Schneller raus aus der Kohle? NRW zu Ausstieg 2030 bereit

dpa Berlin/Düsseldorf. Ein Ausstieg aus der Kohleverstromung 2038 könnte viel zu spät sein. Pläne, den Termin auf 2030 vorzuziehen, wurden von Ex-NRW-Chef Laschet jedoch kritisiert. Sein Nachfolger zeigt dagegen auf Grün.

Der neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), spricht im Landtag. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Der neue Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst (CDU), spricht im Landtag. Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

Ein früherer Kohleausstieg in Deutschland findet zunehmend Unterstützung.

Mitten in den Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP im Bund und der Weltklimakonferenz in Glasgow sandte der neue nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Mittwoch ein klares Signal: Sein Land sei zu einem Ausstieg aus der Kohle schon 2030 bereit. Geplant ist dies bisher bis spätestens 2038.

NRW ist eines der betroffenen Kohle-Länder, neben Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Und der neue Regierungschef scheint sich nun der Linie der geplanten Ampel-Koalition im Bund anzunähern. Die möglichen Partner SPD, Grüne und FDP wollen den Kohleausstieg „idealerweise“ schon bis 2030, um Klimaschutzziele einzuhalten. Vor allem der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) pocht jedoch auf den mühsam ausgehandelten Kohle-Kompromiss und den Fahrplan bis weit ins nächste Jahrzehnt. So ist es von Bundestag und Bundesrat auch in zentralen Gesetzen beschlossen.

Früherer Ausstieg nur unter bestimmten Voraussetzungen

Damit ein früherer Kohleausstieg für mehr Klimaschutz überhaupt gelingen kann, liegen noch große Aufgaben vor der Politik - das machte auch Wüst klar. Eine Schlüsselrolle spielt ein beschleunigter Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne, ein schnellerer Ausbau neuer Stromnetze und mehr Gaskraftwerke als Übergangstechnik. Denn bis Ende 2022 gehen die letzten Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz.

Wüst sagte in seiner ersten Regierungserklärung in Düsseldorf, es müssten Anreize geschaffen werden, dass „Alternativen für eine sichere Stromversorgung“ ausgebaut würden. Diese müssten spätestens dann zur Verfügung stehen, wenn das Land nicht mehr auf Kohle zurückgreifen könne und erneuerbare Energien nicht ausreichten. Wüst verwies aber auch darauf, dass durch die verschärften deutschen und europäischen Klimaziele Kohleverstromung „immer unwirtschaftlicher“ werde. „Daher ist heute schon absehbar, dass die noch erforderliche Braunkohlemenge weiter abnehmen wird.“

Wüst betonte auch, er wolle im Rheinischen Braunkohlerevier „so viele Dörfer wie möglich“ erhalten. „Diesen klaren Worten müssen jetzt aber auch klare Taten aus NRW folgen“, sagte Oliver Krischer, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag: „Die Braunkohle unter den Häusern und Dörfern wird nicht mehr gebraucht.“

Das Industrieland Nordrhein-Westfalen sieht sich beim Kohleausstieg als Vorreiter. Eine erste Braunkohleanlage ist vom Netz gegangen, weitere sollen in den kommenden Jahren folgen. Auch Kohlekraftwerke in NRW haben die Produktion eingestellt. Für die Abschaltung von Braunkohlekraftwerken und die Schließung der Tagebaue werden Konzerne mit Milliarden entschädigt. Für die Stilllegung von Steinkohlekraftwerken sind Ausschreibungen vorgesehen.

Milliarden für den Strukturwandel

Bei einem schnelleren Ausstieg müsste der Fahrplan grundlegend geändert werden. Was aber passiert dann mit den Tausenden von Kohlekumpeln? Die möglichen Ampel-Koalitionäre versprechen, Maßnahmen zum Strukturwandel sollten beschleunigt, arbeitspolitische Maßnahmen angepasst werden: „Niemand wird ins Bergfreie fallen.“

Schon nach jetziger Beschlusslage zum Kohleausstieg sind bis zu 40 Milliarden Euro vorgesehen, um die Kohlereviere beim Wandel zu unterstützen. Diese Hilfen laufen nun auch nach und nach an, wie aus einem Bericht des geschäftsführenden Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU) hervorgeht. Beschlossen sind im Rahmen der Finanzhilfen bereits 175 Projekte für 3,01 Milliarden Euro. Gestartet wurden davon immerhin sieben, alle in Sachsen, mit einem Volumen von rund 80,5 Millionen Euro. An Strukturhilfen hat der Bund für 40 Maßnahmen vorerst 10,96 Milliarden Euro verplant.

Altmaier wertet das als Erfolg. Experten zweifeln allerdings, ob das Geld immer sinnvoll eingesetzt wird. So sagte der Ökonom Joachim Ragnitz der Deutschen Presse-Agentur, Kommunen nutzten die Fördergelder zum Beispiel auch für den Bau von Kindertagesstätten oder die Erneuerung von Heimatmuseen, um Touristen anzulocken. Das diene aber nicht unbedingt dem Strukturwandel, sagte der Vizechef der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts. Dieser Umbau sei bis 2030 auch nicht zu bewältigen, weil Investitionen mit langen Planungszeiten nötig seien, etwa Verkehrswege oder Stromtrassen.

Kohle-Regionen unterschiedlich gut vorbereitet?

Nach Ragnitz' Einschätzung dürfte der Kohleausstieg im Rheinischen Revier und im Mitteldeutschen Revier wegen ihrer zentralen Lage zu verkraften sein. „Aber gerade in der Lausitz muss man sagen, das kann schon schwierig werden“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler. Das Kohlerevier nahe der polnischen Grenze leide ohnehin unter Abwanderung und Arbeitskräftemangel. Das heißt wohl: Auch wenn NRW ein Vorziehen mitträgt, dürfte es im Osten weiter Widerstand geben.

Auch energiepolitisch wird ein früherer Kohleausstieg ein Kraftakt. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien gibt es viele Hürden: zu wenig ausgewiesene Flächen, lange Planungs- und Genehmigungsverfahren etwa für neue Windräder, Konflikte mit dem Arten- und Naturschutz.

„Wenn die Regierung ernst macht und den Ausbau von erneuerbaren Energien, Gaskraftwerken und Leitungen zügig vorantreibt, kann die Kohleverstromung auch schon 2030 auslaufen“, erklärte der Chef der Bergbaugewerkschaft IG BCE, Michael Vassiliadis. „Wenn das nicht schnell genug erfolgt, halte ich das Ziel für illusionär.“ Ähnlich äußerte sich der Energiekonzern RWE. Von Wüsts Ansage sei man nicht überrascht, erklärte das Unternehmen. „Auch RWE hat schon mehrfach erklärt, dass ein Kohleausstieg 2030 machbar ist, wenn das Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze gewaltig erhöht wird.“

© dpa-infocom, dpa:211103-99-846588/6

Bergbaumaschinen im Tagebau Garzweiler im Rheinland (NRW). Foto: Federico Gambarini/dpa

Bergbaumaschinen im Tagebau Garzweiler im Rheinland (NRW). Foto: Federico Gambarini/dpa

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Erstellt:
3. November 2021, 11:18 Uhr

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