Schule und Bildung
Pisa-Chef: Deutschland ist schlechter als die USA bei Chancengerechtigkeit
Gerade in Deutschland schafften es Kinder aus bildungsfernen Familien nicht an die Uni, kritisiert Pisa-Chef Andreas Schleicher. Da seien selbst die USA besser.

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Er findet deutliche Worte: Pisa-Chef Andreas Schleicher.
Von Tobias Peter
Der Chef der Pisa-Studie, Andreas Schleicher, kritisiert, Deutschland sei in Sachen Chancengerechtigkeit im Bildungssystem schlechter als die USA. „Wir sollten von einem Bildungssystem erwarten, dass der Zugang zu weiterführenden Bildungsangeboten durch Talent, Motivation und Einsatzbereitschaft bestimmt wird“, sagte er unserer Redaktion. „In Deutschland aber hängt der Zugang zu hohen akademischen und beruflichen Abschlüssen weiterhin stark mit dem sozialen Hintergrund zusammen.“
Die konkreten Zahlen
Schleicher führte mit Blick auf Deutschland aus: „Zwei Drittel der Jugendlichen, die wenigstens ein Elternteil mit einem Hochschulabschluss oder auch Meister haben, erzielen später auch selber einen solchen Abschluss. Bei den anderen liegt die Chance nur bei eins zu fünf.“ Das zeigen die Zahlen aus „Bildung auf einen Blick“, einem internationalen OECD-Bericht, der am Dienstag in zahlreichen Ländern vorgestellt wurde. Die von Schleicher genannten Zahlenverhältnisse sind aufgrund der vorhandenen statistischen Daten zwar nicht hundertprozentig präzise – aber laut OECD im Trend auf jeden Fall belastbar.
„Interessant ist, dass sogar Länder mit hohen Studiengebühren wie England deutlich chancengerechter abschneiden“, sagte Schleicher, der als OECD-Bildungsdirektor unter anderem auch die Pisa-Studie verantwortet. „Selbst die USA liegen hier vor Deutschland“, sagte er. Das bedeute, es seien nicht finanzielle Barrieren wie Studiengebühren, sondern ungleiche Chancen im Schulsystem, die vielen jungen Menschen im Weg stünden. Das anhaltende Problem macht sich auch erkennbar in Zahlen bemerkbar: Der Anteil junger Erwachsener in Deutschland zwischen 25 und 34 Jahren, die weder Abitur noch einen Berufsabschluss haben, ist seit 2019 von 13 auf 15 Prozent gestiegen.
Der Bericht zeige aber durchaus auch Stärken auf, fuhr Schleicher fort. „Bei den Bildungsinvestitionen pro Schüler und Studierendem liegt Deutschland über dem Mittel“, sagte er. Es gebe also guten finanziellen Spielraum, um das Bildungssystem aus- und umzubauen.
Gute Bezahlung – aber was bringt es?
„Hier muss man sich Gedanken machen, wie man gute Lehrergehälter und in der Regel auch günstige Betreuungsverhältnisse mittelfristig in bessere Unterrichtsqualität umsetzt“, sagte der Pisa-Chef. Mit anderen Worten: Deutsche Lehrkräfte werden, wenn man auf ihre Kollegen in anderen Ländern schaut, ordentlich bezahlt. Auch das Zahlenverhältnis von Lehrkräften und Schülern ist aus Sicht des OECD-Bildungsdirektors gar nicht mal schlecht – die Ergebnisse ließen dennoch zu wünschen übrig.
„Lehrer sollten stärker im Team arbeiten“, forderte Schleicher. Auch gehe es darum zu ermöglichen, dass Lehrkräfte ihre Zeit vor allem mit den Schülern verbringen könnten. Es falle auf, „dass trotz Ganztagsschule die Unterrichtszeit für Schüler in Deutschland unter dem OECD-Mittelwert liegt“, sagte der OECD-Bildungsdirektor.
Erst kürzlich hatte der Pisa-Chef in einem Interview auch kritisiert, Deutschland verteile das Geld im Bildungssystem nicht klug – also nicht zuallererst an die Schulen, die es am nötigsten bräuchten. Er monierte, das deutsche Bildungssystem kümmere sich nicht ausreichend um Kinder mit Migrationshintergrund. Dadurch gerieten in Deutschland oft „ganze Schulen aus dem Gleichgewicht“.
Und welche weiteren Ergebnisse gibt es in „Bildung auf einen Blick“? Das Hochschulsystem in Deutschland werde für ausländische Studierende zunehmend attraktiv, sagte Schleicher. In der Tat hat sich der Anteil ausländischer Studierender seit 2013 von 7,1 auf 12,7 Prozent im Jahr 2023 erhöht. Deutschland steht unter den nicht englischsprachigen Ländern bei der Zahl der ausländischen Studierenden auf Platz ein. Insgesamt liegt es auf Platz vier hinter den USA, Großbritannien und Australien.
Bildungsinvestitionen zahlten sich aus, legte Schleicher zudem dar. Es gebe in Deutschland einen hohen Einkommensvorteil für Personen mit Hochschulabschluss oder Meister. Besonders gute Verdienstaussichten haben in Deutschland laut der Studie Hochschulabsolventen in Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.