Bahn-Fahrplan
Neue Studie mit guten Ideen für besseren Fernverkehr
Der DB-Konzern kürzt bei seiner ICE-Flotte. Die Gewerkschaft EVG befürchtet, dass ganze Regionen abgehängt werden könnten. Doch eine neue Studie zeigt Auswege.

© AFP/Christoph Soeder
Für die neue Konzernchefin Evelyn Palla ist die DB Fernverkehr AG eines der großen Probleme.
Von Thomas Wüpper
In der Not soll Anke Engelke helfen. Die verlustreiche Deutsche Bahn AG hat mit der erfolgreichen Komikerin eine neue Online-Werbekampagne gestartet: „Boah, Bahn! Wir sitzen alle im selben Zug.“ Ob das Kunden der Staatsbahn amüsiert, ist fraglich. Zuletzt fuhr nur noch jeder zweite ICE halbwegs pünktlich, die DB ist so unzuverlässig wie nie zuvor. Ein Grund: das lange vernachlässigte Schienennetz, das nun mit 40 Großbaustellen und Vollsperrungen bis 2036 saniert werden muss. Baldige Besserung ist also kaum in Sicht und für geplagte Bahnfahrer bleibt nur ein schwacher Trost, dass die DB vorerst auf weitere Erhöhungen der Ticketpreise verzichtet.
Für die neue Konzernchefin Evelyn Palla ist die DB Fernverkehr AG eines der großen Probleme. Im Gespräch mit der „Bild am Sonntag“ kündigte sie aber an: „Wir drehen den Konzern auf links: Ich setze auf einen kompletten Neuanfang“, sagte sie, und weiter: „Dafür müssen wir alles anders machen als vorher.“ Bahnkunden bittet sie aber auch um Geduld.
In seiner „Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene“ verlangt Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder zumindest ab Ende 2028 dauerhaft schwarze Zahlen und ab Ende 2029 wenigstens 70 Prozent Pünktlichkeit. Spätestens bis März soll die DB-Fernverkehr ein „Sanierungs- und Entwicklungsprogramm“ vorlegen. Um die Talfahrt zu stoppen, muss Bahn-Fernverkehrschef Michael Peterson bereits hart auf die Bremse treten. Der Spartenchef kürzt Zugbestellungen und lässt weniger lukrative Verbindungen ausdünnen oder ganz einstellen.
Druck auf die Politik wächst
Durch den Sparkurs könnten bald ganze Regionen vom ICE-Verkehr abgehängt werden, befürchtet der Chef der Eisenbahner- und Verkehrsgewerkschaft EVG, Martin Burkert, der auch Vize im DB-Aufsichtsrat und als langjähriger SPD-Politiker bestens vernetzt ist. In betroffenen Bundesländern regt sich ebenfalls Protest. So wächst der Druck auch auf die Politik, die Weichen endlich neu zu stellen. Bereits bei der Bahnreform 1994 wurde ausdrücklich vereinbart, dass ein Bundesgesetz „das Nähere“ für die Verkehrsangebote im Fernverkehr regeln sollte – es fehlt bis heute. Mit dem Ergebnis, dass es außer Flix kaum ein neuer Anbieter schaffte, länger gegen Ex-Monopolisten DB zu bestehen, der auch drei Jahrzehnte nach der Bahnreform noch 95 Prozent des Marktes beherrscht.
Wie lässt sich das ändern und ein breiteres Angebot schaffen? Wie kann die Politik gegensteuern, wenn sich der DB-Konzern aus weniger rentablen Regionen zurückzieht und so der für 2030 angestrebte flächendeckende Deutschlandtakt gefährdet wird?
Eine noch unveröffentlichte Studie der Beratungsfirma KCW für das bundeseigene Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung in Dresden weist den Weg. Die Ergebnisse sollen erst gegen Ende des Jahres veröffentlicht werden, wie ein Sprecher von Minister Schnieder auf Nachfrage erklärt. Unsere Redaktion hat die wichtigsten Inhalte bereits aus Branchenkreisen erfahren.
Künftig Fernverbindungen ausschreiben?
Im Kern schlagen die KCW-Experten der Regierung vor, künftig wie im Regionalverkehr auch Fernverbindungen auszuschreiben. Alle 23 Linien in der Fläche, die als gefährdet eingestuft werden, könnten demnach gesichert werden, wenn der Bund sie bestellen und falls nötig bezuschussen würde. Diese Lösung würde den Berechnungen zufolge den Staat insgesamt weniger als 200 Millionen Euro pro Jahr kosten – und damit gerade so viel, wie DB Fernverkehr derzeit für Fahrgastentschädigungen wegen Zugverspätungen zahlen muss.
