Experte über autonome Autos
Robotaxis? „In Stuttgart könnte es länger dauern“
Wenn Europa die Kräfte nicht bündelt, wird es bei der Entwicklung autonomer Taxis abgehängt, warnt der Verkehrswissenschaftler Andreas Herrmann von der Uni St. Gallen.

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Der zum Google-Konzern Alphabet gehörende Anbieter Waymo liegt mit seinen fahrerlosen Taxis an der Spitze der Entwicklung, sagt der Verkehrsexperte Andreas Herrmann.
Von Matthias Schmidt
In China und den USA bewegen sich immer mehr autonom fahrende Taxis durch die Städte. Große Technik-Konzerne geben den Ton an. Europa droht in der Entwicklung abgehängt zu werden, warnt Andreas Herrmann (60), Direktor des Instituts für Mobilität an der Uni St. Gallen.
Herr Professor Herrmann, wann werde ich in Stuttgart zum ersten Mal mit einem autonomen Taxi zum Bahnhof fahren können?
Da zögere ich mit der Antwort. In Europa gehen zurzeit zwei Städte vorneweg: Oslo und Hamburg. Oslo macht demnächst eine Ausschreibung über 700 bis 800 Fahrzeuge, in Hamburg wurde der autonome ID.Buzz von VW auf Basis von Mobileye-Technologie vorgestellt. Dort will man 2026 fahrerlos unterwegs sein und den Service dann ausbauen. In beiden Städten wird man 2026/27 mit mehreren hundert Fahrzeuge unterwegs sein. Ob andere Städte nachziehen, ist schwer zu sagen. Stuttgart ist Mercedes- und Porsche-Standort, und die Technologie wird nicht maßgeblich von den Automobilherstellern getrieben, sondern von großen Tech-Firmen. In Stuttgart könnte es also etwas länger dauern.
Mercedes konzentriert sich derzeit auf teilautonome Systeme, bei denen es weiterhin einen Fahrer braucht. Halten Sie das für falsch?
Das hat mit dem Geschäftsmodell der Hersteller zu tun. Bei den momentan ehrgeizigsten Projekten geht es um öffentlichen Verkehr, nicht um individuelle Mobilität. Man kann die Fahrzeuge nicht kaufen, sondern sie werden von Verkehrsbetrieben bereitgestellt. Die deutschen Hersteller wollen aber lieber mehr Autos verkaufen. Und sie werben auch mit der Freude am Fahren. Die verschwindet ein Stück weit, wenn wir das Fahren der Maschine übertragen. Zudem gibt es die Gefahr, dass die Bedeutung der Marke abnimmt. Letztlich ist es doch gleichgültig, ob mich ein BMW oder Mercedes selbstständig von A nach B bringt.
In einer aktuellen Umfrage sagten 62 Prozent der Deutschen, sie wollten nicht mit Robotaxis fahren. Viele bezweifeln, dass sie sicher sind. Das ist berechtigt, oder nicht?
Ich verstehe die Bedenken. Aber man muss solche Fahrten selbst erlebt haben, um sie beurteilen zu können. Viele haben keinerlei Vorstellung davon, wie das funktioniert. Deshalb sind die Umfragen fast wertlos. In Deutschland gehen 90 Prozent der Unfälle auf menschliches Versagen zurück. Die Daten der Robotaxis von Waymo in San Francisco zeigen, dass die Zahl der Unfälle drastisch zurückgeht, wenn die Maschine das Auto steuert.
Vor kurzem hat Tesla Robotaxis in Austin/Texas auf die Straße gebracht. Wenig später sah man, wie die Autos auf die Gegenfahrbahn fuhren oder zu schnell unterwegs waren. Was läuft da schief?
