Poker um die EZB-Spitze: Wer wird Draghi-Nachfolger?

dpa Frankfurt/Main. Viele Deutsche wünschen sich Bundesbank-Präsident Weidmann als künftigen Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Doch entschieden wird die Personalie von der Politik. Mangel an aussichtsreichen Kandidaten gibt es nicht.

Bundesbank-Chef Jens Weidmann (l.) werden Chancen auf die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi eingeräumt. Foto: Jan Woitas/Fredrik von Erichsen

Bundesbank-Chef Jens Weidmann (l.) werden Chancen auf die Nachfolge von EZB-Präsident Mario Draghi eingeräumt. Foto: Jan Woitas/Fredrik von Erichsen

Nullzins, Billiggeld-Schwemme, Anleihenkäufe - Mario Draghi hat als EZB-Präsident Maßstäbe gesetzt. Nach acht Jahren Anti-Krisen-Kurs sucht Europa einen Nachfolger für den Spitzenposten bei der Europäischen Zentralbank. Doch wer übernimmt ab November? Die Liste möglicher Kandidaten ist lang.

Immer wieder genannt werden etliche aktuelle und ehemalige nationale Notenbankchefs. Außerdem Benoît Coeuré und Sabine Lautenschläger, die im sechsköpfigen EZB-Direktorium sitzen. Auch über eine Berufung von Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds, oder von Klaus Regling, der den Eurorettungsschirm ESM führt, wird spekuliert.

Mögliche Favoriten in alphabetischer Reihenfolge:

Benoît Coeuré (50)/Frankreich: Der frühere Chefvolkswirt des Pariser Finanzministeriums ist seit Januar 2012 Mitglied im EZB-Direktorium. Viele Volkswirte halten ihn für den idealen Draghi-Nachfolger, schließlich gilt Coeuré als einer der Architekten des ultralockeren geldpolitischen Kurses, den die EZB seit Jahren fährt. Doch ganz einfach wäre eine Beförderung des Franzosen nicht: Seine achtjährige Amtszeit im obersten Führungsgremium der EZB läuft Ende dieses Jahres aus, eine Verlängerung ist in den Statuten nicht vorgesehen. Zudem darf nach den geltenden Regeln ein amtierender EZB-Direktor nicht auf den Chefposten der Notenbank vorrücken. Um überhaupt zur Wahl zu stehen, müsste Coeuré vorher von seinem jetzigen Amt zurücktreten. Ein solches Manöver wäre jedoch juristisch heikel und würde zumindest reichlich Kritik auslösen.

Erkki Liikanen (68)/Finnland: Der Sozialdemokrat hatte schon mehrere Spitzenämter inne. 1995 wurde der frühere finnische Finanzminister zum ersten EU-Kommissar seines Heimatlandes ernannt. In Brüssel übernahm Liikanen zunächst das Haushaltsressort, ab Mitte 1999 führte er den Bereich Industrie. Als er im April 2004 zum Präsidenten der finnischen Notenbank berufen wurde, gab er sein Amt als EU-Kommissar vorzeitig ab. Als oberster Währungshüter seines Heimatlandes (bis Mitte 2018) bestimmte Liikanen im EZB-Rat über die Geldpolitik für den Euroraum mit. Verbunden ist sein Name zudem mit einer Expertenkommission, die nach der Finanzkrise Vorschläge zur Stabilisierung des Bankensektors in Europa erarbeitete. Die „Liikanen-Kommission“ empfahl im Oktober 2012 unter anderem die Trennung riskanter Geschäfte vom klassischen Bankgeschäft mit Spareinlagen. Einziges Manko aus Sicht von Beobachtern: Liikanen ist bereits relativ alt und wäre am Ende einer achtjährigen Amtszeit als EZB-Präsident 77 - und damit älter als jeder Vorgänger in dem Amt.

Olli Rehn (57)/Finnland: Rehn gilt als überzeugter Europäer und blickt auf langjährige Erfahrungen in Brüssel zurück. Schon als Student engagierte er sich für den Beitritt seines Landes zur Europäischen Union (EU). In der Euro-Schuldenkrise kämpfte Rehn als EU-Wirtschafts- und Währungskommissar für den Erhalt der Gemeinschaftswährung und die Einheit der Eurostaaten. Bei der Sanierung der Schuldenstaaten verlangte er schmerzhafte Reformen etwa in Griechenland. Im Mai 2015 kehrte er als Wirtschaftsminister zurück nach Finnland. Seit Sommer 2018 steht Rehn an der Spitze der Notenbank seines Heimatlandes. In dieser Funktion sitzt er auch im EZB-Rat. Ökonomen gilt der Finne als Verfechter einer eher strafferen Geldpolitik. Rehn hat in den USA und in Helsinki Politik, Wirtschaft, Journalismus und internationale Beziehungen studiert.

François Villeroy de Galhau (60)/Frankreich: Der Geldpolitiker mit Verbindungen zur saarländischen Unternehmerfamilie Villeroy und Boch steht seit 2015 an der Spitze der französischen Notenbank. Villeroy de Galhau gilt als Pragmatiker und hat die ultralockere Geldpolitik unter Draghi mitgetragen. Aus seiner Begeisterung für das Saarland macht der Absolvent der französischen Elitehochschule ENA keinen Hehl: „Hier fühle ich mich zu Hause“, zitierte ihn einst die „Süddeutschen Zeitung“. Allerdings wäre er nach Jean-Claude Trichet der zweite Franzose auf dem Posten des EZB-Präsidenten. Aufgrund seiner persönlichen Nähe zu Deutschland scheine Villeroy de Galhau aber „einfacher nationalitätsübergreifend durchsetzbar“ als beispielsweise Coeuré, argumentiert BayernLB-Analyst Stefan Kipar.

Jens Weidmann (51)/Deutschland: Nüchtern betrachtet spricht vieles für den ehemaligen Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der seit Mai 2011 die Deutsche Bundesbank führt. Der gebürtige Solinger hat als Ökonom einen hervorragenden Ruf. Zudem meinen nicht wenige, es sei an der Zeit, dass ein Vertreter von Europas größter Volkswirtschaft einen der wichtigsten Posten auf dem Kontinent übernimmt - nach dem Niederländer Wim Duisenberg (1998-2003), dem Franzosen Jean-Claude Trichet (2003-2011) und dem Italiener Mario Draghi (seit November 2011). Doch Weidmann ging mehrfach auf Konfrontationskurs zu Draghi - und nährte so Vorbehalte gegen seine Person vor allem in Südeuropa. Weidmann warnte etwa, zu viel billiges Geld könne „süchtig machen (...) wie eine Droge“ und stimmte im Sommer 2012 als Einziger im EZB-Rat dagegen, dass die EZB notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten kauft. Zuletzt zeigte er sich beim Thema Anleihenkäufe kompromissbereiter.

Zum Artikel

Erstellt:
28. Juni 2019, 10:54 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen