bürgerhaus wird das 50-jährige Bestehen der Volkshochschule (VHS) Backnang gefeiert. Entscheidend mit zur Gründung beigetragen hat 1946 die Besatzungsmacht, die darauf drängte, daß sich die VHS aufs Land ausweitete. Allerdings habe es auch in den Anfangsjahren strenge Auflagen seitens der Besatzungsmacht gegeben.“

Die Volkshochschule im Haus Oelberg 10 in den 1960er-Jahren. Archivfoto BKZ

Die Volkshochschule im Haus Oelberg 10 in den 1960er-Jahren. Archivfoto BKZ

Der Lederfabrikant Fritz Häuser legt nach den Ausführungen von VHS-Leiterin Monika Eckert Mitte der 1940er-Jahre den finanziellen Grundstock für die Backnanger Volkshochschule. Diese findet zunächst in einem Raum der Buchdruckerei Stroh im ersten Stock in der Postgasse eine Unterkunft, danach im Erdgeschoss des Stadtbauamts, im Jägerstüble des Bahnhofhotels und ab 1963 im Haus Oelberg 10. „1951 wurde der Volkshochschulverein gegründet. Ab 1965 gab es die erste hauptamtliche VHS-Leitung. 1981 überlässt die Stadt der VHS ein Gebäude am Etzwiesenberg, eine ehemalige Hemdenfabrik, später hauswirtschaftliche Berufsschule als Haus der Volkshochschule. 2015 bezieht die VHS das Gebäude in der Bahnhofstraße 2“, so Eckert. Früher befand sich dort das Postareal.

Die Volkshochschule ging schnell in die Vollen. Nach zweieinhalb Jahren ihres Bestehens waren nach den Worten von Monika Eckert 206 Kurse und Vorträge mit insgesamt 22000 Besuchern realisiert worden. „Sprachkurse, Kurse zur beruflichen Bildung, zu Literatur, Gesellschaftswissenschaften und Gesundheitsbildung gehörten von Anfang an zum Angebot. Seither wurde das Angebot kontinuierlich erweitert und professionalisiert.“ Bei der Feier zum 30. Geburtstag der VHS 1976 bezeichnet der damalige VHS-Vorsitzende Walter Baumgärtner die Einrichtung als „Supermarkt in Bildung“.

„Heute ist die VHS nach einem anerkannten Qualitätsmanagementsystem zertifiziert“, führt Eckert aus. Das Angebot ändere sich je nach gesellschaftlichen Trends und Themen. So habe es etwa in den 1980er- und 1990er-Jahren eine riesige Nachfrage nach EDV-Kursen gegeben.

Aus Kursen der VHS sind zahlreiche Initiativen im Bildungs- und Kulturbereich hervorgegangen: 1974 beispielsweise wurde die Abendhauptschule gegründet. Sie besteht bis heute. Die Gruppe „Maler der Baracke“ ist aus einem Kurs hervorgegangen, und ein Pädagogikseminar gab den Anstoß zur Gründung des Waldorfkindergartens. 1985 gründeten die Volkshochschule, der Verein Altenhilfe und das Rote Kreuz die Seniorenvolkshochschule.

Eine Aufnahme, die zu einem BKZ-Artikel am 2. November 1968 veröffentlicht wurde: Blick ins Geschäftszimmer der VHS mit den Mitarbeiterinnen namens Ilse Wagner (Geschäftsführerin ab 1971) und Frau Bohner. Foto: hp

Eine Aufnahme, die zu einem BKZ-Artikel am 2. November 1968 veröffentlicht wurde: Blick ins Geschäftszimmer der VHS mit den Mitarbeiterinnen namens Ilse Wagner (Geschäftsführerin ab 1971) und Frau Bohner. Foto: hp

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Erstellt:
8. Dezember 2021, 06:00 Uhr

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