Neues Projekt für die Artenvielfalt im Rottal
Bei einem neuen Naturschutzprojekt zwischen Großerlach und Mainhardt soll eine Pfeifengraswiese entstehen. Diese bietet einen Lebensraum für viele verschiedene und zum Teil auch seltene Tier- und Pflanzenarten. Dafür müssen zunächst aber einige Bäume abgeholzt werden.

© Alexander Becher
Auf einer Freifläche im Wald bei Großerlach soll in den nächsten Jahren eine Pfeifengraswiese entstehen, um die Artenvielfalt zu unterstützen. Fotos: Alexander Becher
Von Kristin Doberer
Großerlach. Singende Vögel, summende Insekten, das Klicken und Zirpen von Heuschrecken und das Quaken von Fröschen soll man auf der Wiese zwischen Großerlach und Mainhardt einmal hören. Auch sollen irgendwann einige Farbtupfer zu sehen sein: gelber Blutwurz, roter Wiesenknopf und blaue Schwertlilien. So oder so ähnlich soll die Wiese zwischen den Bäumen und entlang des Flüsschens Rot bei Großerlach in ein paar Jahren mal aussehen. Das ist das Ziel eines neuen Naturschutzprojekts, bei dem auf etwa dreieinhalb Hektar Fläche Lebensräume für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten geschaffen werden sollen, unter anderem mit einer Pfeifengraswiese. „Diese gehören zu den artenreichsten Grünlandgesellschaften Mitteleuropas“, sagt Uwe Hiller vom Amt für Umweltschutz des Rems-Murr-Kreises. Auf Freiflächen im Wald bei Großerlach seien noch einige Exemplare des Pfeifengrases gefunden wurden, daraus ergebe sich nun auch eine Verantwortung. Durch das neue Naturschutzprojekt sollen diese und andere Pflanzenarten begünstigt werden und so wieder in das Rottal zurückkommen (siehe Infotext).
Es dauert etwa vier bis fünf Jahre,bis sich die Pfeifengraswiese entwickelt
Und wo eine Vielzahl an Pflanzen wächst, wird auch die Tierwelt vielfältiger. Auf Pfeifengraswiesen kommen zum Beispiel deutlich mehr Insekten vor, auch weil diese häufig auf eine bestimmte Pflanze spezialisiert sind. Zum Beispiel der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling, ein Schmetterling, der auf eine einzige Pflanzenart – den Großen Wiesenknopf – angewiesen ist. Hiller hofft auch auf eine Rückkehr der Sumpfschrecke und vielleicht sogar der Schwarzstörche, die es früher in der Region mal gab.

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Uwe Hiller vom Umweltschutzamt des Landratsamts erklärt auch dem Fernsehteam die Vorteile einer Pfeifengraswiese.
Noch ist von einer artenreichen Wiese nicht viel zu sehen. Bis die verschiedenen Pflanzen- und Tierarten zurückkommen, werde es etwa vier oder fünf Jahre dauern, vermutet Ronald Blümle vom Landschaftserhaltungsverband. Wie genau sich die Flächen entwickeln, müsse beobachtet werden. „Wir wollen versuchen, Abschnitte wieder zu bewirtschaften, und dann Stück für Stück vorgehen“, sagt Hiller.
Landwirtschaftliche Nutzung ist erwünscht
Damit überhaupt wieder eine Pfeifengraswiese entstehen kann, müssen die Flächen landwirtschaftlich genutzt werden. Zum Erhalt von Pfeifengraswiesen sollte der Lebensraum idealerweise nach traditioneller Art – einmal im Herbst – gemäht werden. Früher war das üblich. „Vor etwa 15 Jahren ist dann das Problem aufgekommen, dass sich für viele kleinere Landwirte keine Nachfolger gefunden haben, um diese Flächen zu bewirtschaften“, erklärt Revierleiter Michael Deuschle von ForstBW. Der Grund: Es lohnt sich für die Landwirte eigentlich nicht. Denn das Gras sei nicht als Futter geeignet, früher fand lediglich eine späte Mahd im Herbst statt, die dann meist nur als Einstreu für die Tiere genutzt wurde. Heute werde das aber so gar nicht mehr verwertet, erklärt Deuschle. Die Folge: Wenn die Freifläche nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wird, dann kann die Pfeifengraswiese nicht erhalten werden, sie wird irgendwann zum Wald.
