Nichts geht mehr auf Bussteig 1 und 2

FMO-Busfahrer im Warnstreik – Irritationen auf dem ZOB

Viele Busse fahren, andere wiederum nicht. Die Sachlage am gestrigen Montagmorgen auf dem Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) Backnang ist zunächst unklar. Die Gewerkschaft Verdi hatte die Mitarbeiter privater Busunternehmen im Rems-Murr-Kreis zum Warnstreik aufgerufen. FMO- und OVR-Busfahrer folgten dem Streikaufruf, andere Unternehmen waren unterwegs.

Glücklich, dass der Bus nach Murrhardt fährt: Nadine Steudle mit Busfahrer Helmut Pfeil.

© Pressefotografie Alexander Beche

Glücklich, dass der Bus nach Murrhardt fährt: Nadine Steudle mit Busfahrer Helmut Pfeil.

Von Florian Muhl

BACKNANG. Der erste Blick aufs Busdepot im Backnanger Gewerbegebiet Süd gegen 7.30 Uhr verrät nichts Gutes: es steht voller Busse, aber keine Menschenseele ist zu sehen. In der Innenstadt viel Autoverkehr, mehr als sonst. Am ZOB ist nicht viel los. Vereinzelt stehen Menschen an Haltestellen und warten. Und es fahren auch einige Busse, aber nicht alle.

Dannis Solik ist an diesem Morgen wie an jedem Werktag ganz normal mit dem Bus von Murrhardt nach Backnang gefahren. Jetzt geht’s weiter nach Aspach zu seiner Arbeitsstelle. Glaubt er. Dass heute Streik ist, davon hat er nichts gehört. Erst jetzt wird ihm bewusst, dass er wohl von hier nicht mehr weiterkommt.

Ein weiterer Bus fährt ein, wieder aus Murrhardt. Viele Leute steigen aus. Der Busfahrer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen mag, hat eine Viertelstunde Pause. Er fährt seit fünf Jahren für RBS und darf nicht streiken. Wenn er dürfte, hätte er es getan, aber er hat einen anderen Vertrag. „Ich finde das völlig richtig, dass die das machen.“ Er meint seine Kollegen von den Unternehmen FMO und OVR, wie er sagt.

An diesem Tag ist der 49-Jährige eingesprungen. Denn normalerweise fährt der OVR die Linie im Auftrag der RBS. Aber weil die OVR-Kollegen streiken, muss er heute ans Steuer. Als RBS-Busfahrer gehe es ihm noch relativ gut, weil er Standzeiten auch bezahlt bekomme. Aber die Kollegen mit neuem Vertrag, die müssten 13, 14 Stunden ran und würden nur 7,5 oder 8 Stunden bezahlt bekommen. Was solle er denn mit 3 Stunden Pause in Backnang machen? Rumhängen, fragt der Vater von drei Kindern kopfschüttelnd. Das sei vielleicht gesetzlich erlaubt, aber das sei Ausbeuterei, schimpft er. Früher, vor dem 1. Januar, habe alles geklappt: „Da hatten wir keine Leerfahrten, aber jetzt haben wir Tausende Leerfahrten, und das in Zeiten, wo alles vom Umweltschutz spricht. Wir fahren von A nach B, kein Mensch drin, verbrennen Sprit, verbrennen Zeit, und alles ist okay“, sagt er sarkastisch. Er sei heute um 2.30 Uhr aufgestanden und eigentlich hätte er heute einen freien Tag gehabt, aber er sei angerufen worden, ob er einspringen könne, denn die Kinder müssen in die Schule. So war es für ihn keine Frage, zu fahren.

Nadine Steudle steht wartend an Bussteig 4A. Sie hat am Samstag in der Zeitung vom angekündigten Busstreik gelesen. Trotzdem hat sie den gewohnten Weg zur Arbeit mit dem ÖPNV gewählt. „Ich bin einfach mal hingegangen und hab’s probiert“, sagt sie. Von Auenwald-Lippoldsweiler bis zum ZOB hat’s schon mal gut geklappt, auch wenn weniger Busse als sonst gefahren sind. Jetzt ist sie überglücklich, dass auch der Bus nach Murrhardt einfährt.

Am Steuer des RBS-Busses sitzt Helmut Pfeil. Er ist von dem Streik überrascht worden: „Ich hab’s grad mit’kriegt. Ich komm von Heilbronn. Ich hab mich schon gewundert heut Morgen, weil so wenig los ist.“ Um 5.21 Uhr ist er vom Standort Neuhütten nach Backnang (Linie 385) gefahren, dann um 6.20 Uhr leer nach Oppenweiler, von dort aus 6.43 Uhr regulär zurück nach Backnang und dann 8.25 Uhr nach Murrhardt (Linie 390). Um 10.25 Uhr geht’s dann schließlich zurück nach Wüstenrot-Neuhütten. Der Spiegelberger, der zuvor Lkw-Fahrer war, ist seit sechs Jahren bei der RBS tätig. „Ich bin da zufrieden, ich kann mich nicht beklagen“, sagt er.

