Mord an Polizist Rouven Laur

Polizist schildert, wie er auf den Messerangreifer schoss

Im Verfahren um den in Mannheim ermordeten Rouven Laur sagt vor dem Oberlandesgericht ein Polizist aus. Er schildert, wie er dem niedergeschossenen Angreifer Erste Hilfe leistete.

Der mutmaßliche Terrorist Sulaiman A. vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht: weitestgehend regungslos.

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Der mutmaßliche Terrorist Sulaiman A. vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht: weitestgehend regungslos.

Von Franz Feyder

Seit 14 Verhandlungstagen sitzt der afghanische Angeklagte so da: die Hände in seinem Schoß, den Blick meist nach vorn auf den kleinen weißen Schreibtisch gerichtet. Ab und zu auch einmal durch die dicke Panzerglasscheibe in den anderen Teil des Gerichtssaals, wo seine Verteidiger sitzen, aber auch die fünf Richter des 5. Strafsenats, die beiden Bundesanwältinnen in ihren roten Roben, die Anwälte der Nebenkläger und der psychiatrische Sachverständige.

Und die Zeugen. An diesem Tag nimmt ein junger Polizist vor der Richterbank Platz: hellblaues, langärmeliges Hemd, Krawatte und Hose dunkelblau, auf dem linken Oberarm das Wappen Baden-Württembergs mit dem Schriftzug Polizei. Die Dienstgradabzeichen weisen ihn als Ersten Polizeihauptmeister aus. Der Beamte, der im vergangenen Jahr, am 31. Mai, auf dem Mannheimer Marktplatz auf Sulaiman A. schoss – und damit dessen Messerattacken beendete. Wenn überhaupt, dann nimmt der wegen Terrorverdachts angeklagte A. den Polizisten stoisch wahr.

Dabei schildert der erfahren wirkende, 29 Jahre alte Polizist sehr plastisch das Geschehen zur Mittagszeit an jenem Freitag: das Eintreffen auf dem Marktplatz, wie er und Kollegen in einem nahe gelegenen Café noch einmal die Toiletten aufsuchen, sich auf den anstehenden Einsatz – den Schutz eines Informationsstandes des umstrittenen Vereins „Pax Europa“ – vorbereiten. Wie er aus dem Café zurück kommt. Zug- und Gruppenführer die Befehlsausgabe erarbeiten. Wie er sich mit dem Fahrer seines Mannschaftswagens unterhält und dabei im linken Augenwinkel „etwas umfallen sieht“. Er schaut genauer hin, erkennt einen Tumult. Ein blauer Gartenpavillon, aufgestellte Plakate und ein Transporter mitten auf dem Marktplatz versperren ihm die Sicht. Er habe „Da ist was!“ gerufen und sei losgerannt. Gut 50 Meter. Stöhnen habe er gehört, Kampfgeräusche. Menschen auf dem Boden, andere herbeieilend. Für den Einsatzzug Mannheim war „da eine Schlägerei im Gange“ – bis eine Kollegin „Messer, Messer“ schreit.

Dass Sulaiman A. mutmaßlich damit bereits auf andere Menschen eingestochen hatte, „habe ich bis dahin gar nicht wahrgenommen. Es ging alles viel zu schnell. Ich hatte noch niemanden zugeordnet. Wusste nicht, wer schlägt sich mit wem.“ Erst einmal, so das Standardprozedere, hätten er und sein Kollegen die Streitenden „trennen und dann aufgeklärt, was überhaupt los war“.

Der Angeklagte sei gerade vom Boden aufgestanden, habe sich „nach vorne mit den Händen abgestützt“. Sulaiman A. und er hätten Augenkontakt gehabt, „ich dachte, der greift mich als nächstes an“. Zurückgewichen sei er, „Distanz zwischen ihm und mir geschaffen“, dabei gleichzeitig seine Pistole ziehend. Schießen konnte er nicht, „Ich hatte nur den sich bewegenden Kopf des Angeklagten im Schussfeld“, der Rest des Körpers wurde von seinem Kollegen Rouven Laur verdeckt, der mit dem Rücken zum Angreifer auf dem Boden kniete, um einen anderen Mann dort festzusetzen. Ein Moment, der ihn zum „schutzlosesten und wehrlosesten Opfer“ für Sulaiman A. machte.

Zwei, drei Schritte habe er zu Seite machen müssen „um schießen zu können ohne Rouven zu gefährden“. Die Zeit, in der mutmaßlich A. zwei Mal hinterrücks auf Laur einsticht, ihn so schwer im Kopf und am Nacken verletzt, dass der Polizist zwei Tage später verstirbt. Der Schuss habe den Angreifer gestoppt, er sei zu Boden gegangen. Der Erste Polizeihauptmeister habe seine Pistole weggesteckt und sei zum Angreifer geeilt, um ihm zusammen mit Kollegen erste Hilfe zu leisten. Nur wenig entfernt von seinem schwer verletzten Kollegen, den gerade andere Polizisten versorgten.

