Rettung einer ehemaligen Schmiede in Murrhardt
Das denkmalgeschützte Gebäude in der Postgasse 5 hat schon den Stadtbrand von 1765 überlebt und ist das zweitälteste Haus Murrhardts. Ex-Bauhofleiter Wolfgang Nell verhilft dem angeschlagenen Kleinod zu neuer Blüte.

© Jörg Fiedler
Das Fachwerkhaus liegt im Seniorenwohnkomplex zwischen Alter Post und den zugehörigen Neubauten. Es steht unter Denkmalschutz und durfte nicht abgerissen werden.
Von Ute Gruber
Murrhardt. Mitte Januar: Schon von außen bietet die alte Schmiede aus dem 18. Jahrhundert in der Murrhardter Postgasse bei winterlichem Schmuddelwetter einen trostlosen Anblick: rostige Wandschindeln, löchrige Dachrinnen, Verputz, der von der Wand fällt, abgeblätterte Fensterläden. Aber erst von innen läuft es dem Besucher eiskalt den Buckel runter: Da hängen Strohmatten mitsamt dem Putz von der Decke, Fensterrahmen sind vom Holzwurm zerfressen, an den Wänden ein holpriges Mosaik aus vermörtelten Feldsteinen, Putz mit altmodischem Blumenmuster, Raufasertapete und grünen Fliesen aus den 1960er-Jahren. Schritt für Schritt tastet man sich über Schutthaufen, morsche Balken, betonierte Abschnitte, Mörtelkübel, balanciert vorbei an Löchern im Boden, durch die man bis in den Keller schauen kann. Eben bespricht Bauherr Wolfgang Nell (67) mit einem der Bauspezialisten, wie die vermoderten Balken an der Westseite zu sichern sind. Dort hat ein Wasserschaden vom Dach bis in den Keller die Außenwand destabilisiert, die abgefaulten Tragbalken der Zwischendecken schweben in der Luft: „Man glaubt gar nicht, wie stabil das Fachwerk trotz allem ist, obwohl hier gar kein Kontakt mehr besteht“, wundert sich der pensionierte Bauhofleiter. Der gewaltige Umfang dieses Schadens wurde nach Entfernen der Bodenbeläge offenbar – da war das Haus schon gekauft. Keine freudige Überraschung!
Vergangenes Jahr hatte der gebürtige Murrhardter bei einer Handelsplattform für denkmalgeschützte Häuser den Zuschlag für das frei stehende, markante Haus mitten im Zentrum Murrhardts bekommen. Einen sechsstelligen Betrag wird er wohl in dessen Sanierung stecken müssen. „Das geht nur mit viel Eigenleistung“, stellt der gelernte Maurermeister fest, der in den 1990er-Jahren mit eigenem Baugeschäft unzählige heruntergekommene Altbauten in Dresden saniert hat, bevor er nach Murrhardt zurückkam und dort als Bauhofleiter arbeitete. Damals waren es Auftragsarbeiten, jetzt nimmt er sich Zeit für ein eigenes Projekt – ein Herzensprojekt. „Nur die Hauptgewerke Heizung, Sanitär, Elektrik werde ich vergeben. Schon wegen der Gewährleistung.“
Vier Tonnen Lehmputz werden verbaut
Ende Januar: Wo letztes Mal in der Mitte des Wohnzimmers im ersten Stock noch ein tonnenschwerer Haufen aus Lehm lagerte, stapeln sich jetzt flauschige Matten aus Holzweichfaser. Sie werden die Wände von innen isolieren, nach Angaben des hinzugezogenen Energieberaters vom Denkmalamt sogar besser als bei manchem Neubau.
Immerhin ist es angenehm warm auf der Baustelle dank modernem Kaminofen, in dem ein heimeliges Feuer aus wurmstichigen Brettern und Moderbalken knistert. Er ist der einzige Einrichtungsgegenstand, der von den Vorbesitzern verblieben ist und wärmt das ganze Häuschen mit seinen 110 Quadratmetern Wohnfläche. Das Bauteam scheint das Desaster ringsum ohnehin nicht zu erschrecken, es wird entspannt gesägt, gebohrt, geklopft, gespachtelt.

© Jörg Fiedler
Wolfgang Nell bei der Arbeit im Inneren der Schmiede.Fotos: Jörg Fiedler
8. Februar: Drinnen ist es inzwischen schon recht wohnlich, Wände und Decken sind verputzt, der Fußboden ist begehbar. Man wischt den Baustaub von den Stühlen neben dem Kaminfeuer und bespricht das Projekt – gelegentlich unterbrochen vom Kreischen der Kreissäge. Äußerlich soll das Häuschen werden wie vor den Renovierungen der 1960er-Jahre, nur neu. Die Fenster wie gehabt dreigeteilt mit Holzrahmen, aber natürlich mit Isolierglas. Die grünen, verzierten Fensterläden sollen neu lackiert, selbst die breite Doppeltür zur Straße – der Zugang zur ehemaligen Werkstatt – soll instandgesetzt werden. Vom Denkmalamt gibt es viele Vorgaben, derzeit allerdings kein Geld. Um Zuschüsse zu ermöglichen, wurde das Objekt immerhin in das neue Sanierungsgebiet um den Bahnhof aufgenommen. Die früher extrem kleinen Zimmer werden teilweise zusammengelegt, einzelne Fachwerkbalken verbleiben als Stützen und Raumteiler, ebenso wie ein Mäuerchen aus originalen Backsteinen – ein richtiger Hingucker. Im Dachgeschoss, das durch einen wohl nachträglich eingebauten Quergiebel und eine Gaube erstaunlich geräumig ist, entstehen neben Schlaf- und Kinderzimmer je separat Bad, Dusche und Toilette – moderner Wohnkomfort inmitten historischen Flairs. Gedeckt werden soll das Dach nach Wunsch des Denkmalamts mit Biberschwanzziegeln und zwar doppelt. „Teurer gehts kaum“, stellt Nell fest. Immerhin wurde dafür die Pflicht zur Fotovoltaikanlage gestrichen. „Das würde ja auch passen wie die Faust aufs Auge.“
Die Kosten wären für die Stadt zu hoch
Im März: Inzwischen sind die Flaschner zugange. Alle Leitungen für Wasser und Heizung müssen neu verlegt werden. Beheizt werden sollen die Wohnräume mit unauffälligen Sockelheizkörpern, die sich in Knöchelhöhe entlang der Außenwände ziehen. Auch die Fensterläden wurden zur Restaurierung abgenommen und lassen das Haus etwas nackt zurück. Es wird gerade eingerüstet, denn als Nächstes kommt das Dach an die Reihe. Bürgermeister Armin Mößner ist erleichtert, dass sich eine Lösung für das Gebäude gefunden hat. Er hätte das Haus gerne mit abgerissen, als vor acht Jahren das Areal der Sonne-Post und Postgasse neu gestaltet wurde. Aber das Denkmalamt legte sein Veto ein: Zu gut erhalten war dieses traditionelle Handwerkerhaus, das sogar den Stadtbrand 1765 überlebt hat und heute das zweitälteste Haus in Murrhardt ist. Jetzt werde mit einem Streich innerstädtischer Wohnraum geschaffen, das Areal aufgewertet und zugleich ein Denkmal erhalten. „Die Stadt hätte die Mittel nicht gehabt, es zu renovieren“, so der Rathauschef. Er schätzt diese auf rund eine halbe Million Euro. „Das ist ein Liebhaberobjekt.“ Noch jemand freut sich riesig über die Immobilienrettung und wohnt gleich vis-à-vis: Renate Klenk (86), die Witwe des letzten Schmieds in der Postgasse 5. Sie lebte in den 60ern noch mit den Schwiegerleuten im Haus. „Das war eine schöne Zeit, trotz der Enge. Ich muss da unbedingt mal reinschauen!“
Hausgeschichte Bereits in der Ortsansicht des Kieserschen Forstlagerbuchs von 1684 ist an besagter Stelle in Murrhardt ein Haus zu erkennen. Laut Inschrift am Eckbalken wurde das Haus im Jahr 1730 im heutigen Grundriss erweitert von Johann Christoph Zügel, Sonnenwirt und (Huf-) Schmied zu Murrhardt (und seinen Eltern), wie es die Handwerkersymbole Hufeisen, Kneifzange und Hammer nahelegen. Etwa um 1810 wurde ein passender Quergiebel Richtung Osten eingezogen, was den Wohnraum im Dachgeschoss deutlich vergrößert hat. Die Schmiede im Erdgeschoss gehörte zum Gasthof Sonne-Post nebenan, der wie die anderen Kutschenstationen Schwanen, Eiche und Linde außerhalb der Stadtmauer lag. Die wenig ansehnliche Nordostwand des Häuschens besteht aus Brandschutzgründen aus feuerbeständigem Backstein und Blechschindeln und war früher verdeckt vom ehemaligen Nachbargebäude Postgasse 7, das 1995/96 dem Parkplatz weichen musste. Hinter der Schmiede im Erdgeschoss befinden sich ein düsterer Schweinekoben und der Mostkeller.
Hausbewohner Irgendwann wechselte der Besitz von Familie Zügel zur Familie Klenk. Wilhelm Klenk, der Schwiegervater von Renate Klenk, war noch Schmiedemeister und auch sein Sohn Willi habe noch Schmied gelernt, arbeitete aber dann bei Bosch, so die 86-jährige Witwe. In den 50er- und 60er-Jahren wurden von Willi Klenk im ersten Stock ein Bad und Doppelglasfenster eingebaut sowie Blumenfenster. Die Werkstatt wurde in den 1960er-Jahren von Sattler und Polsterer Eugen Welz genutzt. Zuletzt wohnte noch eine Familie darin, dann stand das Haus acht Jahre lang leer. Bauherr Wolfgang Nell hofft, im Mai oder Juni innen fertig zu sein und mit der Fassade beginnen zu können.