Nostalgie pur: Mit der Schwäbischen Waldbahn durchs Wieslauftal

Sommerreportage Eine Fahrt mit der Schwäbischen Waldbahn lässt das Herz eines jeden Nostalgiefans höherschlagen. Die Fahrgäste lieben das gemächliche Dahingleiten durch die herrliche Landschaft ohne Zeitdruck.

Lokführer Markus Sick ist in seinem Element. Er genießt die Arbeit mit der Technik zum Anfassen und freut sich auch, dass die Mitfahrer großes Interesse daran zeigen. Fotos: Matthias Nothstein

Lokführer Markus Sick ist in seinem Element. Er genießt die Arbeit mit der Technik zum Anfassen und freut sich auch, dass die Mitfahrer großes Interesse daran zeigen. Fotos: Matthias Nothstein

Von Matthias Nothstein

Rems-Murr. Höher, schneller, weiter: Das olympische Motto hat in vielen Bereichen des Lebens Einzug gehalten – nicht immer zum Wohl des Menschen. Eine Fahrt mit der Schwäbischen Waldbahn von Schorndorf nach Welzheim und zurück vermittelt gerade das Gegenteil dieses Rekordstrebens. In aller Langsamkeit zuckelt der Dampfzug durchs Wieslauftal, hält an jedem noch so kleinen Bahnhof und gewährt so den Mitfahrern und Betrachtern eine Zeitreise ins vergangene Jahrhundert.

Die Lok 64419 wurde 1937 in der Maschinenfabrik Esslingen gebaut. Nun steht sie am Gleis 5 des Schorndorfer Bahnhofs voll unter Dampf. Schon eine halbe Stunde vor der Abfahrt versammeln sich die Fahrgäste auf dem Bahnsteig, betrachten das schwarze, rauchende Ungetüm und machen aus ihrer Vorfreude keinen Hehl. Kinder ziehen ihre Eltern an der Hand, wollen näher an den Ort des Geschehens, andere verstecken sich schwer beeindruckt hinter der Oma, während daneben Großväter begeistert den begleitenden Teenagern die imposante Technik des Dampfrosses erklären.

Die Türen schlagen zu, es rumst und knallt und scheppert

Pünktlich um 10.30 Uhr verkündet das Pfeifen der Lok eindrucksvoll, dass es jetzt losgeht. Rauch steigt auf, die Luft ist rußgeschwängert. Helfer schlagen die Türen zu. Es rumst und knallt und scheppert. Und dann setzt sich der Zug langsam in Bewegung. Kaum hat er Fahrt aufgenommen, wackelt und schaukelt es ganz unmodern, die rundumgedämpfte, abgefederte Fahrt in einem ICE ist gefühlt Lichtjahre entfernt. Doch die Mitfahrer genießen genau dieses Ursprüngliche. Die Fahrt wird mit allen Sinnen wahrgenommen. Das liegt auch daran, dass die Fenster geöffnet werden können und der Fahrtwind einem um die Nase bläst. Die Haare wehen im Wind. Weit herausgelehnt ist das Erlebnis noch intensiver, wenn die Landschaft an einem vorbeizieht.

Till Miller und Jürgen Braun (links) kontrollieren die Fahrkarten der Passagiere.

Till Miller und Jürgen Braun (links) kontrollieren die Fahrkarten der Passagiere.

Die Stimmung im Zug ist prächtig. Es gibt keine Maskenpflicht und in jeder Vierersitzgruppe wird munter geplaudert. Glückliche Mitfahrer schwärmen vom 9-Euro-Ticket, das zwar für diesen Zug nicht gilt, das aber zuletzt kräftig genutzt wurde. Nebenan macht der Chef einer Wandergruppe eine klare Ansage: „Wir können uns überlegen, wie wir laufen. Nichts ist geplant, alles ist offen, total easy heute. Nur um 16.30 Uhr sollten wir halt wieder am Bahnhof sein.“ Die angeregten Gespräche in den Kleingruppen heben sich in ihrer Vorfreude erfrischend ab von der deprimierenden Sprachlosigkeit, die in manch einer 6-Uhr-Pendler-S-Bahn herrscht. Einzig und allein ein Teenager blickt gebannt auf sein Handy, er ist – im Gegensatz zu sonst – die absolute Ausnahme.

Die Fahrt mit dem historischen Zug als Geburtstagsgeschenk

Lachende Gesichter auch bei Familie Schöck. Mama Carina und Papa Martin haben nicht nur ihren 19 Monate jungen Sohn Hanno dabei, sondern auch ihre Trauzeugen und ihre beiden Patenkinder. Die Fahrt mit dem Dampfzug ist das Geburtstagsgeschenk für einen der kleinen Racker. Noch größer ist die Gruppe, mit der Larissa Henzler aus Welzheim unterwegs ist, insgesamt zählen 13 Personen zur Reisegesellschaft. Henzler hat neben ihren drei Kindern und ihrem Mann auch noch ihre Eltern und zwei Schwestern samt deren Familien im Schlepptau. Auch in ihrem Fall handelt es sich um ein Geburtstagsgeschenk „von uns Kindern an die Eltern“. Die junge Mutter schwärmt von der Strecke und verrät: „Ich habe schon einmal mit meinen Freundinnen eine Fahrt mit dem Dampfzug gemacht, aber das war mit der Schlemmerbahn. Die dauerte deutlich länger, es gab an den Stationen oft Pausen und leckeres Essen.“

