Paul Simon über seine Motivation als Jugendvertreter: „Als Gruppe kann man viel bewegen“

Turmgespräche Paul Simon ist seit November einer von vier Jugendlichen, die im Gemeinderat für die Backnanger Jugend sprechen. Im Interview erzählt er, warum er sich mehr politisches Engagement wünscht.

Mit der Schule hat Paul Simon den Stadtturm bereits besucht, der 18-Jährige ist also nicht zum ersten Mal über den Dächern von Backnang. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Mit der Schule hat Paul Simon den Stadtturm bereits besucht, der 18-Jährige ist also nicht zum ersten Mal über den Dächern von Backnang. Fotos: Alexander Becher

Du bist als einer von vier Jugendvertretern in Backnang dafür verantwortlich, die Interessen der Jugend in der Kommunalpolitik zu vertreten. Was war deine Motivation, das Amt zu übernehmen?

Ich habe das Amt der Jugendvertreter im Gemeinschaftskunde Leistungskurs kennengelernt, vorher hatte ich noch nie davon gehört, die Unbekanntheit dieses Amts ist tatsächlich ein großes Problem. Schließlich gab es bei unserer Wahl nur eine Beteiligung von drei oder vier Prozent. Aber unser Lehrer Herr Dobler, der auch Stadtrat in Backnang ist, hat bei uns in der Klasse Flyer verteilt. Und das klang dann doch spannend, man kann ein bisschen Politikluft schnuppern, aber hat in diesem Ehrenamt noch keinen riesigen Druck.

War es schwer, in das Amt und in eure Aufgaben hineinzukommen?

Schwer war das nicht wirklich, aber wir vier mussten uns erst mal gegenseitig kennenlernen, wir kommen aus politisch eher unterschiedlichen Lagern. Und uns haben auch alle gesagt, dass es einige Zeit dauert, bis man merkt, wo man etwas anpacken und bewirken kann.

Hast du manchmal das Gefühl, als junger Mensch im Gemeinderat weniger ernst genommen zu werden?

Tatsächlich gar nicht. Mein Eindruck ist, dass die Menschen dort wirklich interessiert an uns sind und an dem, was wir sagen. Auf kommunaler Ebene möchte man gerne etwas für die Jugendlichen tun und die Bemühungen sind wirklich da. Auch nach den Sitzungen kommen viele auf uns zu und fragen, nach unserer Meinung oder ob wir noch gerne etwas zu einem Thema gesagt hätten. Die Hemmschwelle ist da natürlich größer, sich einzubringen. Aber wir sind inzwischen volljährig und wenn man nicht einfach rummotzt, sondern gut ausdrücken kann, was man ansprechen möchte, ist das gar kein Problem.

Warum ist es denn so wichtig, dass auch Vertreter der Jugendlichen in diesen Gremien sitzen und mithören und auch mitdiskutieren?

Die Jugendlichen sind letztendlich die, die am wenigsten eine Stimme in der Politik haben. Wir vertreten Jugendliche im Alter von zwölf bis 27, viele von ihnen dürfen in Wahlen ja noch gar nicht mit abstimmen. Das ist natürlich auch gerechtfertigt, aber trotzdem haben wir eine riesige Menge an Menschen, die offiziell keine Stimme haben. Wobei man oft auch das Gefühl bekommt, dass bei der vorherrschenden Politik die Interessen der Jugend oft nicht beachtet wird und nur für die wählende Gruppe Politik gemacht wird.

Welche Themen beschäftigen die Jugendlichen nach deiner Erfahrung?

Das öffentliche WLAN war ein riesiges Thema in der Stadt. Jetzt endlich haben wir es und ich und viele andere Jugendliche nutzen es gerne. Und dann fehlt vielen jüngeren Menschen eben auch einfach ein Platz, an dem sie einfach sein und ihre Zeit verbringen können. Deswegen gehen viele auch so gerne in Vereine, da haben sie einen Platz und treffen andere Gleichgesinnte. Und nach drei Jahren Lockdown wollen wir auch wieder rausgehen und vermissen ein Nachtleben für die Jugendlichen.

Fehlt das denn in Backnang?

Schon ja. Also besonders für die Unter-18-Jährigen ist es schwierig, abends wegzugehen. Klar gibts da schon Bars, in die man gehen kann, aber die sind meistens dann doch teurer und auf Dauer nicht für jeden finanzierbar. Deswegen ist es ja so wichtig, öffentliche Räume zu schaffen, wie den Skatepark, den unsere Vorgänger mit initiiert haben. Der ist nicht nur für Skater da, sondern einfach ein Treffpunkt für alle Jugendlichen, man hat Sitzmöglichkeiten und kann miteinander ins Gespräch kommen. Und es funkt niemand Älteres dazwischen.

Ist es sehr schwierig, die Interessen aller 13- bis 27-jährigen Backnanger zu vertreten? Das ist ja immerhin eine recht große Altersspanne.

Klar, da hat man viele verschiedenen Lebenssituationen vertreten, manche Schüler sind gerade in die Mittelstufe gekommen, andere machen gerade ihren Schulabschluss und versuchen, sich selbst zu finden. Die Älteren stehen vielleicht schon seit einigen Jahren voll im Berufsleben, da muss man viele Themen unter einen Hut bekommen. Meine 15-jährige Schwester interessieren auch ganz andere Dinge als mich. Umso wichtiger wäre es ja, dass sich mehr Menschen an den Wahlen beteiligen und uns ihre Interessen mitteilen. Dann würde es uns leichter fallen, für eine größere Gruppe zu sprechen.

