Opposition kritisiert späte Evakuierung in Kabul

dpa Berlin. Die Taliban sind in Kabul. Bei der Evakuierung von deutschen Staatsangehörigen und Ortskräften aus Afghanistan muss es jetzt ganz schnell gehen. Die Opposition zeigt sich entsetzt und hält der Bundesregierung vor, viel zu langsam gehandelt zu haben.

Transportflugzeuge vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe stehen am Abend auf dem Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover hinter einem Zaun. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Transportflugzeuge vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe stehen am Abend auf dem Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover hinter einem Zaun. Foto: Moritz Frankenberg/dpa

Angesichts der dramatischen Entwicklung in Afghanistan hagelt es Kritik am Vorgehen der Bundesregierung bei der Evakuierung von deutschen Staatsangehörigen und ehemaligen Ortskräften. Die Opposition hielt Schwarz-Rot vor, viel zu spät reagiert zu haben.

Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte am Sonntagabend angekündigt, die ersten Angehörigen der deutschen Botschaft würden noch „im Laufe des Tages“ ausgeflogen. Außerdem sollten in der Nacht zum Montag Transportflugzeuge der Bundeswehr starten, um bei der Evakuierung zu helfen. Die Botschaft in Kabul wurde dichtgemacht, die Mitarbeiter wurden zum militärischen Teil des dortigen Flughafens gebracht.

FDP: Verantwortliche „ auf ganzer Linie versagt“

Zuvor hatten die islamistischen Aufständischen am Wochenende weitere Großstädte in dem Krisenstaat erobert und auch die Hauptstadt Kabul eingekesselt. Am Sonntagabend rückten dann Talibankämpfer in die Millionenmetropole ein und besetzten auch den Präsidentenpalast.

Der FDP-Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff sagte der „Welt“, Außenminister Maas, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) hätten „auf ganzer Linie versagt“. Die Bundesregierung sei unfähig gewesen, Ortskräften rechtzeitig die Ausreise zu ermöglichen - das sei „beschämend“.

Grüne: „Es ist unverständlich“

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte am Sonntagabend der Deutschen Presse-Agentur: „Man muss sich fragen, warum die Bundesregierung so überrascht wirkt vom schnellen Vorstoß der Taliban.“. Die Bundesregierung müsse jetzt ganz schnell handeln. „Es ist unverständlich, warum nicht schon spätestens vor einer Woche Leute aus Afghanistan herausgeholt worden sind mit der Möglichkeit, Visa erst in Deutschland auszustellen.“

Linke: Bundesregierung handelt „skandalös“

Der Fraktionsgeschäftsführer der Linken im Bundestag, Jan Korte, sagte der dpa: „Wie die Bundesregierung, allen voran Außenminister Maas, bei der Evakuierung deutscher Botschaftsangehöriger, Mitarbeitern von NGOs und afghanischen Ortskräften dilettiert, ist skandalös und gefährdet Menschenleben. Während andere Länder ihre Angehörigen schon seit Tagen aus Afghanistan ausfliegen, bequemt sich die Bundesregierung erst jetzt, Flugzeuge nach Kabul zu schicken.“

AfD: „Bundesregierung hat verschlafen“

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte der „Welt“: „Die Bundesregierung hat offenbar den Zeitpunkt verschlafen, die deutschen Staatsbürger und die einheimischen Ortskräfte, die für uns gearbeitet
haben, rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.“ Sie müsse nun alles dafür tun, alle Deutschen sowie die Ortskräfte mit ihren Familien in rauszuholen - notfalls unter dem Schutz der Bundeswehr.

SPD in der Defensive

Der Fraktionschef der SPD im Bundestag, Rolf Mützenich, hatte bereits am Sonntag Vorwürfe gegen Außenminister Maas zurückgewiesen. „Heiko Maas leitet nicht nur den Einsatzstab zur Rettung der deutschen Staatsangehörigen und Botschaftskräfte, sondern hat sich in den letzten Wochen auch intensiv um die Ausreise der afghanischen Ortskräfte und weiterer Menschen, die über die Unterstützung der Bundeswehr hinaus vor Ort tätig sind, gekümmert.“ Zudem befinde er sich im ständigen Austausch mit den internationalen Partnern.

Der Außenexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte am Sonntagabend im ZDF-„heute journal“ auf die Frage, warum die Evakuierungen so spät kämen: „Die amerikanischen Geheimdiensten (haben) am Dienstag glaube ich noch verkündet, sie gingen davon aus, dass 30 bis 90 Tage noch reichen würden, um Kabul zu halten. Dann würde die Stadt erst fallen.“ Er glaube, die Entwicklung sei so nicht vorhersehbar gewesen, sagte Kaim.

Bundestag soll über Evakuierung entscheiden

Die Bundesregierung will in der Kabinettssitzung an diesem Mittwoch das Mandat für den Einsatz zur Evakuierung beschließen. Darüber unterrichtete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabend die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen telefonisch, wie die Deutsche Presse-Agentur aus Teilnehmerkreisen erfuhr. In der darauffolgenden Woche soll der Bundestag darüber beraten und entscheiden.

© dpa-infocom, dpa:210816-99-853949/2

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Erstellt:
16. August 2021, 01:09 Uhr

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