Neubau für Obdachlose und Flüchtlinge verschoben

Backnanger Gemeinderat hebt Baubeschluss für Ersatzbau in der Fabrikstraße nicht auf, setzt ihn aber bis Ende März 2020 aus

So sollte der Neubau an der Fabrikstraße aussehen. Die Pläne liegen griffbereit in der Schublade.

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So sollte der Neubau an der Fabrikstraße aussehen. Die Pläne liegen griffbereit in der Schublade.

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Ziemlich genau vor einem Jahr hatte der Backnanger Gemeinderat beschlossen, die Obdachlosenunterkunft in der Fabrikstraße 5/1 abzureißen und an ihrer Stelle einen Neubau für geflüchtete und obdachlose Menschen zu erstellen. Nun aber haben die Stadträte in ihrer Sitzung am Donnerstagabend einstimmig beschlossen, das Projekt vorerst auf Eis zu legen. Der Baubeschluss wird zwar nicht aufgehoben, aber vorerst bis zum 31. März nächsten Jahres ausgesetzt.

Das Projekt war ursprünglich schon auf dem besten Weg, zügig realisiert zu werden. Nach dem Baubeschluss vom Oktober 2018 wurde der Auftrag für den Holz-Modul-Neubau an die Firma Modus Systembau GmbH in Welzheim vergeben. Und auch der Abriss der ehemaligen Baracke ging problemlos über die Bühne. Dann jedoch meldete Modus Systembau Ende Januar dieses Jahres Insolvenz an. Die Kündigung des Bauvertrags erfolgte im April ohne finanzielle Nachteile für die Stadt Backnang.

Nun zeigt sich, dass die Misere vielleicht auch etwas Gutes hat, denn der Bedarf speziell im Bereich Flüchtlingsunterkünfte existiert in der Form nicht mehr. Die Zuweisungsquote für die Anschlussunterbringung ging deutlich zurück. Zu Beginn der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 musste Backnang 25 Personen in Anschlussunterkünften unterbringen. Im Jahr darauf waren es schon 111 Personen, bevor im Jahr 2017 der Höhepunkt mit 248 Personen erreicht wurde. Seither sinkt die Zuweisung deutlich. Im Vorjahr waren es noch 141 Personen, in diesem Jahr nur 38 Menschen. Sie sind alle schon mit Wohnraum versorgt. Mehr noch: Obwohl die Quote für 2020 noch nicht bekannt ist, hat die Stadt im Vorgriff bereits für 19 Personen Unterkünfte besorgt. Erster Bürgermeister Siegfried Janocha begründete diesen Schritt damit, dass die Stadt so Einfluss hatte auf die Auswahl der Flüchtlinge: „Wir hatten so die Chance, Familien zugewiesen zu bekommen“. Und Familien sind deutlich einfacher zu betreuen als die gleiche Anzahl an zum Beispiel jungen Männern.

Siegfried Janocha: Die Zahlen sind immer nur eine Momentaufnahme

Janocha warnte jedoch vor der Auffassung, dass damit das Problem der Unterbringung für immer geregelt sei, „das ist eine Momentaufnahme, die Zahlen der geplanten Zuweisung können sich jeden Tag ändern“. Die Entspannung bei der Belegung in der Anschlussunterbringung der Stadt erfolgte auch durch den Umzug der Flüchtlinge in private Unterkünfte oder Wohnungen der Stadt Backnang und der Städtischen Wohnbau GmbH sowie durch Wegzüge. Janocha hat den Eindruck, dass speziell syrische Flüchtlinge oft in „normalem Wohnraum“ unterkommen würden. Zumal das Angebot durch die Städtische Wohnbau und die Stadt selbst, aber auch durch private Investoren verbessert worden ist. So lautete Janochas Fazit: „Im Bereich Asylbewerber haben wir derzeit kein Problem mit der Unterbringung. Vorausgesetzt, dass der Familiennachzug nicht in großem Stil ermöglicht wird.“

In diesem Jahr wohnen 134 Flüchtlinge in den Unterkünften Hohenheimer Straße. 45 dieser Asylbewerber sind in den sogenannten Nusser-Bauten untergebracht. Diese müssen abgerissen werden, wenn die Waldorfschule ihre Erweiterungspläne umsetzt, vermutlich 2021.

Die Verwaltung geht allerdings davon aus, dass zum Beispiel im nächsten Jahr Wohnungen im Altbestand frei werden, weil die Städtische Wohnbau in der Mühlstraße Wohnraum für 78 Personen erstellt. Rechnerisch würden bei einer Zuweisung von knapp über 50 Flüchtlingen diesen fast 100 vorhandene Plätze gegenüberstehen. Probleme könnte es jedoch 2021 geben, wenn es nach dem Wegfall der Nusser-Bauten einen Bedarf von 93 Plätzen, aber nur ein Angebot von 40 Plätzen gibt. Langfristig rechnet die Verwaltung mit einer Entlastung des Markts durch die Bebauung des Parkdecks an der Ecke Karl-Krische-Straße/Weissacher Straße. Dort will die Kreisbau bis 2022 Wohnungen für 90 Personen bauen.

Derzeit sind im Stadtgebiet 24 Menschen von Obdachlosigkeit bedroht. Die Zahl der vorhandenen Plätze beträgt 23.

Mehrere Stadträte lobten das Vorgehen, den Neubaubeschluss nur auszusetzen und nicht aufzuheben. So zeigte Ute Ulfert (CDU) Verständnis für die Entscheidung: „Es ist klar, dass in der Analyse der künftigen Zuweisungen noch viel Unsicherheit steckt. Deshalb bin auch ich fürs Aussetzen des Beschlusses und hoffe, dass wir 2020 den Bedarf noch etwas klarer sehen.“ Und auch Melanie Lang (Grüne) sah die Vorteile, „dann können wir flexibel reagieren“. Für Heinz Franke (SPD) handelt es sich um einen „salomonischen Beschluss“. Trotzdem stellte er unmissverständlich klar: „Der grundsätzliche Bedarf ist in Backnang trotzdem vorhanden. Es ist absolut nicht so, dass dieser Neubau unnötig sein wird.“

Lutz-Dietrich Schweizer (CIB) sah dies ebenso: „Dass wir Leerstand bei den Flüchtlingsunterkünften erleben, das glaube ich nicht“. Auch er verwies auf die „sehr angespannte Wohnsituation“. Seiner Erfahrung nach sind Flüchtlinge viel eher bereit zusammenzurücken. Wenn es nun Entlastung auf dem Wohnungsmarkt gebe, so solle man diese „friedensfördernd“ nutzen und die Enge in manchen Quartieren beheben. AfD-Stadtrat Michael Malcher sagte, er sei anfangs erschrocken gewesen, als er gehört habe, dass die Unterkunft in der Fabrikstraße nicht gebaut werde. Als er dann jedoch darüber informiert wurde, wie viel die Stadt an anderer Stelle im sozialen Wohnungsbau tue, „war ich wieder beruhigt“. Und so wurde der Beschluss am Ende nach kurzer Diskussion einstimmig ausgesetzt. Bis März 2020.

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Erstellt:
26. Oktober 2019, 10:42 Uhr

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