Plädoyer für ein neues Selbstverständnis

Susanne Schulze Bockeloh, Vizepräsidentin des Deutschen Bauernverbandes, setzt auf eine Landwirtschaft, die mit allen gesellschaftlichen Kräften Problemlösungen erarbeitet. Diese neue Perspektive ist Teil des Konzepts „Zukunftsbauer“, das sie beim Bauerntag in Murrhardt vorstellt.

Volles Haus beim Bauerntag in der Murrhardter Festhalle. Vorsitzender Jürgen Maurer (links) und Geschäftsführer Helmut Bleher (rechts) vom Bauernverband Schwäbisch Hall/Hohenlohe/Rems freuen sich, dass Susanne Schulze Bockeloh, Vizepräsidentin des Deutschen Bauernverbandes, den Weg von Münster auf sich genommen hat, um über das Projekt „Zukunftsbauer“ zu berichten. Foto: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Volles Haus beim Bauerntag in der Murrhardter Festhalle. Vorsitzender Jürgen Maurer (links) und Geschäftsführer Helmut Bleher (rechts) vom Bauernverband Schwäbisch Hall/Hohenlohe/Rems freuen sich, dass Susanne Schulze Bockeloh, Vizepräsidentin des Deutschen Bauernverbandes, den Weg von Münster auf sich genommen hat, um über das Projekt „Zukunftsbauer“ zu berichten. Foto: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Es sind rund 250 Gäste – Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung sowie zahlreiche Landwirtinnen und Landwirte – zum Bauerntag in die Walterichstadt gekommen. Unter ihnen ist auch Stefan Wieland aus Oppenweiler. „Ich hab mich eigentlich auf Boris Palmer gefreut“, sagt er, doch der Tübinger Oberbürgermeister musste kurzfristig absagen. Als Vollerwerbslandwirt und Mitglied hätte Wieland aber ohnehin den Weg zum Treffen gefunden. Die Zukunft sieht er nicht sehr optimistisch. Zurzeit machen ihm die drastisch fallenden Milchpreise Sorgen, das Kraftfutter hat sich neben vielem anderen stark verteuert, und er hofft, dass der Verband nicht weiter an Mitgliedern verliert, ausblutet, wie er sagt.

Auch die Vizepräsidentin des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Susanne Schulze Bockeloh, die dem Bauernverband Schwäbisch Hall/Hohenlohe/Rems zur Seite gesprungen ist und die Hauptrede hält, richtet den Blick in die Zukunft. Das tut sie einerseits mit einer Bestandsaufnahme der Lage, andererseits nicht ohne ein gewisses Selbstbewusstsein. „Warum müssen wir uns Gedanken machen?“, fragt sie und kommt auf die strukturellen Umbrüche zu sprechen. Neben Kostendruck, schlechten Preisen und mangelnder Wertschätzung ist da der gesellschaftliche, politische Wandel zu nennen.

„Die Werte in der Gesellschaft haben sich enorm verändert“, sagt sie. Nachhaltigkeit ist das Entscheidungskriterium des Verbrauchers, die Ernährungsgewohnheiten weisen in Richtung vegetarisch bis hin zu vegan. „Aber egal, was gegessen wird, es kommt letztlich aus der Landwirtschaft“, stellt sie fest. „Und wir müssen uns darauf einstellen.“ Anknüpfend an die 2019 einberufene Zukunftskommission Landwirtschaft sieht sie ihre Branche in der Mitte der Gesellschaft, eben weil sie die Lebensgrundlagen in Bezug auf die Ernährung schafft. Teil des Projekts „Zukunftsbauer“, das sie als Vizepräsidentin mitgestaltet und in den Mittelpunkt ihres Beitrags stellt, ist eine Studie, die Image, Sichtweisen und Problemlagen analysiert hat. Nicht-Landwirte und Landwirte haben immer weniger Anknüpfungspunkte und Austausch, was eine Polarisierung befeuern kann. Susanne Schulze Bockeloh hält die stereotypen Bilder nebeneinander: Der Nicht-Landwirt sieht den Bauern als Umweltverschmutzer, Tierquäler, Bullerbü-Landwirt vom Biobetrieb oder als den dummen Bauern von RTL. Der Landwirt selbst beschreibt sich lieber als Ernährer der Nation, leidenschaftlicher Naturbursche, Bewahrer familiärer Traditionen oder ackernder Manager. Um diesen Stillstand und das Schwarze-Peter-Spiel zu durchbrechen, braucht es aus ihrer Sicht neue, gute Geschichten, letztlich heißt es aber auch: „Alle wollen Zukunft“ und alle – Handel, Politik, die ganze Gesellschaft – sind für sie mitverantwortlich und müssen die Zukunft gemeinsam bauen. Das schließt Chancen genauso wie Herausforderungen mit ein: Das eigene Denken und Handeln auf den Prüfstand stellen, Brücken bauen und aktiv werden. Susanne Schulze Bockeloh fordert ein neues Selbstverständnis jenseits der Opferrolle. Mit Blick auf Ernährungssicherheit, Biodiversitäts- und Klimakrise stellt sie fest, dass es ohne die Landwirtschaft nicht geht. „Wir brauchen Lösungen, und für die müssen wir künftig auch Rechnungen schreiben“, sagt sie. Ihr Beispiel: Blühflächen, für die es einen Ausgleich braucht. Die DBV-Vizepräsidentin setzt auf Projektideen und viele Landwirte, die sich als Multiplikatoren engagieren, ob im Sinne der Gewinnerthemen „Tierwohl, biologische Artenvielfalt oder regionale Vermarktung“ oder mit neuen, im Gespräch mit anderen Gruppen entstandenen Lösungsansätzen.

Das dafür notwendige gegenseitige Zuhören beider Seiten, unterstreicht Jürgen Maurer, Vorsitzender des Bauernverbandes Schwäbisch Hall/Hohenlohe/Rems. Er geht auf die schwierigen Bedingungen für Landwirte ein, die mit der Natur arbeiten und für die starre gesetzliche Vorgaben zum Problem werden. Ökologie und Ökonomie müssten in Einklang gebracht werden. „Wir brauchen keine fairen, sondern wirtschaftlich tragfähige Preise“, sagt er. Maurer wehrt sich gegen das Image der Brunnenvergifter und Tierquäler. „Ich halte bestimmte gesellschaftliche Entwicklungen für falsch.“ Dazu zählt er ganz explizit die „Fridays for Future“-Proteste und die Aktionen der Klimaaktivisten „Die letzte Generation“. Es werde noch viele Generationen geben, auch wenn sich alle etwas zurücknehmen müssten. Von den jungen Menschen will er, dass sie sich mit an den Tisch setzen, um zu diskutieren, und sich nicht auf der Straße festkleben.

Geschäftsführer Helmut Bleher erinnert daran, dass der Bauernverband sich für seine Mitglieder stark machen möchte, in Bezug auf ganz konkrete Hilfen wie Beratung und Interessensvertretung, aber auch im Sinne einer engagierten Öffentlichkeitsarbeit.

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Erstellt:
11. März 2023, 06:00 Uhr

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