„Der Blick vom Rouven ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Während ich mich um Herrn A. kümmerte, hatte ich permanent Blickkontakt zu ihm. Ich sah die Wunde an seinem Kopf. Ich sah ihm die ganze Zeit in die Augen, gefühlt kam mir das ewig vor. Ich habe immer wieder gerufen, ‚setz’ dich hin, setz’ dich hin’. Dann hab’ ich den anderen gesagt, setzt ihn hin. Ich wollte halt nicht, dass er kollabiert. Diese Blicke von ihm gingen mir nah. Ich habe lange gebraucht, bis sie weniger wurden.“

Dass er geschossen habe, „hat mich überhaupt nicht berührt“, fährt der Polizist fort. „Es war in dem Moment genau das richtige. Es war nicht die beste Möglichkeit zu schießen, es war die erste Möglichkeit zu schießen. Das hat sein müssen, da habe ich keine Gewissensbisse.“ Während Laur in der Klinik starb, habe er sich gefragt, wie es A. gehe, der überlebte. „Wenn es anders ausgegangen wäre, hätte mich das emotional auch nicht berührt“, sagt der Polizist.

Das alles scheint Sulaiman A. nicht zu tangieren. Nur zwei Mal hat er bislang überhaupt auf das reagiert, was im Sitzungssaal 1 der Außenstelle des Stuttgarter Oberlandesgerichtes in Stammheim passiert. Einmal als Michael Stürzenberger in den Zeugenstand trat. Jener Mann, den er – nach eigenem Bekunden – auf dem Mannheimer Marktplatz ermorden wollte. Stürzenberger, das Gesicht der umstrittenen, selbst ernannten Bürgerbewegung „Pax Europa“, die , so sagt sie, über den „politischen Islam“ aufklären will.

Das zweite Mal reagierte Sulaiman A. heftig, als der Vorsitzende Richter Herbert Anderer einen Islamwissenschaftler des baden-württembergischen Landeskriminalamtes befragte. Ein Konto in den sozialen Medien hatte A. „ilm1507“ benannt. Bei 1507, sagte der wegen Terrorverdachts Angeklagte, handele es sich um ein islamisches Datum. „Ilm“ bedeute „Wissenschaft“. Aber: Das arabische Wort „ilm“ bedeutet mehr: Wörtlich übersetzt heißt es „Wissen“, „Erkenntnis“. Es umfasst vor allem das religiöse Wissen „’ilm ad-din“. Das wichtigste Wissen des Islam: über Allah, den Koran, die Sunna des Propheten, das islamische Recht und die islamische Ethik. Wissen, das im gewissen Maß für jeden Muslim verpflichtend ist. „’ilm ad-dunya“ umfasst nachgeordnet weltliches Wissen um die islamischen Wissenschaften wie Medizin, Astronomie und Mathematik.

Mit der Zahl 1507 lässt sich kein Datum verbinden, das für den Islam bedeutend ist. Deswegen, so fragte Anderer den Wissenschaftler, „könnte es sein, dass die Zahl kein Datum, sondern eine Quellenangabe ist“. Beispielsweise in den Hadith, die zahlreiche Gelehrte über das Leben Mohammeds zusammentrugen. Überlieferte Aussprüche, Handlungen oder Zustimmungen, die dem Propheten nachgesagt werden. Sie ergänzen den Glauben und sind nach dem Koran die wichtigste Quelle für islamisches Recht, Glauben und Lebensführung. Hadith erklären also nicht nur viele Stellen im Koran, sondern sind auch Grundlage für die islamische Rechtsprechung und vermitteln ethische wie moralische Werte. Vor allem sechs Gelehrte trugen die Sammlungen zusammen, die bedeutendsten sind Sahih al-Bukhari und Sahih Muslim. Vor allem er nummerierte seine Hadith streng durch. Die Hadith 1507 beschäftigt sich bei ihm mit den Themen Blutgeld, Loyalität und Verdammnis. Die Islamwissenschaftler des LKA sollen jetzt klären, ob mit dem Kontonamen „ilm1507“ eine Hadith aus den großen kanonischen Sammlungen gemeint sein könnte.

Es könnte ein Puzzlestück sein, A.s Motivation für die bereits eingeräumte Attacke in Mannheim zu klären. Zumal es fraglich ist, ob er die Tat wirklich bereut. Ein Justizvollzugsbeamter sagte aus, während eines Hofgangs im Frankfurter Gefängnis habe Sulaiman A. ihm gesagt, er bereue den Angriff nicht. „Entscheidend ist, was vor Gott passiert“, habe A. gesagt – der vor Gericht beteuerte, er würde die Folgen seines Handelns rückgängig machen wollen.

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Erstellt:
14. Mai 2025, 16:38 Uhr
Aktualisiert:
14. Mai 2025, 16:51 Uhr

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