Mittlerweile ist es 8.30 Uhr. Zwei Frauen, die einsam und verlassen auf Bussteig 1A warten, sind miteinander ins Gespräch gekommen. Sie wundern sich, dass der Bus nicht kommt, der sie sonst mitnimmt. Streik? Nein, davon wissen sie nichts. Die eine ist mit der S-Bahn aus Marbach gekommen und muss zur Arbeit in die Spinnerei, die andere ist zum ZOB gelaufen und muss zur Arbeit in die Lerchenäcker. Beide werden nervös, die eine telefoniert, die andere ist ratlos. Da kommt ein Mann mit Handzetteln an und spricht die beiden Frauen an: „Sie wissen nicht, dass gestreikt wird, bekannt aus Presse, Rundfunk, Fernsehen, Internet... Das ist heute der Warnstreik, der ganze Tag, nicht nur in Backnang, sondern auch in Waiblingen, Schorndorf, Tübingen“, sagt Albrecht Dünkel. Der FMO-Betriebsmanager in Backnang bringt jetzt die Info-Zettel an den Haltestellen an. „Und was sollen wir machen? Wir müssen zur Arbeit“, fragt die eine Frau. „Ja, es ist einfach so, ich kann’s nicht ändern, es tut mir leid“, antwortet Dünkel. Auf den beiden Bussteigen 1 und 2 würde heute kein Bus mehr kommen. Die 100-prozentige Bahntochter Friedrich Müller Omnibusunternehmen GmbH (FMO) selbst meldete: „Ausfall der Linien im Stadtverkehr Backnang sowie nach Aspach und Burgstetten, Teilausfall der Linien ins Weissacher Tal.“

Dass es für die Verantwortlichen nicht ganz einfach ist, geht auch aus einer Stellungnahme der Bahn hervor: „Bei einem früher angekündigten Streik wäre es möglich, einen Notfahrplan zu erstellen. Dies erfordert einen hohen Dispositionsaufwand, da sich die Umlaufpläne für Fahrer und Fahrzeuge komplett verändern. Der heutige Warnstreik lässt eine solche Planung nicht zu.“ Und weiter teilt der Bahnsprecher mit: „Der Betriebshof der FMO in Backnang wurde komplett bestreikt. Vereinzelt konnten aber eher familiär geführte kleinere Busunternehmen, die im Auftrag von FMO Strecken bedienen, fahren.“

„Wir haben keinen einzigen Schüler, der heute nicht da ist“

Dazu zählt Eisemann Reisen. Für das in Alfdorf ansässige Unternehmen ist Erika Mänzel seit einem Monat tätig. Zuvor saß die 55-Jährige 28 Jahre für RBS am Steuer. An diesem Tag ist sie in Oberbrüden, Sechselberg und Althütte unterwegs. Sie beklagt, dass die neuen Fahrpläne viel zu eng gefasst sind und keine Pufferzeiten enthalten. Beim Ein- und Aussteigen müsse man halt manchmal auf ältere Leute warten oder auf Fahrgäste, die das Geld nicht passend haben.

Die Einzigen, die gestern vom Streik offensichtlich verschont wurden, sind die Schüler. Morgens jedenfalls. „Wir haben keinen einzigen Schüler, der heute nicht da ist“, sagte gestern Jürgen Wörner auf Anfrage. „Und wir haben keinerlei Elternbeschwerden, dass ein Schüler unterwegs stehen geblieben ist“, so der geschäftsführende Gesamtleiter des Bildungszentrums Weissacher Tal weiter. Auch aus dem Sekretariat des Max-Born-Gymnasiums Backnang war zu vernehmen: „Ein ganz normaler Tag.“

„Hochzufrieden“ ist Verdi mit dem Streiktag, wie gestern Nachmittag Verhandlungsführer Andreas Schackert auf Anfrage sagte. Zum Streik aufgerufen seien die Betriebe OVR und FMO. Insgesamt hätten sich 200 Busfahrer in Waiblingen zu einer Kundgebung getroffen, rund 45 davon aus Backnang. In den Tarifverhandlungen für das private Omnibusgewerbe fordert Verdi für die rund 9000 Beschäftigten 5,8 Prozent mehr Geld. Die Arbeitgeber hätten bislang noch kein Angebot vorgelegt.

Heute streiken Busfahrer in den Kreisen Reutlingen, Heilbronn, Schwäbisch Hall, Ludwigsburg und Böblingen.

Ab 8.30 Uhr informierten gestern Streikzettel am Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) Backnang über den Streik, zuvor waren Fahrgäste von den Busausfällen überrascht worden. Fotos: A. Becher

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Ab 8.30 Uhr informierten gestern Streikzettel am Zentralen Omnibus-Bahnhof (ZOB) Backnang über den Streik, zuvor waren Fahrgäste von den Busausfällen überrascht worden. Fotos: A. Becher

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Erstellt:
5. Februar 2019, 06:00 Uhr

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