Ökopunkte für die Zukunft

Eine gemeindeeigene Obstwiese in Weissach im Tal wird vom neuen Pächter gezielt ausgemagert und so artenreicher gestaltet. Die extensivere Nutzung als Jungrind- und Ponyweide erlaubt es, dass auch langsam wachsende Kräuter gedeihen.

Tarek ist einer der neuen Bewohner der Weissacher Obstbaumwiese im Gewann Bruckenhau. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Tarek ist einer der neuen Bewohner der Weissacher Obstbaumwiese im Gewann Bruckenhau. Fotos: A. Becher

Von Ute Gruber

WEISSACH IM TAL. Grün leuchtet der baumbestandene Wiesenhang im Abendlicht. Unten entlang des Brüdenbachs radeln sportliche Menschen ihrem Feierabend entgegen, andere führen ihren Hund noch mal Gassi oder vertreten sich nach einem Bürotag die Beine. Hoch oben am Hang sind neuerdings auch Vierbeiner unterwegs. Drei hochbetagte Shetland-Ponys und ein junges Bosnisches Gebirgspony markieren hier auf der gemeindeeigenen Streuobstfläche den Auftakt zu neuen Wegen: Die landwirtschaftliche Nutzung der insgesamt rund zehn Hektar im Gewann Bruckenhau soll eine ökologische Zielrichtung bekommen. Dafür hat das Planungsbüro Roosplan aus Backnang ein Bewirtschaftungskonzept erarbeitet, auf dessen Grundlage zukünftige Pachtverträge abgeschlossen werden sollen. „Durch eine extensivere Nutzung soll die Artenvielfalt auf den Flächen erhöht werden“, erläutert Biologin Nadja Schäfer das Vorgehen. Ohne Düngung könnte bei eingeschränkter Nutzung im Idealfall aus der derzeitigen Fettwiese – mit immerhin Storchschnabel, Labkraut und Zaunwicke – im Laufe der Jahre dann eine noch blumenreichere Magerwiese mit Margeriten, Salbei und Skabiosen-Flockenblume entstehen. Ausmagern nennt dies der Fachmann. Die landwirtschaftliche Abwertung der Wiese bedeutet somit aus ökologischer Sicht eine Aufwertung. Und diese könnte der Gemeinde – neben einem attraktiven Blickfang – in ein paar Jahren wertvolle Ökopunkte einbringen.

„Das ist aber ein sehr langwieriger Prozess“, gibt die Fachfrau zu bedenken. Vielversprechender sei in diesem Fall – zumal wegen der Beschattung durch die Obstbäume – erst einmal eine Erhöhung der Artenausstattung, was zum Beispiel durch eine extensive Beweidung denkbar wäre. Eine realistische Steigerung um bescheidene drei Punkte Biotopwert pro Quadratmeter würde durch die Größe der Fläche aber dennoch einen Gewinn von gut 300000 Ökopunkten generieren. Selbige werden zum Beispiel im Genehmigungsverfahren von Bauvorhaben benötigt, um den Verlust von ökologisch wertvollen Flächen auszugleichen. Nicht dass in der Gemeinde aktuell Bedarf bestünde, aber „ich bin ganz sicher, dass wir diese Ökopunkte irgendwann brauchen werden“, meint Bürgermeister Ian Schölzel.

Der Pachtvertrag verpflichtet zu Heckenschnitt und Baumschutz.

Ohnehin wird der naturnahe Wiesenhang schon seit vielen Jahren der Öffentlichkeit zugänglich gemacht: Seit über zehn Jahren gibt es eine Hochzeits- und Kindleswiese, wo Bürger das freudige Ereignis mit der Pflanzung und möglichst auch weiteren Pflege eines Obstbaums feiern können, einen Streuobstlehrgarten mit heimischen alten Sorten, gemeindeeigene Bienenstöcke, Baumschnittkurse mit dem Obst- und Gartenbauverein, auch für Schüler des Bildungszentrums Weissacher Tal. Auch der Kindergarten wandert immer wieder gern zu diesem schönen Naturdenkmal mit Klinge, Hohlweg, Hecken und den beiden mächtigen Eichen.

„Bei dem Projekt im Bruckenhau handelt sich nicht um eine Einzelmaßnahme. Vielmehr ist es der erste Schritt in die zukünftige Bewirtschaftung von gemeindeeigenen Grundstücken“, erläutert die kommunale Klimaschutzmanagerin, die auch für die Verpachtung der Streuobstwiesen zuständig ist. Als einer der drei Pachtverträge auf der Bruckenhau-Fläche ausgelaufen war, wurde daher die Neuverpachtung unter den genannten Prämissen öffentlich ausgeschrieben. Von den immerhin vier ernsthaften Bewerbern fiel die Wahl auf Thomas Heller, der in Cottenweiler einen Demeter-Milchviehbetrieb bewirtschaftet. Neben der Möglichkeit, hier einen örtlichen Landwirt unterstützen zu können, überzeugte die Gemeinderäte das vorgelegte Konzept und wohl auch die naturverbundene Grundeinstellung des Biobauern.

Dieser plant, die gepachtete Fläche in vier Parzellen einzuteilen und nacheinander als Umtriebsweide für seine Jungrinder zu nutzen. Eine solche Umtriebsweide mit kurzer Nutzung und langer Ruhephase hat nach Erfahrung der Ökologen den Vorteil, dass weniger Trittschäden und trotzdem neue Kleinstrukturen entstehen, etwa durch Dunghaufen, Trittsiegel und Verbiss – als Voraussetzung für den Einzug neuer Pflanzenarten. Nur 50 Prozent des Bewuchses sollen jeweils abgefressen werden, dann können sich durch die Ruhephasen auch langsam wachsende Kräuter entwickeln.

Mit dem Pachtvertrag verpflichtet sich der Pächter außerdem zu Pflegemaßnahmen wie Heckenrückschnitt und Baumschutz, während die Gemeinde im Gegenzug Pachtgebühren erlässt. So ist den Naturschützern zum Beispiel die an ungemähten Stellen einsetzende Ausbreitung der alles überwuchernden Brombeeren sprichwörtlich ein Dorn im Auge. Hier leisten die robusten Ponys von Hellers Lebensgefährtin Nicole Güsgen derzeit Pionierarbeit: Sie knabbern die schmackhaften Blätter ab und trampeln die dornigen Ranken nieder. Zwischendurch beglücken die erfahrenen Minipferde Asterix, Amigo und Ferdinand Kinderherzen im Ferienprogramm, bei Kindergeburtstagen und demnächst im Ponykurs der Volkshochschule.

Nicht alles, was im Bruckenhau schön blüht, ist auch erwünscht. Die Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) profitieren in besonderem Maße von der späten Mahd auf Ökoflächen, denn sie treiben raffiniert antizyklisch ihre Blüten im Herbst und dafür die Blätter und Fruchtstände, im Volksmund Schlutten genannt, im Frühjahr. Und sabotieren dabei zugleich die Bewirtschaftung: Sie sind nämlich hochgiftig – für Mensch und Tier. Bei den Rindern liegt die tödliche Dosis bei 1,2 bis 1,5 Kilogramm frischen Blattmaterials. Allerdings verschmähen erfahrene Tiere die frische Pflanze, lediglich als Heu kann sie nicht mehr ausselektiert werden und führt im schlimmsten Fall zum Tod durch Atemlähmung.

Da die unterirdischen Knollen aber sehr trittempfindlich sind, soll nächstes Frühjahr versucht werden, diese unerwünschte Pflanze mit einer ausnahmsweise frühen, kurzen Beweidung und hoher Besatzdichte zurückzudrängen. „Wir werden da jetzt gemeinsam erste Erfahrungen sammeln“, resümiert der Rathauschef. „Mal sehen, ob die erhofften Effekte überhaupt eintreten.“

Chiara (links) und Josi kümmern sich um die Ponys Asterix und Amigo. Die Vierbeiner leisten einen wertvollen Beitrag zur Pflege der Wiese.

© Alexander Becher

Chiara (links) und Josi kümmern sich um die Ponys Asterix und Amigo. Die Vierbeiner leisten einen wertvollen Beitrag zur Pflege der Wiese.

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Erstellt:
25. September 2020, 16:00 Uhr

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