Prozess um Vergewaltigung bei Pfadfindern nach 30 Jahren
dpa/lsw Baden-Baden. Der Tatvorwurf klingt unglaublich: Ein Leiter soll mehrere Pfadfinder dazu genötigt haben, ein Mädchen aus ihrer Gruppe zu vergewaltigen. Nach mehr als drei Jahrzehnten steht der Mann jetzt vor Gericht.
Ein Keller im Pfadfinderhaus, eine Art Streckbank, eine Serienvergewaltigung eines Mädchens: Wegen des Verdachts einer kaum vorstellbaren Tat vor mehr als 30 Jahren steht in Baden-Baden ein 64 Jahre alter Mann vor dem Landgericht. Er soll als Gruppenleiter mehrere kindliche und jugendliche Pfadfinder zu den Vergewaltigungen genötigt haben. Der Tatzeitpunkt sei zwischen 1983 und 1987 gewesen und lasse sich nicht mehr genau eingrenzen, sagte die Staatsanwältin bei der Verlesung der Anklageschrift am Mittwoch. Das Opfer sei damals zwischen sieben und elf Jahre alt gewesen.
Der Angeklagte, ein kleiner Mann, heute mit Halbglatze, geschorenem Haarkranz und runder Brille, soll sein Opfer im Keller des Pfadfinderheims in Baden-Baden gezwungen haben, sich nackt auf einen Tisch zu legen, der einer Streckbank ähnelte. Anschließend habe er die Jungen der Reihe nach zur Vergewaltigung des Mädchens genötigt.
Nach der Tat soll der Mann alle beteiligten Kinder und Jugendlichen durch einen „Pfadfinderschwur“ genötigt haben, niemandem von dem Geschehen zu erzählen. Das Opfer habe er später gelobt, „dass sie eine gute Pfadfinderin sei“, sagte die Staatsanwältin.
Der Angeklagte ließ zum Prozessauftakt durch seinen Verteidiger erklären, dass er sich zunächst weder zu seinen persönlichen Verhältnissen noch zu den Vorwürfen äußern werde.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann zahlreiche weitere Missbrauchstaten an Kindern und Jugendlichen vor, die als „Pfadfinderübungen“ getarnt waren, wegen Verjährung aber nicht mehr angeklagt werden können. Im Jahr 2000 hatte der Angeklagte außerdem einen Strafbefehl wegen mehrerer Sexualdelikte erhalten. Die angeklagte Tat ist nicht verjährt, weil die Verjährungsfrist von 20 Jahren bei Vorwürfen wie dem sexuellen Missbrauch von Kindern bis zum Ablauf des 30. Lebensjahres des Opfers ruht.
Der Anwalt des 64-Jährigen forderte gleich zu Beginn der Verhandlung, das Verfahren einzustellen - wegen des alten Strafbefehls und weil die Anklage angesichts des nicht näher eingegrenzten Zeitraums, in dem die Tat stattgefunden haben soll, nicht konkret genug sei. Die Große Strafkammer wies die Anträge nach Beratung zurück. Der Strafklageverbrauch greife hier nicht, weil sich der Strafbefehl eindeutig nicht auf die angeklagte Tat bezogen habe, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Fischer. Die Anklageschrift sei auch nicht zu unbestimmt, weil Ort und Umstände der Tat eindeutig seien.
Ein Zeuge, der seit den 70er Jahren organisatorisch bei den Pfadfindern in Baden-Baden tätig ist, beschrieb den Angeklagten als überaus engagiert und aktiv. Nachdem er als junger Mann 1979 oder 1980 dazugestoßen war, habe sich die Zahl der Pfadfinder mehr als verdoppelt. „Er hat sehr viel Leben in die Bude gebracht.“ Im Umgang mit den Kindern sei er „herzlich, aber in bestimmter Weise auch konsequent“ gewesen. „Wir waren ein luschiger Haufen, bei ihm war es ein straffer Haufen“, sagte der 71 Jahre alte Zeuge. Von den Ermittlungen gegen den Angeklagten habe er nicht viel mitbekommen.
Bis zum 15. Oktober sind weitere drei Verhandlungstage angesetzt. Es sollen insgesamt 24 Zeugen gehört werden.