Regelmäßiges Vorlesen verbindet

Der bundesweite Vorlesetag am morgigen 20. November steht in diesem Jahr unter dem Motto „Europa und die Welt“. Bereits zum 17. Mal findet die gemeinsame Aktion von Die Zeit, Stiftung Lesen und Deutsche Bahn Stiftung statt.

Eva Kreikenbaum von der Buchhandlung Kreutzmann: „Durch Corona wird mehr vorgelesen.“ Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Eva Kreikenbaum von der Buchhandlung Kreutzmann: „Durch Corona wird mehr vorgelesen.“ Foto: J. Fiedler

Von Simone Schneider-Seebeck

BACKNANG. Draußen ist es dunkel, unbehaglich und kalt, drinnen hell, gemütlich und warm. Und wenn man sich dann noch in die Bettdecke oder zwischen die Sofakissen kuscheln kann und vorgelesen oder erzählt bekommt, ist das doch der Inbegriff eines schönes Tagesausklangs für Familien mit Kindern. Oder nicht? Tatsächlich ist das bei etwa einem Drittel der Eltern mit kleineren Kindern nicht der Fall, wie die Vorlesestudie 2019 ermittelt hatte. So wird tendenziell weniger vorgelesen, wenn die Eltern ein niedriges Bildungsniveau haben, ein Migrationshintergrund besteht, die Mütter nicht berufstätig sind, die Familie in einer Großstadt lebt, die Kinder viele Geschwister haben oder das Haushaltseinkommen niedrig ist. Die diesjährige Vorlesestudie, die im vergangenen Oktober veröffentlicht wurde, befasste sich explizit mit den Gründen, weshalb in den „Wenigvorlesehaushalten“ so wenig vorgelesen wird. So besitzen Kinder aus den befragten Familien eher weniger Bücher als der Durchschnitt. Zudem waren die befragten Eltern zu einem großen Teil davon überzeugt, dass ihre Kinder Bücher und Geschichten nicht vermissen würden, außerdem werde außerhalb der Familie bereits genug vorgelesen, etwa im Kindergarten. Fehlende Zeit oder Energie zum Vorlesen oder mangelnde Lesekompetenz sind weitere Gründe, die aus Ansicht der Eltern gegen das Vorlesen sprechen. Und dazu kommt noch, dass es nach Aussage vieler Eltern keinen Spaß mache und die Kinder zudem kein Interesse daran hätten. Allerdings – für etwa die Hälfte der Eltern könnte es ein Anreiz sein, vorzulesen, wenn die Kinder Bücher geschenkt bekämen. So zeigte sich bei der Befragung, dass Eltern, die ein Buchgeschenk erhalten hatten, tatsächlich eher vorlesen.

Vorlesen gibt Geborgenheit und stärkt Familiengesundheit.

Doch auch wenn die befragten Eltern dem eigenen Vorlesen kritisch gegenüberstehen – es ist wichtig. Jörg Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen: „Dennoch profitieren Kinder durch das Vorlesen für ihre persönliche Entwicklung und Eltern, die vorlesen, verbessern die Bildungschancen ihrer Kinder nachweislich.“

Denn das Erzählen oder Vorlesen von Geschichten ist ein Gemeinschaftserlebnis. Derartig zwanglos gemeinsam verbrachte Zeit „tut Kindern und Eltern gleichermaßen gut, gibt Geborgenheit und stärkt nachhaltig die Familiengesundheit“, wie AOK-Experte Felix Lobedank weiß. So gehört das abendliche Vorlesen einer Geschichte bei zahlreichen Familien zum Gutenachtritual und hilft dabei, den Tag ausklingen zu lassen. Übrigens kann man damit nicht früh genug anfangen, denn sowohl vorlesen als auch Geschichten erzählen fördern das Sprechenlernen. Das Kind lernt spielerisch neue Wörter, es macht sich mit der Struktur schriftlicher Ausdrucksweise vertraut. Und auch die Fantasie wird angeregt, indem sich innere Bilder zu den erzählten Abenteuern formen. Zudem haben verschiedene Untersuchungen gezeigt, dass Kinder, denen viel vorgelesen wurde, später oft selbst mit Begeisterung zu Büchern greifen.

