Rotgerbertochter macht in Paris Karriere

Karoline Schippert, die vor bald 210 Jahren das Licht der Welt in Murrhardt erblickt hat, reüssierte in der französischen Hauptstadt in einer bis dahin unangefochtenen Männerdomäne. Sie machte ihr Geld in der Personenbeförderung. Als reiche Frau kehrte sie in die Walterichstadt zurück.

Auch die Malerin Trude Schüle hielt die Erinnerung an die Frau wach, deren Erfolgsgeschichte wohl immer ein Stück weit ein Geheimnis bleiben wird. Das kleine Foto zeigt Karoline Schippert in Paris, auf dem größeren ist sie schon etwas älter. Es ist wohl in Murrhardt aufgenommen worden. Archivfoto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Auch die Malerin Trude Schüle hielt die Erinnerung an die Frau wach, deren Erfolgsgeschichte wohl immer ein Stück weit ein Geheimnis bleiben wird. Das kleine Foto zeigt Karoline Schippert in Paris, auf dem größeren ist sie schon etwas älter. Es ist wohl in Murrhardt aufgenommen worden. Archivfoto: J. Fiedler

Von Karin de la Roi-Frey

Murrhardt. Karoline Schippert (1812 bis 1890), die Rotgerbertochter aus Murrhardt, verfügte in ihrer Jugend entweder über eine sehr einnehmende Erscheinung oder sie hatte andere Qualitäten. Die historischen Klatschspalten berichten, sie habe ein Verhältnis mit Napoleon III. (1808 bis 1873) von Frankreich gehabt. Eher klein von Gestalt wie sein berühmter Onkel, dafür aber mit waagerecht abstehenden Bartenden war Napoleon III. ein rastloser „Womanizer“. Obwohl mit der schönsten Frau Europas verheiratet, Eugénie (1826 bis 1920), war er ständig bestrebt, sich und seine eigene Größe zu beweisen.

Es war die Zeit des glücklichen, kaum infrage gestellten Patriarchats. In der Weltstadt Paris gelangten Schriftsteller und Maler zu Ruhm, der Absinth floss in Strömen, beim Cancan flogen die Beine und das alte Paris verschwand zugunsten großzügig angelegter Boulevards. Zum Gesprächsstoff in Bistros und auf Märkten gehörten die dortigen Pferdebahnen. Kreuz und quer durch Paris beförderten „Les gazelles“ ihre Fahrgäste. Hinter diesem innovativen, ja revolutionären Unternehmen, einem Vorläufer der späteren Straßenbahnen, stand eine Frau aus einem kleinen, abgelegenen Örtchen namens Murrhardt im Königreich Württemberg.

Es gab viele Möglichkeiten, Geld zu verdienen – auch für Frauen. Putzmacherinnen mit einem verlockenden Angebot an verheißungsvollen Knöpfen, dekorativen Schleifen und lockenden Strumpfbändern gehörten ebenso zur Szene wie hübsche Verkäuferinnen, Tänzerinnen, Wäscherinnen oder die berühmteste Kokotte des 19. Jahrhunderts in Frankreich: Marie Duplessis (1824 bis 1847), verewigt als „Die Kameliendame“. Aber nicht die elegante Halbwelt war Karoline Schipperts Metier, sondern das harte Geschäft der Personenbeförderung in einer bisher unangefochtenen Männerdomäne. Diverse Postkutschen für die rasche Beförderung der steigenden Nachrichtenflut gehörten Karoline Schippert ebenso wie eine Pferdebahn. 100 Pferde sollen in ihren Ställen gestanden haben. Der Personentransport war ein lukratives, aber auch aufwendiges Geschäft. Vier Kilometer Pariser Straßen konnten ihre 100 Tiere versorgen. Alle zwei bis drei Stunden mussten die Pferde ausgetauscht werden, und die Hälfte des Personals von Madame Schippert wurde zur Pflege der Tiere benötigt. Weitere Kosten verursachten Futter und Unterbringung sowie die Instandhaltung und Reinigung des Pflasters. Nach fünf bis sechs Jahren war ein Pferd nicht mehr einsetzbar und konnte nur zu einem wesentlich geringeren Preis weiterverkauft werden.

