Wehrdienst nicht mehr freiwillig?
Pistorius sucht bis zu 60.000 Soldaten mehr
Debatte um „freiwilligen“ Wehrdienst: Pistorius beziffert Personalbedarf der Bundeswehr auf hohe Zahlen. Müssen bald alle jungen Leute zur Musterung?

© Bernd von Jutrczenka/dpa/Bernd von Jutrczenka
Nicht jedermanns Sache: Strammstehen beim Militär.
Von Michael Maier
Kommt eine Wehrpflicht oder gar Dienstpflicht für junge Männer und Frauen, obwohl es im Bundestag keine Zweidrittel-Mehrheit dafür gibt und dem Thema Zwangsarbeit auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) entgegen stehen würde? Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will die Debatte jedenfalls nicht aufgeben und hat den zusätzlichen Bedarf der Bundeswehr an Streitkräften auf bis zu 60.0000 Soldaten beziffert.
„Wir gehen davon aus, das ist aber auch nur eine Daumengröße, um es klar zu sagen, dass wir rund 50.000 bis 60.000 Soldatinnen und Soldaten in den stehenden Streitkräften mehr brauchen als heute“, sagte Pistorius am Donnerstag am Rande eines Treffens der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel. Bei dem Treffen stehen Aufrüstung und die Erhöhung der Kriegsausgaben für die Ukraine im Fokus.
Wer bekommt Post von der Bundeswehr?
Bereits beschlossen ist, dass junge Männer und Frauen künftig Behördenpost vom Kreiswehrersatzamt bekommen sollen, wie es früher im Rahmen der Musterung üblich war. Männer müssen das „gelben Einschreiben“ zu ihrem Interesse oder Desinteresse an der Bundeswehr zwingend beantworten, für Frauen ist die Rücksendung vorerst freiwillig – anders also als in Ländern wie Schweden oder Israel. Vor allem das sogenannte „schwedische Modell“ scheint auf Pistorius und andere Nato-Falken nach wie vor eine gewisse Faszination auszuüben.
Schwedisches Modell bei der „Wehrpflicht“
- Musterung aller: Grundsätzlich werden alle jungen Männer und Frauen eines Jahrgangs erfasst und zu einer Online-Musterung aufgefordert.
- Selektive Auswahl: Nur ein Teil der jungen Menschen wird zu umfassenderen physischen und psychologischen Tests eingeladen.
- Bedarfsorientierte Einberufung: Letztendlich wird nur ein kleiner, an den tatsächlichen Bedürfnissen der Streitkräfte orientierter Teil der Gemusterten zum Grundwehrdienst einberufen. Entscheidend sind dabei Eignung und Motivation. In Schweden gilt es aber auch als besondere „Ehre“, wenn man für den Wehrdienst ausgewählt wird.
- Verpflichtend für Ausgewählte: Wichtig ist: Wer in Schweden nach diesem Prozess ausgewählt wird, ist gesetzlich verpflichtet, den Wehrdienst anzutreten. Es ist also kein reines Freiwilligenmodell.
Pistorius und die „Freiwilligkeit“
Der Bedarf werfe die Frage auf, ob der bislang geplante neue Wehrdienst über die nächsten Jahre ausreichen werde, meinte Pistorius nun – und widerspricht sich dabei im gleichen Atemzug selbst, denn eine Wehrpflicht nütze „jetzt gar nichts, weil wir die Kapazitäten weder in den Kasernen noch in der Ausbildung haben“, räumt er ein. „Deswegen müssen diese Kapazitäten aufwachsen“, forderte der Minister. „Bis dahin gilt Freiwilligkeit.“ Danach also nicht mehr?
Junge Generation finanziert Rüstung
Der Personalbedarf der Bundeswehr orientiert sich indes an den NATO-Zielen, die die Verteidigungsminister in Brüssel beschließen möchten. Verteidigungsminister Pistorius kündigte an, Deutschland werde „neue Großverbände bilden und voll ausstatten“.
Er bezeichnete dies als einen „Kraftakt“, für den Deutschland bereits mit der Ausnahmeregelung zur Schuldenbremse die Voraussetzungen für höhere Verteidigungsausgaben geschaffen habe. „Die Zeit, in der wir über die Unterfinanzierung vergangener Jahrzehnte gejammert haben, ist vorbei“, frohlockte Pistorius über die vielen Milliarden, die der Steuerzahler nun über Schulden aufbringen soll. Insbesondere also die jüngeren Generationen, die mit Zinsen, Tilgung und potenziellem Wehrdienst dann dreifach belastet wären.
Bis zu 5 Prozent für die NATO?
Die Verteidigungsminister der NATO bereiten sich bei ihrem Treffen auf den bevorstehenden NATO-Gipfel Ende des Monats in Den Haag vor. Ein zentraler Punkt der aktuellen Kriegs- und Rüstungsagenda ist ein Vorschlag von NATO-Generalsekretär Mark Rutte zu den Verteidigungsausgaben.
Dieser sieht vor, dass die NATO-Staaten künftig 3,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigungsausgaben und zusätzlich 1,5 Prozent des BIP für verteidigungsrelevante Ausgaben aufwenden. In Summe würde dies den von US-Präsident Donald Trump geforderten fünf Prozent entsprechen.