Reflexionen über das Kinderkriegen

Ellen Kuhn skizziert in ihrem Buch „Erfüllendes Mutterglück oder kinderlose Freiheit?“ ihren Weg zur Entscheidung. Auf fast 500 Seiten stellt sie die Komplexität dieser Entscheidung dar, was nicht nur für diejenigen lesenswert ist, die vor der Frage „Kind – ja oder nein?“ stehen.

Autorin Ellen Kuhn ist Mitte 30, hat (noch) keine Kinder, hat sich aber intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Fotos: privat

Autorin Ellen Kuhn ist Mitte 30, hat (noch) keine Kinder, hat sich aber intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt. Fotos: privat

Von Nicola Scharpf

Backnang. Sie ist eine der großen, vielleicht sogar die größte Frage im Leben: Kind ja? Kind nein? Ellen Kuhn nimmt sich in ihrem Buch „Erfüllendes Mutterglück oder kinderlose Freiheit? Mein Weg zur Entscheidung“ der Beantwortung dieser Frage auf fast 500 Seiten an. Getrost darf man alleine angesichts der Dicke des Buches sagen: Sie macht es sich nicht leicht – was wohl nicht nur an der Tragweite der Entscheidung liegt, sondern auch im Wesen der Autorin begründet sein dürfte, die sich selbst im Prolog ihres Buches als neugierig und vielseitig interessiert, umtriebig kreativ und engagiert, gewissenhaft, perfektionistisch, sensibel und emphatisch beschreibt mit einer Sehnsucht nach emotionaler und intellektueller Tiefe sowie einer Vorliebe für die Lektüre von psychologischer, soziologischer und philosophischer Fachliteratur. Eine reflektierte, sich selbst reflektierende Frau ist es also, die in diesem Buch die Entscheidung für/gegen ein Kind umfassend, bis in ungeahnte Details und unter unkonventionellen Blickwinkeln abwägt, die vielen Facetten von den intellektuell-rationalen über die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen bis hin zu emotionalen erkundet. Kuhn: „Stets ist so ein Prozess des Schreibens über ein zentrales Lebensthema für einen selbst ein Ordnen von Gedanken, Erkenntnissen und Einstellungen, ein Prozess des Reibens mit sich selbst.“

Sie gibt keine einfachen, plakativen Ratschläge

Diesem Prozess dürfen die Leser beiwohnen. Auch ihnen macht Kuhn es nicht leicht. Einfache, plakative Ratschläge nach dem Motto „Die zehn besten Tipps zur richtigen Entscheidung“ gibt sie nicht – dafür aber komplexe, vielschichtige Gedankengänge zu ebenso gearteten Fragestellungen. Die Themen kommen in einem schönen, sowohl sachlichen als auch empathischen Schreibfluss daher. So lässt es sich, bei konzentrierter Lektüre, Kuhn gut folgen.

Sie steigt ein mit Gedanken darüber, was der Begriff Entscheidung im Allgemeinen überhaupt bedeutet und welche Möglichkeiten es gibt, mit Entscheidungen beziehungsweise Handlungsalternativen umzugehen. Im Folgenden geht es darum, was uns prägt, beeinflusst und bewegt, wie sich Freundschaften wandeln, wie sich das Leben als Mutter mit dem Lebensalter des Kindes wandelt. Es geht darum, was ein Kind sein könnte – zum Beispiel ein Erfüllungsgehilfe für den Sinn oder eine erfüllende Ergänzung der Partnerschaft seiner Eltern oder auch ein Umweltproblem. Es geht auch darum, was Eltern für ein Kind sein können – unter der Kapitelüberschrift „Was mute ich meinem Kind mit mir zu“. Frauen berichten von ihrem Leben ohne (eigene) Kinder, das Buch endet mit Impulsen und Denkanstößen von Menschen, die sich bereits entschieden haben.