Karoline Schippert verdiente ein Vermögen und kehrte 1866 als reiche Frau zurück. Aber nicht in ihre Heimatstadt Murrhardt zog es sie, sondern in die Residenzstadt Stuttgart. Auch dort war die neue Zeit schon angebrochen. Für 10 bis 25 Pfennig konnte man sich ab 1868 per „Tram mit Hafermotorantrieb“ durch immer mehr Straßen fahren lassen. „Madame Schippert“ lautet der Eintrag im Stuttgarter Adressbuch für die noble Residenz Friedrichstraße 1c. Dort lebte Madame als Besitzerin in der Beletage. In den großen Bürgerhäusern dieser vornehmen Gegend traf sich die Hautevolee der Residenzstadt. Zu Madams Nachbarn gehörten so feine Herrschaften wie ein Staatsminister, ein Zuckerfabrikant und eine Obertribunalratswitwe.

Zehn Jahre verbrachte Madame Schippert in ihrem vornehmen Haus in der Friedrichstraße, dann erfüllte sie sich einen neuen Wunsch. Sie kaufte sich den Stocksberg bei Brackenheim und war nun Schlossherrin mit 40 Morgen Äckern und Weinbergen. Der beeindruckten Verwandtschaft aus Murrhardt kam Madame prächtig gekleidet auf der Schlosstreppe entgegen und soll sich immer wieder als großzügige Gönnerin erwiesen haben. Dafür erwartete sie allerdings auch, dass die jungen Frauen der Familie den Mann heirateten, den sie für richtig hielt. Aber auch in Stocksberg fühlte sich die Murrhardterin auf Dauer nicht zu Hause und kehrte schließlich in ihren Geburtsort zurück. Dorthin brachte eine vierspännige Kutsche französischen Lebensstil: kostbare Möbel, Ölbilder, Tafelgeschirr und – zum großen Erstaunen der Murrhardter – ein französisches Bett. Die inzwischen sehr korpulente Madame Schippert soll es über eine kleine Leiter bestiegen haben, um sich zwischen Seidenkissen zur Ruhe zu begeben. Dass sie mit Rücksicht auf ihre Gesundheit nur Sauerkraut aß, konnte sich allerdings keiner so richtig vorstellen. Da glaubte man schon eher dem Gerücht, Madame Schippert habe einst eine Liaison mit Kaiser Napoleon III. gehabt. Sie hat dies stets bestritten. In Murrhardt aber weiß man, dass es nur ein Jahr nach ihrer Rückkehr, nämlich im September 1867, zu einem Rendezvous kam. Der Kaiser „schwänzte“ ein Arbeitstreffen mit seinen königlichen und kaiserlichen Kollegen im Schloss Rosenstein und eilte mit einer achtspännigen Kutsche nach Murrhardt.

Die dortige Schippertstraße ist benannt nach der gleichnamigen, mit Karoline Schippert verwandten Familie, die einst ein großes Baugelände an die Stadt verkaufte und zur Erinnerung um diesen Straßennamen bat.

Karoline Schippert kam aus ärmlichen Verhältnissen

Die Rotgerbertochter Geboren ist Karoline Dorothea Jacobina Schippert am 24. April 1812 in Murrhardt. Ihr Vater Johann Jacob Schippert kam als Rotgerber aus Waldrems in die Walterichstadt. Dazu, dass sie aus den ärmlichen Verhältnissen ausbrach und eine in dieser Zeit ungewöhnliche Karriere als Frau hinlegte, gibt es unterschiedliche Überlegungen. Während Thaddäus Troll festhielt, dass die Tochter als junges Mädchen zu Hause nicht gutgetan habe, durchgebrannt sein soll und schließlich in Paris landete, ging Elisabeth Sladek davon aus, dass die Not und Armut der Zeit die Kinder dazu nötigte, bald auf eigenen Füßen zu stehen. Wie Karoline Schippert in Paris Fuß fasste, musste aber auch sie offenlassen.

Erbe Ihr beträchtliches Erbe wurde unter ihren vielen Verwandten verteilt, die Möbel wurden in der Verwandtschaft versteigert. Auch die Murrhardter Malerin Trude Schüle (1929 bis 2016) kam über ihren Vater an einen Tisch, vier Stühle und einen Sessel und hielt die edlen Möbel während ihrer Lebzeiten in höchsten Ehren. Sie vermutete, dass noch einige Stücke in Murrhardter Haushalten zu finden sein müssten, die Verwandtschaft Madame Schipperts war weitverzweigt (Großneffe Wilhelm Schippert war Landrat des Altkreises Backnang).

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Erstellt:
17. Januar 2022, 06:00 Uhr

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