Wie plant ihr, all diese Jugendlichen besser zu erreichen?

Die sozialen Medien bieten da natürlich gute Plattformen, um unsere Reichweite zu erhöhen. Wir haben jetzt auch Werbeartikel wie Sticker bestellt. Und wir planen, mehr in die Schulen zu gehen, um uns und unser Amt vorzustellen. Dort erreichen wir eben einen großen Teil der Jugendlichen.

Was denkst du, warum sich Jugendliche nicht so sehr für Politik interessieren?

Ich glaube, viele sehen die Politik als eine Institution, die viele Regeln macht und gerade jungen Menschen bis zur Volljährigkeit doch recht viel verbietet. Es ist eine Autorität, mit der man sich dann vielleicht irgendwie arrangiert, aber Politik wird oft als ein Altherrending gesehen, mit dem man sich eben nicht identifizieren kann. Man hat andere Interessen und möchte sich einfach selbst ausleben. Ich glaube, man muss die Politik wieder näher an die Menschen heranbringen und eben in unserem Fall besonders an die Jugendlichen.

Und dennoch gibt es ja auch starke politische Bewegungen, wie Fridays for Future, die gerade von den Jugendlichen kommen.

Genau das ist dann eben diese andere Richtung, die dann mit Vollgas in die Politik reingehen. Ist tendenziell super. Aber gerade wenn man die Letzte Generation anschaut, muss man sich eben doch an gewisse Regeln in einem Protest halten. Aber es zeigt auf jeden Fall, dass man viel bewegen kann, wenn man sich als Gruppe zusammentut. Dann bekommt die Politik auch mal ein Bild davon, welche Stimmung kommt und welche Menschen in Zukunft wählen gehen werden, sobald sie es können. Dann glaube ich schon, dass da auch eine Umorientierung kommt. Ich glaube aber auch, dass wir Jugendlichen auch verstehen müssen, ist, dass eben doch nicht alles möglich ist und dass man kompromissbereiter werden muss.

Welche Projekte sind euch wichtig?

Wir haben uns beim Thema Kulturpass eingesetzt. (Anm. d. Red.: Mit dem Kulturpass bekommen alle, die in diesem Jahr ihren 18. Geburtstag feiern, ein Budget von 200 Euro für kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte, Bücher, Noten oder auch für Musikinstrumente ausgeben können.) Es ist eben sehr willkürlich, dass ihn nur dieser eine Jahrgang bekommt und alle anderen leer ausgehen. Deswegen haben wir jetzt auch einen offenen Brief formuliert, den kann man auf Instagram nachlesen. Wir haben ihn auch ans Kultusministerium geschickt, aber bis jetzt keine Reaktion bekommen. Und wir würden so eine Art Kulturpass auch gerne zumindest auf kommunaler Ebene anbieten können. Quasi als regionale Lightversion. Eventuell auch mit der Unterstützung von Vereinen oder der Stadt, Backnang hat ja eigentlich ein breites Kulturangebot. Dann könnte man Vergünstigungen für junge Menschen anbieten und das alles natürlich auch entsprechend bekannt machen und nach außen kommunizieren.

Welches Ziel hättest du am Ende deiner Amtszeit gern erreicht?

Ich würde gerne unseren Nachfolgern eine Wahl ermöglichen, an der sich mal eine ordentliche Anzahl an Jugendlichen beteiligt. Und bei der vielleicht auch mehr als nur vier Kandidaten zur Wahl stehen. So war’s bei uns, da wurde mit der Abstimmung eigentlich nur festgelegt, wer die Stellvertreter werden. Es wäre für uns Vertreter besser, zu wissen, was möchte denn die breite Masse der Jugendlichen? Wenn die Wählergruppe größer wird, könnte man präziser und fürs größere Gemeinwohl arbeiten.

Sollten sich mehr Jugendliche politisch engagieren?

Klar, das sollten allgemein mehr Menschen tun. Mich nerven die Leute, die immer nur meckern. Ich find’s gut, wenn man auch mal selbst die Initiative ergreift. Und Demokratie ist doch eine geile Sache, also warum nicht mal die eigene Stimme einsetzen? Dann kann man doch auch mal das passive Wahlrecht wahrnehmen und sagen, ich möchte jetzt auch irgendwas tun.

Das Gespräch führte Carolin Aichholz.

„Demokratie finde ich ziemlich geil“, sagt Paul Simon im Gespräch.

© Alexander Becher

„Demokratie finde ich ziemlich geil“, sagt Paul Simon im Gespräch.

Blick vom Turm

Stationen in Backnang Zuerst fällt Paul Simon die Mörikeschule auf, dort ging er in die Grundschule. Er wohnt heute beim Dresdener Ring, den man ebenfalls gut aus der Höhe ausmachen kann. Dann blickt er auf das Gymnasium in der Taus, seine aktuelle Schule. Im nächsten Jahr wird er dort seine Abiturprüfungen schreiben. Zum Geld verdienen jobbt er bei der Metzgerei Kühnle.

Hobbys und Interessen In seiner Freizeit spielt Paul Simon American Football bei den Fellbach Warriors. Früher war er auch im Judoteam der TSG Backnang, das gab er aus Zeitgründen allerdings auf. Nach seinem Abitur spielt er mit dem Gedanken, Europas härtesten Fernwanderweg, den GR20 auf Korsika, zu bewandern. In 16 Etappen werden dabei 180 Kilometer, sowie 12500 Höhenmeter überwunden. Beruflich kann er sich auch vorstellen, später in die Politik zu gehen, ist aber noch offen für alles.

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Erstellt:
11. September 2023, 06:00 Uhr

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