Pariser Messerattacke: Innenminister in der Kritik

dpa Paris. Nach einer beispiellosen Bluttat debattiert Frankreich erneut die Gefährdung durch islamistische Attentäter - diesmal aber in der Institution, die Anschläge eigentlich verhindern soll. Warum wurde die Radikalisierung des Mannes nicht erkannt?

Bei der Messerattacke in der Pariser Polizeipräfektur sind fünf Menschen getötet worden. Foto: Kamil Zihnioglu/AP/dpa

Bei der Messerattacke in der Pariser Polizeipräfektur sind fünf Menschen getötet worden. Foto: Kamil Zihnioglu/AP/dpa

Die Gefahr kam aus einer nie da gewesenen Richtung: Ein Polizeibeamter tötete innerhalb weniger Minuten vier seiner Kollegen, bevor er selbst erschossen wurde. Hinweise der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft deuten auf ein terroristisches Motiv hin. Nun wächst vor allem der Druck auf Innenminister Christophe Castaner. Es habe offensichtlich Schwachstellen bei der Erkennung der Radikalisierung des Tatverdächtigen gegeben, räumte Castaner am Sonntag in einem Interview mit dem Fernsehsender TF1 ein.

Forderungen nach seinem Rücktritt wies der Minister jedoch zurück. Castaner betonte, dass es in der Akte des 45 Jahre alten Polizeimitarbeiters keine Hinweise auf Verhaltensauffälligkeiten gegeben habe. Oppositionspolitiker hatten dem Innenminister zuvor vorgeworfen, kurz nach der Tat am Donnerstagnachmittag nicht die Wahrheit über eine bekannte mögliche Radikalisierung des Tatverdächtigen gesagt zu haben.

Castaner habe gelogen, sagte die republikanische EU-Politikerin Nadine Morano in einer Gesprächsrunde im Sender BFMTV am Sonntag. Auch Politiker der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National um Marine Le Pen forderten den Rücktritt Castaners. Dieser muss Berichten zufolge nun in der kommenden Woche vor einer Delegation des Parlaments Rede und Antwort stehen.

Rückdeckung erhielt Castaner von Premierminister Édouard Philippe. Er vertraue Castaner, so Philippe. Im vergangenen Jahr habe es rund 300 000 Sicherheitsüberprüfungen innerhalb des Polizeiapparats gegeben, sagte der Premier in einem Interview der Zeitung „Le Journal du Dimanche“ - jedoch nur in 20 Fällen habe es einen Anlass gegeben, um Polizisten von ihrer Position zu entbinden. Nähere Angaben zu den Gründen dafür machte Philippe nicht.

Der Chefermittler der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft, Jean-François Ricard, hatte am Samstag Details zu dem Tatverdächtigen bekannt gegeben. Der Mann sei vor rund zehn Jahren zum Islam konvertiert. Außerdem habe der Angreifer Kontakt zu mutmaßlichen Anhängern der salafistischen Bewegung, einer ultrakonservativen Strömung innerhalb des Islams, gehabt.

Der Mann habe vor der Tat im Polizeihauptquartier auf der Seine-Insel Île de la Cité per Mobiltelefon ausschließlich religiöse Nachrichten mit seiner Ehefrau ausgetauscht. Diese tauche aber nicht in der Datei für islamistische Gefährder auf. Unmittelbar vor der Tat habe der Mann zwei Messer gekauft. Seine Bluttat habe nur wenige Minuten gedauert.

Der Angreifer war nach Angaben des Chefermittlers mit extremer Gewalt vorgegangen - dies habe auch die Obduktion der Opfer gezeigt. Welche Rolle die 38 Jahre alte Ehefrau des Tatverdächtigen spielte, war zunächst offen. Sie war bis Sonntagabend in Gewahrsam. Weitere rechtliche Schritte gegen sie würden zunächst nicht eingeleitet, berichtete die Nachrichtenagentur AFP.

Der Angreifer hatte am Donnerstagnachmittag in der Polizeipräfektur vier seiner Kollegen getötet. Anschließend wurde er von einem Polizisten erschossen, der selbst erst wenige Tage im Einsatz war. „Die Ermittlungen werden nun fortgesetzt, um die Gründe für diese Tat und die Persönlichkeit des Täters genauer zu bestimmen“, kündigte der Chefermittler an.

Frankreich wird seit Jahren immer wieder von islamistischen Terrorattacken erschüttert. Dabei sind bislang mehr als 250 Menschen ums Leben gekommen. Beim Anschlag 2015 auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris und weiteren Angriffen starben 17 Menschen. Polizisten erschossen die drei islamistischen Täter.

Im November des selben Jahres töteten Extremisten bei einer Attentatserie in der französischen Hauptstadt 130 Menschen, unter anderem in der Konzerthalle Bataclan. Im Juli 2016 raste ein Attentäter mit einem Lastwagen am französischen Nationalfeiertag in Nizza in eine Menschenmenge. Mindestens 86 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt.

Der jüngste Vorfall ereignete sich erst vor wenigen Monaten: Ein 24-Jähriger hatte in Lyon einen selbstgebauten Sprengsatz vor der Filiale einer Bäckereikette in einer Einkaufsstraße der südostfranzöschen Metropole platziert. Mehr als ein Dutzend Menschen wurden verletzt. Auch Polizisten wurden immer wieder gezielt Opfer von Anschlägen. 2017 feuerte ein Attentäter in Paris auf einen Mannschaftswagen der Polizei. Ein Polizist kam dabei ums Leben.

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Erstellt:
6. Oktober 2019, 21:56 Uhr

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