Das sieht Ulla Lieb von der Buchhandlung Osiander ebenso: „Nur wenn ihnen vorgelesen wird, fangen sie auch selbst einmal damit an.“ Sie empfiehlt „Die kleinen Muskeltiere“ von Ute Krause. „Das sind witzige Geschichten, die nicht zu lang sind. Und für jedes Alter geeignet.“ Ihrer Ansicht nach muss sich das Vorlesen auch nicht auf die ganz Kleinen beschränken. Denn selbst wenn Kinder schon allein lesen können, mögen und genießen manche das Vorlesen weiterhin. Und für die Eltern, die sich das Vorlesen nicht zutrauen, da sie selbst nicht so gut lesen können, empfiehlt sie, Geschichten anhand der Bilder in den Büchern nachzuerzählen oder etwas hinzuzuerfinden.

Daher ist die bevorstehende besinnliche Adventszeit eine gute Gelegenheit, sich wieder auf alte Rituale und Traditionen zurückzubesinnen und gemeinsam als Familie mit literarischen Lieblingshelden Abenteuer zu bestehen. Um zusammen Zeit zu verbringen, den Tag ruhig ausklingen zu lassen. In diesem Jahr haben Eltern und Kinder zwangsweise mehr Zeit miteinander verbracht. Auch wenn das sicher in mancher Hinsicht zu größeren Spannungen innerhalb von Familien geführt hat, mag es sich in anderen Bereichen wiederum positiv ausgewirkt haben. Eva Kreikenbaum, Spezialistin für Kinder- und Jugendliteratur bei der Buchhandlung Kreutzmann, hat festgestellt: „Durch Corona wird mehr vorgelesen.“ Die Nachfrage nach Vorlesebüchern habe deutlich zugenommen. Welches Buch empfiehlt die Fachfrau? „Ein Freund wie kein anderer von Oliver Scherz“, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. Eine spannende Geschichte um ein Erdhörnchen, das eine ungewöhnliche Freundschaft schließt.

Bundeszentrale gibt folgende Tipps fürs Vorlesen und Erzählen.

Je kleiner die Kinder, desto besser ist das Erzählen im Vergleich zum Vorlesen, da man hier flexibler mit der Geschichte umgehen kann – verliert das Kind das Interesse, kann man spannendere Elemente einbauen, wird es zu gruselig, kann man diese Elemente herauslassen. Das Kind sollte selbst aussuchen, welches Buch oder welche Geschichte es vorgelesen bekommen möchte – auch wenn es zum 10. Mal die gleiche ist.

Kinder sollten beim Vorlesen und Erzählen unterbrechen, fragen, kommentieren und die Geschichten „weiterspinnen“ dürfen. Oder es werden Anregungen des Kindes aufgenommen und in die Geschichte eingebaut, zum Beispiel Alltagssituationen, die das Kind kennt. Diese Vorgehensweise nennt man „dialogisches Vorlesen“. Das aktive Miteinbeziehen des Kindes erhöht die Motivation, zuzuhören, weckt Lust am Sprechen und bezieht das Vorwissen von Kindern mit ein.

Keine Angst vor Peinlichkeiten: Lesen und erzählen sollten Eltern ruhig mit viel Ausdruck. Sie sollten versuchen, Stimmen und Geräusche zu imitieren, mal lauter, mal leiser zu sprechen.

Bundesweiter Vorlesetag

Über 540000 Aktionen finden zum Vorlesetag am 20. November statt, die teilweise auch öffentlich zugänglich sind oder auf virtuellem Weg angeboten werden. Dazu gehört beispielsweise ein Vorlesefestival, bei dem bekannte Persönlichkeiten im Livestream vorlesen, zum Beispiel Cornelia Funke und Thomas Müller. Beginn ist um 9.30 Uhr auf www.vorlesetag.de sowie auf Instagram und Facebook.

Die Vorlesestudie 2020 empfiehlt folgende Bücher: Markus Osterwalder: Mit Bobo Siebenschläfer durch das Jahr, Peppa Pig: Peppa – Meine liebsten Vorlesegeschichten, Superwings: Meine liebsten 5-MinutenGeschichten, Die Eiskönigin 2: Olaf in der Bücherei, Lieselotte: Lustige Bauernhofgeschichten zum Vorlesen, Diana Steinbrede: Petronella Apfelmus – Der Oberhexenbesen und andere Vorlesegeschichten, Disney: Das Dschungelbuch – Das große Buch mit den besten Geschichten, Marvel: 5-Minuten-Geschichten.

Weitere Informationen: www.lesestart.de, www.vorlesetag.de, www.stiftunglesen.de, www.einfachvorlesen.de.

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Erstellt:
19. November 2020, 16:00 Uhr

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