Tesla setzt auf Systeme, die ihre Umgebung nur mit Kameras erfassen. Mit einer Kamera aber ist ein weißer Gegenstand im Gegenlicht kaum zu erkennen, deshalb kommt es zu den Tesla-Unfällen. Elon Musk setzt trotzdem voll auf diese Karte und sagt, die Kameras würde sich weiterentwickeln. Es gibt beispielsweise schon Kameras mit Fotosensoren, die Nebel durchdringen können. Sollte sich der Fortschritt einstellen, wie von Musk prognostiziert, hätte Tesla einen großen Kostenvorteil. Die kamerabasierten Systeme kosten nur 400 Dollar pro Auto, Lidar-Radarsysteme dagegen kosten 10.000 Euro.
Wer ist in Ihren Augen im Moment am weitesten?
Eindeutig Waymo. Die sind bisher die meisten Kilometer gefahren. In Europa ist Mobileye weit oben. Und in Asien gibt es verschiedene Spieler wie Pony.ai und Baidu mit Apollo. Die sind alle in der Lage, autonome Systeme in den Verkehr zu bringen.
„VW ist mit Cariad krachend gescheitert“
Sehen Sie die Gefahr, dass die deutschen Autohersteller abgehängt werden?
Ja. Erstens wollen die Hersteller lieber Autos verkaufen statt die Leute für die Nutzung zahlen zu lassen. Das sei doch nur Groschen sammeln, sagte mir einmal ein deutscher Manager. Zweitens haben wir keinen Softwaregiganten, der in der Lage wäre, solche Systeme zu entwickeln. VW wollte das mit Cariad schaffen und ist krachend gescheitert. Jetzt arbeitet VW in den USA mit Rivian und in China mit Xpeng zusammen. Letztlich geht es darum, viele Kilometer zu machen. Viele behaupten, das können wir auch, aber man muss Millionen Kilometer autonom gefahren sein, um die Algorithmen auch entsprechend trainieren zu können.
Auch Bosch verringert die Entwicklungskapazitäten und baut Programmierer-Stellen ab. Die Nachfrage sei nicht da, hieß es. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Es gab früher eine große Euphorie. Schon 2010 fuhr ein Audi TTS ohne menschlichen Eingriff auf den 4300 Meter hohen Pikes Peak in den USA. Doch nach ersten Rückschlägen und in Zeiten des Dieselskandals ließ man sich entmutigen. Aber jetzt geht die Entwicklung rasant, und es besteht die Gefahr, dass man den entscheidenden Moment verpasst.
Was müsste sich ändern, dass Deutschland und Europa zu den Technologieführern aufschließen kann?
Das Klein-Klein bei uns ist kaum zu ertragen. Wir brauchen auf europäischer Ebene dringend eine Allianz aller Hersteller, die sich mit dem autonomen Fahren befassen. Es hat keinen Sinn, wenn die EU ihre Fördergelder auf 38 kleine Projekte verteilt. Dadurch fehlt uns die Kraft. In Europa hat man bisher 800 Millionen Euro fürs autonome Fahren ausgegeben, in China waren es im Zeitraum 2016 bis 2019 allein schon 19 Milliarden. Ohne Fokussierung und Zusammenarbeit der Unternehmen wird es nicht gehen. Und die Politik sollte zumindest den Runden Tisch dafür bereitstellen - und wohl auch die nötigen Anfangsinvestitionen.
Institutsdirektor
WerdegangAndreas Herrmann, Professor für Betriebswirtschaftslehre, wurde 1964 im südbadischen Bad Säckingen geboren. Er promovierte an der Otto Beisheim School of Management (Düsseldorf) und habilitierte sich an der Universität Mannheim. Der Deutsch-Schweizer ist verheiratet und hat drei Kinder.
InstitutAls Direktor des Instituts für Mobilität an der Uni St. Gallen befasst er sich seit Jahren intensiv mit der Entwicklung fahrerloser Autos. Unter anderem veröffentlichte er 2018 mit Walter Brenner und dem damaligen Audi-Chef Rupert Stadler das Buch „Autonomous Driving – Wie die fahrerlose Revolution die Welt verändert.“