Bei den 23 Linien geht es um Verbindungen, die im Fahrplanentwurf zum Deutschland-Takt als „FV regional“ bezeichnet werden – also meist kaum rentabler Fernverkehr über Jena oder Siegen, der schon jetzt systemwidrig teils von den Ländern bezuschusst wird, damit die DB weiterhin fährt. Generell sollten die benötigten Verbindungen für den D-Takt genau definiert und dann Systemtrassen und Fahrpläne festgelegt werden, an die sich alle Anbieter halten müssen, so die Studie. So soll Rosinenpicken verhindert werden.
Keine neue Behörde
Für die Ausschreibungen sollte der Bund keine neue Behörde schaffen, sondern die Landesnahverkehrsgesellschaften beauftragen, die bereits den Regionalverkehr ausschreiben. Schließlich schlägt die KCW-Studie einen Dachtarif vor: Die Einzel- oder Netztickets für den Fernverkehr sollen künftig in allen Zügen gelten und damit den Reisenden freie Auswahl ermöglichen. Zudem sollen Betreiber verpflichtet werden, bei Verspätungen, Störungen oder Baustellen die Fahrgäste automatisch auf andere Züge umzubuchen.
Ausgewiesene Experten wie Lukas Iffländer befürworten diese Vorschläge. „Wenn die DB ihre Angebote wegen grenzwertiger Wirtschaftlichkeit angesichts explodierender Trassenpreise ausdünnt, muss die Politik bessere Lösungen finden, da weist die Studie den richtigen Weg“, sagt der stellvertretende Vorsitzende von Pro Bahn und Professor für Informatik an der HTW Dresden. Iffländer war vormals selbst am Deutschen Zentrum für Schienenverkehrsforschung tätig und sitzt im Beirat der Deutschlandtaktstudien.
Rennstrecken wie Frankfurt-Köln brauchen keine Subventionen
Für ihn ist die rasche Reform des Trassenpreissystems der erste Schritt, um Fernverkehr rentabler zu machen: „Es geht da nicht um Milliardenbeträge, wenn man es richtig macht.“ Laut der KCW-Studie könnten immerhin acht der aktuell 23 gefährdeten Linien gesichert werden, wenn die zuletzt stark erhöhten Zahlungen für die Nutzung der Infrastruktur reduziert werden oder wegfallen. Der Bund müsste dann die Einnahmeausfälle bei der DB Infra-Go AG ausgleichen – was sich in Grenzen halten könnte, wenn mehr differenziert würde.
„Rennstrecken wie Frankfurt-Köln oder Nürnberg-München und der Sprinter von Berlin nach München oder Frankfurt brauchen keine Subvention der Trassenpreise, die rechnen sich auch so“, betont Iffländer. Eine regional spezifische Trassenpreisförderung für den Fernverkehr wäre binnen weniger Monate zu realisieren und bereits ein Erleichterung, so der Professor. Im nächsten Schritt könnte mit dem Fahrplan 2028 ein Subventionsmodell für weniger lukrative Verbindungen starten: „Dafür sollte der Bund als Eigentümer von seiner DB AG verlangen, für jede ICE-Strecke detailliert die Gewinne oder Verluste intern offenzulegen.“
Streckenpakete könnten geschnürt werden
Auf dieser Basis könnten dann Streckenpakete aus lukrativen und kaum rentablen Verbindungen geschnürt werden, die stufenweise ab 2030 ausgeschrieben und an die besten Bieter vergeben werden sollten, sagt Iffländer. Highspeed-Strecken wie Köln – Frankfurt wären eher später dran, denn dafür braucht man Züge mit Spitzentempo 300, die neben der DB bisher nicht viele Bahnunternehmen haben und deren Beschaffung teuer und langwierig ist.
In den nächsten Jahren werden das überlastete deutsche Schienennetz und die Baustellenflut zur Sanierung das weitere Wachstum des Fernverkehrs noch bremsen. Mit jedem modernisierten Korridor jedoch sind mehr attraktive, auch grenzüberschreitende Angebote möglich – und das werden Bahnunternehmen und Investoren zu nutzen wissen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.