„Ökologie geht vor Individualverkehr“

Julia Papadopoulos möchte im Fall ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin von Backnang den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz in den Vordergrund rücken. Die 36-jährige Waiblingerin ist überzeugt davon, dass bei ihr die Tierschutzthemen am besten aufgehoben sind.

Um die Verkehrswende zu schaffen, sind neue Straßen laut Julia Papadopoulos völlig kontraproduktiv. Sie zeigt sich schwer beeindruckt vom Verkehr an der Backnanger Spritnase und lehnt Großprojekte ebenso ab wie neue Gewerbe- oder Wohngebiete auf der grünen Wiese. Foto: J. Fiedlerr

© Jörg Fiedler

Um die Verkehrswende zu schaffen, sind neue Straßen laut Julia Papadopoulos völlig kontraproduktiv. Sie zeigt sich schwer beeindruckt vom Verkehr an der Backnanger Spritnase und lehnt Großprojekte ebenso ab wie neue Gewerbe- oder Wohngebiete auf der grünen Wiese. Foto: J. Fiedlerr

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Den Wahlkampf mit dem offensichtlich geringsten Aufwand betreibt Julia Papadopoulos. Die 36-Jährige ist nicht nur als Letzte in das Rennen um die OB-Wahl in Backnang eingestiegen, auch ihr Werbeeinsatz ist minimalistisch. Anfangs warben nur 30 Plakate im flachen Bannerformat mit dem Slogan „OB: JULIA Papadopoulos“ für die Frau aus Waiblingen. Inzwischen hat sie noch ein bisschen aufgerüstet, nun strahlt sie auch auf 30 weiteren, großformatigen Plakaten von den Laternenmasten der Stadt. Dabei fällt auf, dass es auf diesen Plakaten der zweiten Welle nur um die Person geht, nicht um eine bestimmte Wahl. Kein Datum, kein Ort. Das hat einen Grund: Die Plakate stammen noch von der Kommunalwahl 2019, „sie sind zeitlos und können immer und überall eingesetzt werden“, sagt Papadopoulos und deutet an, demnächst auch bei der Bundestagswahl antreten zu wollen. „Aber noch liegt die Priorität auf der OB-Wahl in Backnang: „Ich bin angetreten, um zu gewinnen. Wenn ich Oberbürgermeisterin werde, verlasse ich Backnang sicher nicht.“

Damit die Plakate zumindest einen kleinen Backnang-Bezug erhalten, hat Volker Dyken, der für die Backnanger Demokraten im Gemeinderat sitzt, eine klitzekleine Wahlempfehlung aufgeklebt. „#Ja zu Julia, #Nopperstopper, #Piraten.“ Dyken hat Papadopoulos nicht nur auf die Kandidatur angesprochen und für Backnang begeistern können, er ist auch im wahrsten Sinne ihr Mentor. Weil die Doktorandin, die ihr Masterstudium Vertriebsmanagement 2018 abgeschlossen hat, Backnang bislang nicht so richtig kennt, versorgt Dyken sie seit Wochen mit sämtlichen Informationen über die Probleme und Stärken der Stadt.

Treffpunkt für eine jüngste Tour durch die Stadt ist die Spritnase. Dort schildert Dyken die Planung für den anvisierten B-14-Ausbau und die damit verbundenen Schwierigkeiten. Die Kandidatin hört zu, hakt nach und ist geplättet von der Lautstärke und dem riesigen Verkehrsaufkommen, obwohl es bis zur Rushhour noch ein Weilchen hin ist und von Spitzenwerten noch keine Rede sein kann. „Das ist ganz schrecklich hier, man versteht sein eigenes Wort nicht mehr.“ Die Rede kommt auf die vierspurige B-14-Stadtumfahrung und den Ausbau des Autobahnzubringers nach Mundelsheim, womit die Strecke faktisch eine Nordost-Umfahrung von Stuttgart wäre. Die Bewerberin verweist darauf, dass neue Straßen Verkehr anziehen und bezweifelt den Nutzen eines solchen Ausbaus. Speziell im Hinblick auf den Autobahnzubringer sagt sie: „Das würde ich nicht unterstützen. Wenn man eine Verkehrswende möchte, ist es kontraproduktiv, neue Straßen zu bauen.“ Sie würde die Prioritäten anders setzen und anstelle von mehr Straßenbau lieber den Radverkehr stärken. Ein Vorschlag ist, den ÖPNV kostenfrei anzubieten, „die Leute würden es nutzen“.

