Bürokratieabbau
Oettinger geht mit EU-Kommission hart ins Gericht
Unternehmen in Europa stöhnen unter zu vielen Regelungen. Inzwischen ändert die EU ihren Kurs. Doch Alt-Kommissar Oettinger wirft seinen Nachfolgern vor, zu wenig zu tun.

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Die Unternehmen stöhnen unter zu viele Bürokratie. Die EU arbeitet nun daran, dass der Vorgabendschungel gelichtet wird.
Von Knut Krohn
Diplomatie zählt nicht zu den Stärken von Günther Oettinger. „Ich bin zu alt, um höflich zu sein“, schleudert der 71-Jährige in dem ihm eigenen, wortreichen Stakkato in die Runde. Dann geht der ehemalige EU-Kommissar hart ins Gericht mit der Europäischen Union im Allgemeinen und der EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen im Besonderen. Bürokratieabbau war eines der zentralen Themen beim Wirtschaftsgipfel in der Brüsseler Landesvertretung von Baden-Württemberg und Oettinger sieht in diesem Bereich vieles im Argen.
Ursula von der Leyen sei in Sachen EU-Regulierung mit dem Versprechen angetreten, den bürokratischen Dschungel konsequent zu lichten, doch sie tue genau das Gegenteil, kritisiert Oettinger, der als eine Art graue Eminenz der deutschen EU-Politik gilt. Deutschland taumle schon zu lange in einer Rezession, legt er nach, und fordert Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Manfred Weber (CSU), Chef der Konservativen EVP im Europaparlament, auf, der Parteifreundin „endlich zu sagen, wo es langgeht“.
Der Kanzler rügt die EU-Kommissionschefin
Genau das hatte der Kanzler Stunden zuvor bereits in Berlin getan. Kurz vor seinem Abflug zum informellen EU-Gipfel in Kopenhagen mahnte er Brüssel an, den Abbau der Bürokratie endlich anzugehen. Das Thema Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie sei seit zwei Jahren Hauptthema in der EU. Das müsse auch in der Regulierung zum Ausdruck gekommen. „Ich will es mal etwas plastisch und bildlich sagen: Wir müssen dieser Maschine in Brüssel jetzt mal das Stöckchen in die Räder halten, damit das mal aufhört“, sagte der CDU-Politiker, der das Thema dann auch auf dem Gipfel mit seinen Kollegen ansprach.
Wie dringend der Handlungsbedarf in der Wirtschaft empfunden wird, zeigt sich auch an der Vielzahl von Besuchern, die sich in Brüssel in diesen Tagen die Klinke in die Hand geben. Sie alle möchten in diesem Herbst der Entscheidungen ein Wörtchen mitreden. Zu ihnen zählt auch Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, der sich in mehreren Gesprächen mit Europaabgeordneten besorgt über die Lage in der EU und in Deutschland äußerte. Schon zuvor hatte er gewarnt zu glauben, Bürokratie ließe sich mit einem Handstreich abbauen. Dazu gehöre es, unbequeme Entscheidungen zu treffen. Eine zentrale Frage sei, wie der Wandel gelinge, hin zu einer produktiveren, innovationsgetriebenen Wirtschaft – ohne soziale Brüche, aber mit klaren Zukunftsaussichten.
Kleine Betriebe stehen unter besonderem Druck
Unter besonderem Druck durch die überbordende Bürokratie sehen sich die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland. Um ihre Sicht der Dinge darzulegen, hatten die Chefs der Sparkassen, Banken, des Handwerks und der Handelskammern die Einladung der Landes Baden-Württemberg zu dem zweitägigen Wirtschaftsgipfel in der Hauptstadt der Europäischen Union nur allzu gerne angenommen. Offensichtlich unter dem Eindruck der jüngsten Ankündigung des schwäbischen Traditionsunternehmens Bosch, viele Tausend Stellen zu streichen, warnte die Stuttgarter Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut in dieser Runde in Brüssel eindringlich: „Es ist bereits fünf nach Zwölf“.
Die EU muss ihrer Hausaufgaben machen
Auch die EU-Kommission hat die Zeichen der Zeit erkannt und gibt sich bei Veranstaltungen und in Interviews neuerdings erstaunlich offen und auch selbstkritisch. So räumte Michael Hager, Kabinettschef von EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis, bei dem Wirtschaftsgipfel in Brüssel ein, dass Politik und Verwaltung sich in der Union zu lange bequem in einer Situation eingerichtet hätten, in der die Dinge gut liefen. „Aber nun haben wir neue Realitäten“, betont der EU-Beamte, und es müssten mit „Speed und Ernsthaftigkeit“ alle jene Hausaufgaben in Angriff genommen werden, die seit Jahren nicht gemacht worden seien. Doch Hager geht noch weiter: er konstatiert, dass in der EU in den vergangenen Jahrzehnten im gesamten Rechtsrahmen der Union, dem sogenannten Acquis communautaire, viele Dinge aufgebaut worden sind, die schlicht überflüssig seien. Aus diesem Grund müsse bei allen Verantwortlichen ein grundsätzliches Umdenken stattfinden, fordert der EU-Beamte. Der Kern aller Veränderung müsse in der EU in Zukunft darauf zielen, die Dinge einfacher zu machen.