Das zeigt sich auch im Rottal. Sträucher und kleinere Bäume haben sich ausgebreitet, Äste liegen in der Wiese. „So kann man mit keinem Mähwerk darüberfahren“, sagt Hiller. Deshalb werden seit Anfang der Woche die Bäume gefällt und die Sträucher entfernt, auch muss die Fläche einmal gemulcht werden, um sie wieder landwirtschaftlich nutzbar zu machen.
Eine Kooperation mit der Erlacher Höhe soll das Projekt ermöglichen
Lediglich am Ufer der Rot bleiben einige Bäume stehen, „für den Biber“, sagt Hiller. Mindestens eine Biberfamilie fühle sich nämlich sehr wohl in dem Gebiet, das zeigt sich an einigen angenagten Bäumen und an dem Damm, den sie in der Rot errichtet haben. „Das freut uns sehr und das wollen wir unterstützen“, sagt Hiller. Denn durch den Damm steige der Grundwasserspiegel, die Flächen am Ufer der Rot werden deutlich feuchter. „Dadurch profitiert die Tierwelt.“ Zum Beispiel entstehe so ein Lebensraum für die ohnehin stark schwindende Amphibienpopulation.
Ist die Freifläche erst mal von Bäumen und Sträuchern befreit, muss die Wiese einmal jährlich gemäht werden. Dafür sind die Projektbeteiligten – das Landratsamt, ForstBW und der Landschaftserhaltungsverband Rems-Murr-Kreis – auf die Erlacher Höhe zugegangen und konnten den landwirtschaftlichen Betrieb auf der Hellen Platte als Kooperationspartner gewinnen. „Das schaffen wir nicht allein“, sagt Hiller. Auf der Hellen Platte gebe es die nötigen Geräte und Arbeitskräfte, um sich um die Pflege der Pfeifengraswiese zu kümmern. Das heißt, die Wiesen im September mähen und das Gras einsammeln. „Das bedeutet auch viel Handarbeit“, sagt Deuschle. Denn aufgrund des feuchten Bodens entlang der Rot könne man nicht immer und nicht mit allen Geräten auf die Wiesen fahren. Er freut sich besonders über die Kooperation mit der Erlacher Höhe, da das Gras dort in der Biogasanlage auch weiterverwendet werden kann. Die Kosten für die Pflege sollen durch Fördermittel gedeckt werden, die Beteiligten rechnen mit etwa 10000 Euro.
Unterschiedliche Habitate sind gefragt
Bei den forst- und landwirtschaftlichen Arbeiten, die auf der Fläche stattfinden werden, wolle man die Bevölkerung unbedingt mitnehmen, zum Beispiel mit Infotafeln. „Werden Bäume umgesägt, ist das in der Bevölkerung oft negativ belegt“, so Deuschle. Dabei handle es sich hier um Maßnahmen der Landschaftspflege. Um tatsächlich für Artenvielfalt zu sorgen, müsse es neben dem Wald auch ganz unterschiedliche Habitate geben.
FFH-Gebiet Das Rottal gehört zu einem Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH-Gebiet), das europaweit gefährdete Lebensräume sowie gefährdete Tier- und Pflanzenarten schützen soll. Dafür werden Fachpläne erstellt, um die Erhaltungsziele und Empfehlungen festzulegen.
Pfeifengraswiese Die Pfeifengraswiesen gehören zu den artenreichsten Grünlandgesellschaften in Mitteleuropa, sie sind von großer Bedeutung für den Artenschutz. Der Lebensraum entsteht durch eine spezielle landwirtschaftliche Nutzung, dazu gehören wenige Mahdtermine spät im Jahr und keine Düngung.
Pflanzen Neben dem namensgebenden Pfeifengras wachsen viele weitere Pflanzenarten auf einer Pfeifengraswiese. Dazu gehören der Gewöhnliche Teufelsabbiss, der Großer Wiesenknopf, der Heilziest, der Lungenenzian, der Schwalbenwurzenzian oder der Blutwurz.