Richter: „Schon genügend zweite Chancen gehabt“

Amtsgericht Backnang verurteilt 28-Jährigen wegen beabsichtigtem Drogenhandel zu zehn Monaten Gefängnis ohne Bewährung

Symbolfoto: E. Wodicka

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Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG/ALLMERSBACH IM TAL. Vor dem Amtsgericht Backnang mussten sich gestern zwei Männer wegen Körperverletzung verantworten. Der eine, 28 Jahre alt und von Beruf Straßenbauer, der andere, 58 Jahre und von Beruf Koch. Der Vorwurf der Anklage: Zu später Stunde während des Wiesenfestes in Allmersbach sollen die beiden Angeklagten einen 28-jährigen Studenten niedergeschlagen und beraubt haben. Die Angeklagten – ihr gutes Recht – wollen zu dem Vorfall keine Angaben machen. Umso wichtiger deshalb die Zeugen.

Der Student erhielt beim Verlassen des Festes aus heiterem Himmel Schläge ins Gesicht. Mit einem harten Gegenstand wurde er auf den Hinterkopf geschlagen. Dieser Schlag führte zu einer Platzwunde und einer Gehirnerschütterung. Sichtlich mitgenommen macht der Student Angaben, muss aber bei Einzelheiten zum Tatgeschehen passen. Aufgrund der Gehirnerschütterung hat er eine große Gedächtnislücke. Die beiden Angeklagten erkennt er nicht als seine Peiniger.

Zeugen können Tatbeteiligung der zwei Angeklagten nicht erhärten

Der Student hat das Fest zusammen mit einem 31-jährigen Freund aus Fellbach besucht. Der könnte weitere Aufschlüsse über den Tathergang geben. In den Zeugenstand gerufen, findet er es zunächst unnötig, aussagen zu müssen. Er habe doch der Polizei schon alles erzählt. Geduldig legt ihm der Richter auseinander, dass die Strafprozessordnung die Zeugenvernehmung vorsieht. Die Aussagen des Fellbachers bleiben diffus. Mal will er das Fest mit seinem Freund verlassen haben, dann wieder ist er 20 bis 40 Meter hinterhergelaufen. Aber auch solchen Entfernungsangaben sind bei ihm mit äußerster Vorsicht zu genießen. Die Angeklagten seien zusammen mit anderen aufgetreten. Waren es nun zwei oder vier Personen? Schulterzucken. Die Angreifer seien „Zigeuner“ gewesen. Einer der Verteidiger fragt, woran er denn dies festmache. Eine substanzielle Antwort bleibt der Zeuge schuldig.

Der Richter will den Tatort näher eingrenzen. Er legt allen Beteiligten zwei Bilder der Straße vor, in der sich alles abgespielt haben soll. Auch das ist schwierig. Sind die Angeklagten die Täter? „Weiß nicht“ ist die häufigste Antwort des Zeugen. Auch in diesem Fall.

Weitere Zeugen, insgesamt elf an der Zahl, sind für die Verhandlung vorgesehen. Aber diese sind keine unmittelbaren Tatzeugen. Man kommt überein, auf diese zu verzichten. So bleibt Zeit, einen gegen den jüngeren Angeklagten vorliegenden zweiten Tatvorwurf zu behandeln. Als noch in der Nacht des Allmersbachers Vorfalls die Polizei alarmiert war, wurde auch der Straßenbauer von einer Polizeistreife kontrolliert. Die Polizisten fanden bei ihm nichts, was auch den Überfall beim Fest in Allmersbach hindeutete, dafür aber sieben Tütchen mit Kokain. Bei einer sich gleich anschließenden Wohnungsdurchsuchung fanden sich allerdings keine dealer-typischen Utensilien wie Verpackungsmaterial oder Feinwaage.

Der Straßenbauer gibt an, gegenwärtig weder Drogen noch Alkohol zu konsumieren. Ja, er hat mal. Interessanterweise hat er mit Kokain erst im Gefängnis Bekanntschaft gemacht. Er verbüßte bis Anfang 2018 eine Gefängnisstrafe wegen versuchten Totschlags. Die Bewährungshelferin, die den 28-Jährigen nun seit zwei Jahren begleitet, kann von insgesamt acht Drogenscreenings innerhalb dieses Zeitraums berichten, die alle ohne Befund blieben. Warum also hatte der Angeklagte Kokain dabei?

Für den Staatsanwalt ist die Sache klar. Der Angeklagte wollte in den Drogenhandel einsteigen. Bezüglich des Vorwurfs der Körperverletzung nach dem Wiesenfest sind beide Angeklagte freizusprechen. Der angebahnte Drogenhandel mit Kokain hingegen ist mit einer Gefängnisstrafe von einem Jahr zu ahnden.

Entdeckte Kokainmenge hätte für 167 Konsumeinheiten gereich

Der Verteidiger des Angeklagten versucht den Vorwurf des Drogenhandels für seinen Mandanten zu entkräften. Dealer-Utensilien wurden nicht gefunden. Von den fünf Gramm Kokain, die gefunden wurden und die laut kriminaltechnischer Untersuchungen 167 Konsumeinheiten darstellen, darf nicht auf Drogenhandel geschlossen werden. Allenfalls eine Geldstrafe darf gegen seinen Mandanten verhängt werden, denn er versuche ja im übrigen rechtskonform zu leben. Man dürfe dem Angeklagten nun nicht mit übermäßiger Härte im Strafmaß die weitere Bewährung versagen. Sein Mandant habe doch eine Arbeitsstelle, sorge selbst für seinen Lebensunterhalt und sei wieder „auf der rechten Bahn.“ Die Sozialprognose ist positiv.

Das Urteil des Richters: Freispruch für beide Angeklagte wegen dem angeblichen Körperverletzungsdelikts. Der Kokain-Besitz des Straßenbauers dagegen wird mit zehn Monaten Gefängnis geahndet. Da der Angeklagte zum Drogenfund keine Aussage machte, so der Richter, könne man selbst aus seinem Schweigen Schlüsse ziehen. Warum erwirbt der Angeklagte, so der Richter, plötzlich 167 Konsumeinheiten Kokain? Das könne nur als beabsichtigter Drogenhandel gewertet werden. Und da der Angeklagte zur Tatzeit noch unter Bewährung von einer vorausgegangenen Gefängnisstrafe stand, könne man dies nicht erneut gewähren. Selbst geordnete Verhältnisse, wie es sein Anwalt ausgeführt hatte, hätten den jungen Mann nicht von einer erneuten Straftat abgehalten. Auch wenn der Angeklagte in seinem letzten Wort eine weitere Chance erbeten hätte, er, der Richter, können sie ihm nicht geben. Dreimal sei er in den acht Jahren, die er in Deutschland sei, straffällig geworden. Zweite Chancen habe er in seinem Leben schon genügend gehabt. Aber sie leider nicht genützt.

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Erstellt:
5. Mai 2020, 06:00 Uhr

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