Israels Offensive

Neue Phase im Gazakrieg beginnt

Die israelische Armee rückt nach Gaza-Stadt vor. In äußeren Bezirken wird bereits gekämpft. Experten erwarten langwierige Guerillakämpfe.

Während die israelische Arme ihre Offensive gegen Gaza-Stadt begann, demonstrierten Palästinenser dort am Donnerstag für ein Ende des Krieges.

© AFP

Während die israelische Arme ihre Offensive gegen Gaza-Stadt begann, demonstrierten Palästinenser dort am Donnerstag für ein Ende des Krieges.

Von Mareike Enghusen

Israel hat mit der umstrittenen Ausweitung des Gazakrieges begonnen: In der Nacht auf Donnerstag meldete seine Armee, Soldaten seien in äußere Bezirke von Gaza Stadt vorgedrungen, zur Vorbereitung der geplanten Einnahme der Stadt. Für die Offensive hatte Israels Sicherheitskabinett sich kürzlich trotz Warnungen der Armeespitze entschieden.

Die Armee (IDF) rechnet offenbar mit einer umfangreichen Operation. Aktuellen Meldungen zufolge plant sie, insgesamt 60 000 zusätzliche Reservisten einzuberufen und dazu den laufenden Reservedienst von 20 000 weiteren Soldaten zu verlängern. Schätzungen der Armee zufolge könnten sich die Kämpfe bis ins Frühjahr 2026 hinziehen. Zunächst will die IDF die Stadt im Norden des Küstenstreifens einkreisen und erst dann tiefer in das urbane Gebiet eindringen.

„Die Stadt Gaza ist der militärische Schwerpunkt der Hamas, zusammen mit den Flüchtlingslagern im Zentrum des Gazastreifens“, erklärt Danny Orbach, Militärhistoriker von der Hebräischen Universität in Jerusalem, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Schwerpunkte wie diese muss man ausschalten, wenn man die Kräfte seines Feindes ausschalten will.“

Zäher, verlustreicher Kampf

Ein zäher, verlustreicher Kampf

Israelischen Schätzungen zufolge halten sich rund 10 000 Hamas-Kämpfer in der Stadt Gaza auf – beziehungsweise in dem Tunnelnetzwerk, das die Terrororganisation darunter angelegt hat. In anderen Teilen des Küstenstreifens hat die IDF bereits etliche Tunnel zerstört. In Gaza Stadt aber hat sie sich bislang zurückgehalten, weil der Verdacht besteht, die Hamas könnte dort einige der geschätzt zwanzig überlebenden Geiseln festhalten. Und die Terroristen haben bereits in der Vergangenheit Entführte ermordet, sobald israelische Soldaten sich deren Standorten näherten.

Die geplante Offensive ist deshalb auch innerhalb des Landes hoch umstritten. Hunderttausende Menschen hatten am vergangenen Wochenende gegen das Vorhaben und für eine Einigung mit der Hamas zur Freilassung der letzten Geiseln demonstriert. Selbst IDF-Chef Eyal Zamir lehnt die Ausweitung der Kämpfe Berichten zufolge ab, sowohl aus Sorge um die Entführten als auch um seine Soldaten.

„Wir müssen mit schwierigen Straßenkämpfen rechnen, mit einem hohen Maß an Zerstörung, mit Kämpfen über und unter der Erde“, sagt Militärexperte Orbach. „Es gibt in der Stadt Gaza viele Tunnel, viele Sprengfallen in Gebäuden. Und wie überall in Gaza gibt es keine klare Frontlinie und kein Hinterland – selbst, wenn die IDF eine Gegend gesichert hat, kann die Hamas Tunnel nutzen, um in Gebäude zu gelangen.“

Dazu kommen die humanitären Konsequenzen der Operation. Israelischen Schätzungen zufolge leben in der Stadt Gaza derzeit rund eine Million Zivilisten. Diese will die Armee vor der geplanten Offensive zur Evakuierung in südliche Gebiete des Küstengebiets zwingen. Eigenen Angaben zufolge hat die IDF bereits damit begonnen, dort zusätzliche Unterkünfte zu errichten. Außerdem will sie in dem Gebiet weitere Lebensmittelausgaben und Feldlazarette bereitstellen.

Viele internationale Beobachter sehen die Pläne trotzdem äußerst kritisch. „Hunderttausende zur Umsiedlung in den Süden zu zwingen, ist ein Rezept für weitere Katastrophen und könnte einer Zwangsumsiedlung gleichkommen“, warnte ein Zusammenschluss von UN- und Nichtregierungsorganisationen diese Woche.

Die rechts-religiöse Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zeigt sich dennoch entschlossen, den Plan durchzuziehen. Am Mittwoch wies der Premier seinem Büro zufolge an, dass „der Zeitplan für die Eroberung der letzten Terrorhochburgen und die Niederlage der Hamas verkürzt werden soll“.

Demonstranten in Tel Aviv fordern Deal

Demonstranten in Tel Aviv fordern Deal

Das Einzige, was die geplante Offensive noch stoppen könnte, wäre wohl eine Einigung zwischen Israel und der Hamas über eine Waffenruhe. Anfang dieser Woche hatte die Hamas verkündet, sie akzeptiere einen Vorschlag der Mittlerstaaten Ägypten und Katar: Demnach müsste die Gruppe innerhalb einer 60-tägigen Waffenruhe Berichten zufolge zehn lebende Geiseln sowie die Leichen 18 weiterer Entführter an Israel übergeben. Im Gegenzug müsste Israel mehrere Hundert palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen entlassen und die Ausweitung der humanitären Hilfslieferungen in den Gazastreifen zulassen.

Israels Regierung hatte den Vorschlag bis Redaktionsschluss noch nicht beantwortet. Manche Analysten in dem Land vermuten, Netanjahu könnte die geplante Ausweitung der Kämpfe vor allem deshalb verkündet haben, um den Druck auf die Hamas zu erhöhen. „Ich bin nicht sicher, ob Israel sich schon entschieden hat, ob es auf einen besseren Deal drängen oder die Hamas militärisch stürzen soll“, sagt auch Orbach.

Für Donnerstagabend planten Angehörigen von Geiseln eine Kundgebung nahe dem Hauptquartier der Armee in Tel Aviv. „Der Deal liegt auf dem Tisch“, hieß es in einer Kundgebung der Gruppe. „Wir dürfen diese Gelegenheit nicht verpassen.“

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Erstellt:
21. August 2025, 16:48 Uhr

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