Polen lobt Karlsruher Urteil zu Europäischer Zentralbank

dpa Brüssel/Frankfurt. Erstmals hat sich das deutsche Verfassungsgericht gegen den Europäischen Gerichtshof gestellt - und damit in Brüssel ein Beben ausgelöst. Die Kommissionschefin prüft ein Verfahren wegen Vertragsverletzung. Lob kommt unterdessen aus Polen.

„Die Verträge werden von den Mitgliedstaaten geschaffen, und sie bestimmen, wo für die Organe der EU die Kompetenzgrenzen liegen“, sagt Mateusz Morawiecki. Foto: Pawel Supernak/PAP/dpa

„Die Verträge werden von den Mitgliedstaaten geschaffen, und sie bestimmen, wo für die Organe der EU die Kompetenzgrenzen liegen“, sagt Mateusz Morawiecki. Foto: Pawel Supernak/PAP/dpa

Nach seinem umstrittenen Urteil zur Europäischen Zentralbank hat das deutsche Bundesverfassungsgericht Unterstützung aus Polen bekommen.

Bei der Entscheidung der Karlsruher Richter handle es sich um „eines der wichtigsten Urteile in der Geschichte der Europäischen Union“, schrieb der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki an die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS). Es sei vielleicht jetzt zum ersten Mal in dieser Klarheit gesagt worden: „Die Verträge werden von den Mitgliedstaaten geschaffen, und sie bestimmen, wo für die Organe der EU die Kompetenzgrenzen liegen.“

In Polen baut die nationalkonservative PiS-Regierung das Justizwesen seit Jahren um. Der EuGH schritt mehrfach ein und befand, dass Teile der Reformen gegen EU-Recht verstießen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag die milliardenschweren Staatsanleihenkäufe der EZB beanstandet und sich damit erstmals gegen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gestellt. Anders als der EuGH entschieden die Karlsruher Richter, die Notenbank habe ihr Mandat überspannt. Das EuGH-Urteil nannten sie „objektiv willkürlich“ und „methodisch nicht mehr vertretbar“.

Die deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen prüft in dem Fall ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland. „Ich nehme diese Sache sehr ernst“, schrieb sie in einem Brief vom Samstag an den Grünen-Europapolitiker Sven Giegold. Dieser hatte die EU-Kommission aufgefordert, solch ein Verfahren einzuleiten. Von der Leyen bekräftigte in ihrer Antwort an den Europaabgeordneten, das deutsche Urteil werde derzeit genau analysiert, fügte aber bereits an: „Auf der Basis dieser Erkenntnisse prüfen wir mögliche nächste Schritte bis hin zu einem Vertragsverletzungsverfahren.“

Das Urteil des Verfassungsgerichts werfe Fragen auf, die den Kern der europäischen Souveränität berührten, hieß es in dem Schreiben. Die Währungspolitik der Union sei eine ausschließliche Zuständigkeit. EU-Recht habe Vorrang vor nationalem Recht, und Urteile des EuGH seien für alle nationalen Gerichte bindend.

„Das letzte Wort zum EU-Recht hat immer der Europäische Gerichtshof in Luxemburg“, schrieb von der Leyen. Die EU sei eine Werte- und Rechtsgemeinschaft, die die EU-Kommission jederzeit wahren und verteidigen werde. Nach EU-Recht ist das die Zuständigkeit der Brüsseler Behörde: Sie ist die „Hüterin“ der EU-Verträge und muss Verstöße ahnden. Leitet sie ein Verfahren wegen Verletzung der Verträge ein, kann dies wiederum vor dem EuGH landen.

Giegold, Sprecher der deutschen Grünen-Abgeordneten und Obmann der Grünen im Währungsausschuss des Europaparlaments, sagte am Samstag, ihm gehe es nicht um einfache Kritik am Bundesverfassungsgericht. Doch bedrohe der Streit zwischen Karlsruhe und Luxemburg die europäische Rechtsgemeinschaft.

Polens Regierungschef schreibt der FAS zufolge, jede reife Demokratie brauche ein System der Gewaltenteilung und des Gleichgewichts der Gewalten. „Wenn das fehlt, wird jede Gewalt, auch die der Gerichtsbarkeit, zur willkürlichen, unbegrenzten, undemokratischen Macht“, so Morawiecki.

Zum Artikel

Erstellt:
10. Mai 2020, 04:23 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen