Richter: Sportlehrer zur Ersten Hilfe verpflichtet

Ein schwer verunglückter Schüler erzielt einen Teilerfolg vor dem Bundesgerichtshof

Sportlehrer müssen notfalls Erste Hilfe im Unterricht leisten können. Sie seien nicht durch ein Haftungs- privileg geschützt, wie es für Nothelfer gilt. Das Urteil könnte Folgen haben.

Karlsruhe Ein im Sportunterricht verunglückter hessischer Schüler kann doch noch auf Schadenersatz hoffen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hob am Donnerstag ein abweisendes Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt auf und ordnete die Einholung von Gutachten an. Ob er nun auf Schadenersatz und Schmerzensgeld hoffen kann, ist offen. Außerdem klärte der BGH zwei wichtige Rechtsfragen zur Haftung von Sportlehrern bei der Ersten Hilfe.

Der damals 18-jährige Sören Z. war Anfang 2013 im Sportunterricht plötzlich zusammengebrochen und ohnmächtig geworden. Die Sportlehrerin alarmierte den Notarzt, führte aber keine Wiederbelebungsmaßnahmen durch. Als nach acht Minuten der Notarzt eintraf, stellte er bei dem Schüler einen Atemstillstand fest.

Der junge Mann konnte wiederbelebt werden, erlitt jedoch irreparable Hirnschäden. Er kann sich heute mit seinen Eltern unterhalten, er kann aber nicht mehr lesen, schreiben und rechnen. Auch kann er nicht mehr richtig gehen. Sören Z. ist als Schwerbehinderter anerkannt. Der heute 24-jährige lebt bei seinen Eltern, die ihn betreuen.

Im Namen seines Sohns hat Vater Gerhard Z. Hessen wegen einer Amtspflichtverletzung der Sportlehrerin auf Schadenersatz verklagt. Er verlangt Schmerzensgeld in Höhe von 500 000 Euro, eine Mehrbedarfsrente von monatlich 3000 Euro sowie eine Kostenübernahme aller bisherigen und künftigen Schäden durch das Land.

Das OLG Frankfurt hatte die Klage im Vorjahr abgelehnt. Die Richter meinten, zwar gehöre es zur Amtspflicht von Sportlehrern, bei Unfällen Erste Hilfe zu leisten. Es sei aber nicht bewiesen, dass eine rechtzeitige Herzdruckmassage die Hirnschädigung hätte vermeiden können. Das Land Hessen hatte argumentiert, dass der Atemstillstand möglicherweise erst kurz vor Eintreffen des Notarztes eingetreten sei.

Der BGH hob das Frankfurter Urteil nun auf und verwies den Fall an das OLG zurück. Dieses muss nun ein Sachverständigengutachten einholen. Damit soll nach Möglichkeit festgestellt werden, wann der Atemstillstand genau eintrat und ob der Verzicht auf Reanimationsmaßnahmen ursächlich für die Hirnschäden war. Das Frankfurter Gericht hatte auf ein Gutachten verzichtet.

Vorsorglich klärte der Bundesgerichtshof zwei Rechtsfragen, die beim OLG relevant sein werden. Erstens hat Vater Z. auch im neuen Prozess die Beweislast, dass das Verhalten der Lehrerin die Hirnschäden verursacht hat. Die Beweislastumkehr, wie sie für Behandlungsfehler von Ärzten gilt, sei zwar auf Bademeister, nicht aber auf Sportlehrer übertragbar, sagte der Vorsitzende Richter Ulrich Herrmann.Das nützt dem Land.

Beim Haftungsmaßstab entschied der BGH dann aber zugunsten der Kläger. Das Land wollte, dass die Sportlehrer nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit haften – wie Passanten, die spontan einem Unfallopfer helfen. Diese Haftungserleichterung passe aber nicht auf Sportlehrer. Diese müssten nicht spontan und unvorbereitet eingreifen, sondern seien für die Leistung von Erster Hilfe zuständig und ausgebildet. Die Sportlehrer hafteten deshalb schon dann, wenn sie leicht fahrlässig Schäden verursachten. In der Regel übernimmt die Schadensbegleichung dann der Staat.

Das Oberlandesgericht muss nun also noch zweierlei klären: Hat die Sportlehrerin nach dem Kollaps fahrlässig gehandelt und dabei ihre Amtspflicht verletzt? Und: Hat diese Amtspflichtverletzung die Behinderung von Sören Z. verursacht? Das Verfahren kann noch Jahre dauern, doch Vater Z. schöpft seit Donnerstag neue Hoffnung.

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Erstellt:
5. April 2019, 03:14 Uhr

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