Sich bewusst und strukturiert für oder gegen ein Kind zu entscheiden, die Autorin schreibt oft vom „Projekt Kind“, diese Wahl zu haben, betrachtet Kuhn als Privileg: „Viele Frauen haben bedingt durch ihre Kultur und Religion von vornherein keine Wahl. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als Kinder zu bekommen, es so zu tun, wie ihre Gesellschaft es ihnen diktiert. Ich darf über diese Frage nachdenken, vielleicht dürfen Sie es auch. Jahrzehntelang haben Frauen für diese Freiheit gekämpft, dass ich diese Wahl nun frei treffen darf.“ Bei all der Planung, die Kuhns persönlicher Entscheidung zugrunde liegt, stellt sich die Frage: Was ist mit der Unplanbarkeit? Der Volksmund würde sagen: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Was ist damit? Auch darauf geht Kuhn ein und zieht den Begriff der Unverfügbarkeiten von Soziologe Hartmut Rosa heran, der für eine gesündere Balance zwischen dem Steuern von Dingen und dem Loslassen von Kontrolle plädiert. „Auch im Kontext unseres Nachwuchses wollen wir – verständlicherweise – die Welt verfügbar machen, sie kontrollieren und steuern“, schreibt Kuhn. „Aber Unverfügbarkeiten lauern rund um das Thema Kind(er) an allen Ecken und Enden. Sie sind natürlich und werden vielleicht immer da sein. Manche damit verbundenen Erfahrungen, Begegnungen und Momente berühren mich, treffen mich teilweise sogar mit voller Wucht und hallen in mir nach. Sie machen mich ganz oft extrem betroffen.“

Kuhns Intention ist, die Reflexionender Leser anzuregen

Wo aber endet denn nun Kuhns Weg zur Entscheidung? Im Kapitel „I do it my way“: „Manche Dinge können wir planen, manche nicht und immer muss die Entscheidung, die ich heute treffe, so gefällt werden, dass sie mit allen Konsequenzen für mein ganzes Leben Bestand haben könnte. So – die Hoffnung – bereue ich nicht, auch wenn ich weiß, dass alles sich permanent ändern kann. In diesem Augenblick meines Lebens habe ich mir die Konsequenzen vor Augen geführt, die es bedeuten, niemals eigene Kinder zu haben.“

Und wie hinterlässt das Buch die Leser? Eine Entscheidungshilfe für Unentschlossene ist es nicht unbedingt. Im Gegenteil, angesichts der Komplexität, die sich vor dem Leser ausbreitet, fällt die Entscheidung womöglich sogar schwerer. Kuhns „schüchterne Intention“ ist, die Reflexionen ihrer Leser anzuregen, sie bewusst mit dieser Frage im Leben zu konfrontieren. Nachdem es viel um Fundamentales geht (Wie will ich leben? Was erwarte ich vom Leben?), können sich auch Menschen angesprochen fühlen, die gar nicht vor der Entscheidung für oder gegen Kinder stehen, und finden das Buch: lesenswert.

Reflexionen über das Kinderkriegen
Über die Autorin

Persönliches Ellen Kuhn ist 1986 geboren, in Leutenbach aufgewachsen und in Winnenden zur Schule gegangen. Heute lebt sie als Kosmopolitin und digitale Nomadin zusammen mit ihrem Lebensgefährten in unterschiedlichen Ländern rund um den Erdball. Das Studium fremder Kulturen ist zu einem Lebensinhalt geworden. Ellen Kuhn beschäftigt sich gerne damit, die Welt auf den Ebenen der Psychologie, der Soziologie und Philosophie zu durchdringen.

Berufliches Ellen Kuhn hat Betriebswirtschaft studiert, einige Jahre als Managerin im Bereich gesellschaftliche Verantwortung in einem internationalen Unternehmen in Ditzingen gearbeitet und war nebenher Fitnesstrainerin in einem Backnanger Fitnessstudio. Anschließend machte sie sich selbstständig und ist als Bloggerin, Fotokünstlerin, Autorin und Geschäftsführerin im Reiseunternehmen Weltreise-Traum tätig.

Veröffentlichtes „Erfüllendes Mutterglück oder kinderlose Freiheit?“ ist Kuhns zweites Buch, dieses Jahr erschienen im Verlag tredition. Von ihr ist im Oktober 2015 der stark autobiografische Roman „Keine Angst vorm Fliegen“ erschienen, den sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Joachim Materna geschrieben hat.

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Erstellt:
20. Oktober 2021, 06:00 Uhr

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