Auf der Tour durch Backnang ist die Optikreuzung in Waldrems eine weitere Station. Auch hier geht es um Verkehr, logisch, aber in Sichtweite liegt auch das Gewerbegebiet Mühläcker, wo aufgrund einer Erweiterung weitere zehn Hektar Natur verloren gehen sollen. Auch hierüber ist Papadopoulos nicht glücklich: „Ich bin gegen neue Gewerbegebiete, auch wenn ich weiß, dass es auch um Arbeitsplätze geht. Aber unter OB Nopper wurden viele Gewerbeflächen geschaffen, wenn der Prozess so weitergeht, haben wir bald keine grünen Flächen mehr. Ich bin dagegen, auf der grünen Wiese zu bauen.“ Papadopoulos wirbt vielmehr dafür, dass externe Berater in einer Studie klären sollten, wie man die Infrastruktur verändern könnte: „Wir sollten auf die Profis hören. Ökologie geht vor Gewerbe und Individualverkehr.“

Diese Gedanken zum Umweltschutz ziehen sich auch weiter durch alle Themen. Wie etwa Wohnungsbau. „Wir sollten in der Stadt klären, welche Gebäude aufgestockt werden können. Damit könnte man den Umwelt- und Klimaschutz in Einklang bringen mit der Anforderung, der Wohnungsnot effizient begegnen zu müssen. Und das, obwohl sich diese Themen diametral gegenüberstehen.“

Papadopoulos lehnt es ab, für alle kurzen Strecken das Auto zu nutzen. Der Einkauf des täglichen Bedarfs sollte vor Ort möglich sein, dann könnte man etwa das Fahrrad nutzen. Auch sollten Automaten aufgestellt werden, an denen die Bürger regionale Waren kaufen können. Dies würde zudem die Bauern stärken. Und das Tierwohl. Papadopoulos ist eine von zwei Vorsitzenden im Landesverband der Tierschutzpartei Baden-Württemberg. Sie wirbt für einen verbesserten Katzenschutz, für Taubentürme nach dem Augsburger Modell, bei denen die Eier gegen Toneier ausgetauscht werden, und für die unbürokratische Befreiung von der Hundesteuer, wenn die Tiere aus dem Tierheim stammen oder als Begleithunde eingesetzt werden. „Die Tierschutzthemen wären bei mir am besten von allen Kandidaten aufgehoben“, so ihre Einschätzung.

„In den Kantinen sollte es nur Essen aus regionalen Produkten geben.“

Sie plädiert dafür, dass bei allen Entscheidungen der Stadt möglichst viele Kriterien des Umwelt-, Natur-, Klima- und Tierschutzes berücksichtigt werden. Als Beispiel nennt sie die Schulkantinen. Dort sollte nur Essen ausgegeben werden, das aus regionalen Produkten zubereitet und nicht aus Hunderten von Kilometern Entfernung herangekarrt werde.

Dass sie die einzige Frau im Kandidatenfeld ist, empfindet Papadopoulos als „ganz schlimm“. Die Gleichbehandlung existiert ihrer Erfahrung nach nur auf dem Papier. Sie berichtet aus eigener Erfahrung. Bei einem Arbeitgeber hatte sie einen Zweijahresvertrag. In dieser Zeit wurden zwei unbefristete Stellen frei und jeweils von Männern besetzt, obwohl diese schlechter qualifiziert gewesen seien.

Wenige Tage vor dem ersten Wahlgang zeigt sich Papadopoulos beeindruckt von der Intensität des Wahlkampfs, der ihrer Ansicht nach nicht vergleichbar ist mit dem Kommunalwahlkampf vor zwei Jahren: „Ich bin überrascht, wie sehr ich bei Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen eingespannt bin. Aber ich freue mich auf die Gespräche mit den Bürgern.“ Am Abend nimmt sie noch an einer Sitzung des Waiblinger Gemeinderats teil, „ich möchte meine Pflichten nicht vernachlässigen“. Dort schaffte es ihre Agtif-Fraktion jüngst in die Schlagzeilen. Nachdem Alfonso Fazio als Einzelkandidat bei der Landtagswahl antrat und er deshalb bei den Grünen rausgeworfen wurde, verschlechterte sich die Stimmung in der Fraktion deutlich. Mit der Begründung, „mir ist wichtig, dass ich mich auf meine Arbeit konzentrieren kann“, verließ Papadopoulos die Fraktion und trat bei „Grünt“ ein. „Der Schritt war ein bisschen hart, aber notwendig.“

Egal wie groß der Stress ist, die beste Entspannung ist für Papadopoulos zu Hause. „Am liebsten verbringe ich meine freie Zeit mit meinem Mann und meinen Tieren. Wenn ich auf der Couch sitze und ein Glas Rotwein trinke, dann ist die Welt für mich in Ordnung.“ Dass sie als Oberbürgermeisterin dazu seltener kommen wird, „das nehme ich in Kauf, wenn ich dafür in Backnang etwas bewegen kann“.

„Ökologie geht vor Individualverkehr“

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Erstellt:
5. März 2021, 06:00 Uhr

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