Nord Stream 2 und die Hürden zur ersten Gaslieferung

dpa Lubmin/Bonn/Brüssel. Noch fließt kein Gas durch die fertiggestellte Pipeline Nord Stream 2. Auf vielen Schauplätzen wird um den Betrieb gerungen. Das dürfte noch eine Weile so bleiben.

Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 2. Foto: Stefan Sauer/dpa

Blick auf Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 2. Foto: Stefan Sauer/dpa

Nord Stream 2 steht unter Druck. Zumindest die zuerst fertiggestellte Gasleitung des Doppelstrangs. Etwa 103 bar liegen laut Betreiber an, etwa 177 Millionen Kubikmeter Gas seien eingefüllt.

Alles bereit für den ersten Gastransport von Russland durch die Ostsee nach Deutschland also. Bis es so weit ist, könnte es allerdings noch einige Zeit dauern. Während Politiker sich zum Für und Wider einer Inbetriebnahme äußern, sind jetzt vor allem Behörden am Zug. Aber auch Gerichte könnten ein Wörtchen mitreden.

Technisch ist zumindest der erste Strang vor Wochen vom zuständigen Bergamt Stralsund für den Betrieb freigegeben worden. Der Gastransport in den deutschen Binnenmarkt ist derzeit dennoch nicht zulässig, weil noch eine Zertifizierung der Bundesnetzagentur aussteht. Ohne diese drohen etwa Bußgelder.

Unabhängigkeit wird geprüft

Die Behörde prüft aktuell, ob Betrieb der Leitung und Vertrieb wie von der EU-Gasrichtlinie vorgesehen ausreichend getrennt sind. Die Nord Stream 2 AG hat dazu eine Zertifizierung als Unabhängiger Transportnetzbetreiber beantragt. Sie hat laut Behörde ein Modell gewählt, bei dem Nord Stream 2 im Konzernverbund von Gazprom - dem Gaslieferanten - verbleiben kann. Die Unabhängigkeit werde etwa in Bezug auf Organisationsaufbau oder Personal geprüft.

Dabei handelt es sich nach Darstellung der Bonner Behörde um ein Verwaltungsverfahren und kein politisches. „Da gibt es eine etablierte Praxis mit etablierten Maßstäben, die wir anlegen. Das ist nicht das erste Verfahren dieser Art, das wir führen.“ Die Bundesnetzagentur hat bis Anfang Januar Zeit. „Wir führen das Verfahren so schnell, wie es geht.“

Nord Stream 2 hat signalisiert, das Zertifizierungsverfahren abwarten zu wollen. Offenbar hat hier ein Umdenken stattgefunden. Noch im September hatte Gazprom mitgeteilt, in diesem Jahr noch Gas nach Europa pumpen zu wollen.

Auch die Europäische Kommission muss ihr Ja geben

Doch selbst wenn die Bundesnetzagentur grünes Licht geben sollte, sind noch nicht alle Hürden aus dem Weg geräumt. So regelt die aktuelle EU-Gasrichtlinie, dass vor einer endgültigen Zertifizierung noch eine Überprüfung durch die Europäische Kommission erfolgen muss. Für diese und die abschließende Stellungnahme könnte sich die Brüsseler Behörde bis zu vier Monate Zeit nehmen. Erst danach darf laut Richtlinie die endgültige Entscheidung von der nationalen Regulierungsbehörde erlassen werden.

Diese kann theoretisch auch von der Stellungnahme der Kommission abweichen. Dann droht Deutschland allerdings eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). An den Richtern in Luxemburg wäre es dann zu entscheiden, ob bei der deutschen Zertifizierungsentscheidung EU-Recht eingehalten wurde.

Die EU-Kommission wird die Frist zur Ausarbeitung der Stellungnahme wohl ausschöpfen, auch weil der politische Druck von Pipeline-Gegnern groß ist. Nord Stream 2 sei „kein Projekt von gemeinsamen europäischem Interesse“, sagte ein Kommissionssprecher der Deutschen Presse-Agentur. Nach der Stellungnahme aus Brüssel hat wiederum die Bundesnetzagentur zwei Monate Zeit für eine etwaige Zertifizierung.

Wirtschaftliche Abstriche beim Betrieb befürchtet

Am liebsten würde sich die Nord Stream 2 AG das Verfahren sicherlich komplett sparen, das auch wirtschaftliche Abstriche beim Betrieb der Pipeline zur Folge haben dürfte. Als Unabhängiger Transportnetzbetreiber müsste man auch anderen Gaslieferanten Pipeline-Kapazitäten zur Verfügung stellen. Zudem müsste sich das Unternehmen den Regeln des deutschen Gasmarktes unterwerfen und etwa ein festgelegtes Entgelt für den Gasimport zahlen.

Das Unternehmen geht vor dem Bundesgerichtshof, einem Schiedsgericht sowie dem EuGH gegen entsprechende Regeln oder deren Geltung für die Pipeline vor. Es argumentiert unter anderem, dass eine 2019 - also nach Baubeginn - in Kraft getretene Änderung der Richtlinie speziell auf Nord Stream 2 abziele und damit EU-Rechtsgrundsätze der Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit verletze. Ein nicht bindendes Gutachten des EuGH stimmte dem kürzlich insofern zu, als dass im Grunde tatsächlich nur Nord Stream 2 betroffen sei. Eine Entscheidung steht noch aus.

Doch die Pipeline beschäftigt noch weitere Gerichte. So klagen der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) vor dem Verwaltungsgericht Hamburg und vor dem Oberverwaltungsgericht Greifswald gegen das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie beziehungsweise gegen das Bergamt Stralsund als Genehmigungsbehörden.

DUH-Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner rechnet sich vor allem im Greifswalder Verfahren gute Chancen aus. Teil der Bau- und Betriebsgenehmigung durch das Bergamt Stralsund sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung auch mit Blick auf die Klimabilanz gewesen. Die Genehmigung müsste überprüft werden, wenn grundlegende neue Erkenntnisse auftreten. Neue Daten zeigten, dass die Klimabilanz von Gas schlechter sei als bisher angenommen, etwa durch Methanemissionen bei Förderung und Transport. Eine mündliche Verhandlung ist für Mitte November angesetzt. Es dürfte längst nicht der letzte Termin sein zur Frage, ob und wann Gas fließen darf.

© dpa-infocom, dpa:211101-99-814989/3

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Erstellt:
1. November 2021, 08:24 Uhr

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