Heute jedoch steht die Fahrt im Mittelpunkt. Es geht von Welzheim nach Schorndorf und wieder zurück, ohne in der Daimlerstadt etwas zu unternehmen. Henzler: „Allein nur das Fahren ist wunderschön. Wir haben eine solch herrliche Landschaft direkt vor unserer Haustür, was will man mehr?“ Nebenan erfreut sich ein kleines Mädchen an dem Geschehen. Leise singt es vor sich hin: „Tut, tut, tut, die Eisenbahn.“ Immer wieder klettert die Kleine auf die Sitzlehne, schaut durch das offene Fenster und lässt die Haare im Fahrtwind wehen.

Keine nervigen Lautsprecherdurchsagen und keine Warnungen oder Hinweise

Im gesamten Waggon gibt es keine Informationstafeln oder Displays. Auch keine nervigen Lautsprecherdurchsagen oder Warnungen, dass sich die Türen schließen werden, oder Hinweise, auf welcher Seite der Ausstieg an der nächsten Station ist.

Dafür macht Till Miller als Nachwuchsschaffner eine prächtige Figur. „Nächster Halt Haubersbronn“, ruft der Junge mit der wallenden blonden Mähne und geht von einer Sitzreihe zur nächsten. Neben dem Ansager gibt Till auch noch den Kontrolleur. Zusammen mit Jürgen Braun vom Verein Historische Bahn entwertet er mit gebührendem Ernst mittels einer Lochzange die ihm entgegengestreckten Tickets.

Beim Ein- und Ausladen von Kinderwagen und Fahrrädern brauchen die Fahrgäste Unterstützung. Barrierefreiheit war anno dazumal beim Bau der Waggons eher nebensächlich.

Beim Ein- und Ausladen von Kinderwagen und Fahrrädern brauchen die Fahrgäste Unterstützung. Barrierefreiheit war anno dazumal beim Bau der Waggons eher nebensächlich.

Zu dem Job hat er sich tags zuvor qualifiziert. Da war er zusammen mit sieben anderen Buben und Mädchen beim Ferienprogramm der Stadt Schorndorf. Jürgen Braun beschreibt das Angebot: Die Kinder haben den ganzen Tag über bei der Wartung der Lok mitgeholfen, Braun spricht „von der Pflege der alten Dame“. Die Kinder haben auch den Kessel der Lokomotive angeheizt. Fachgerecht erst mit Holz, später mit Kohle, um so den Kessel zu schonen. Zur Belohnung durften sie die Lok vom Bahnhof zum Güterbahnhof und zurück fahren. Immer wieder. Till hat die Pflege der alten Dame Spaß gemacht, er kann sich vorstellen, später einmal bei der Eisenbahn zu arbeiten.

Die Lok ist ein Zuschauermagnet

An jeder der elf Stationen zwischen Schorndorf und Welzheim hält der Zug sehr zur Freude der Passanten. Bei jeder Anfahrt stößt die Lok schwarzen Rauch aus, der Dampf strömt laut pfeifend aus dem Kessel. Wieder ertönt der Befehl, die Türen zu schließen. Zu sagen, diese würden hörbar ins Schloss fallen, wäre untertrieben, es tut jedes mal einen jesusmäßigen Schlag.

Auf der Rückfahrt ist die erste Station der Bahnhof Tannwald. Der Spielplatz neben dem Biergarten ist gut besucht. Aber sobald die Lok einfährt, strömen Kinder an den Zaun, dann sind Schaukel und Rutschbahn plötzlich gar nicht mehr interessant.

Selbst die Kleinsten haben beim offenen Fenster und Fahrtwind Spaß im Zug.

Selbst die Kleinsten haben beim offenen Fenster und Fahrtwind Spaß im Zug.

Vorne auf der Lok schaffen Markus Sick und Markus Müller. Auch im normalen Leben sind sie Lokführer. Beide sind seit 2005 beim Verein und schaffen jedes Wochenende für ihr Hobby. Sie erledigen alle Arbeiten, egal ob in der Werkstatt oder als Fahrkartenverkäufer. Müller ist im Bahnhof Endersbach aufgewachsen, „da war der Weg geebnet“. Der Heizer liebt die Gespräche mit den Fahrgästen und hat mit der Hitze im Führerstand kein Problem. Dass es im Winter saukalt und im Sommer extrem heiß ist – geschenkt. Für Müller sind es auf der Lok 64419 geradezu traumhafte Verhältnisse, „da gibt es ganz andere Loks, die haben nicht einmal eine Rückwand“. Auch Markus Sick schwärmt, „das ist noch Eisenbahn, die noch funktioniert“. Sein Seitenhieb auf die Computerwelt sitzt. Er klagt: „Heute hat man den Lokführer zum Bediener degradiert.“ Ihn reizt die Herausforderung, eine Lok, die die Deutsche Bahn in den 70er-Jahren ausgemustert hat, heute noch rentabel zu fahren. Und noch etwas ist für Sick sehr wichtig: „Im Führerstand einer Dampflok ist man im Gegensatz zu modernen Triebwagen nie allein.“

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Erstellt:
13. September 2022, 11:30 Uhr

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