Krieg in der Ukraine

Russische Sommeroffensive gescheitert

Unter hohen russischen Verlusten stoppten ukrainische Soldaten bei der Stadt Pokrowsk die Angreifer und kesselten sie teilweise ein.

Eine alte Frau trägt im März 2025 ihre kargen Einkäufe aus einem Geschäft nahe des Bahnhofs von Pokrowsk in ihr zehn Kilometer entferntes Haus.

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Eine alte Frau trägt im März 2025 ihre kargen Einkäufe aus einem Geschäft nahe des Bahnhofs von Pokrowsk in ihr zehn Kilometer entferntes Haus.

Von Franz Feyder

Viele glaubten an eine vernichtende Niederlage der Ukraine auf dem Schlachtfeld, als sich Anfang August russische Aufklärer durch die Verteidigungslinien nördlich des strategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunkts Pokrowsk im Südosten der Ukraine schlichen. Überraschend waren die Russen in Dörfern aufgetaucht, hatten um sich geschossen und Handgranaten geworfen. „Russischer Durchbruch“ titelten Zeitungen und Nachrichtensendungen, malten westliche wie russische Politiker schwarz. Zum Monatsende sind die russischen Verbände nördlich von der Stadt gestoppt und weitgehend zurückgedrängt. Putins Sommeroffensive 2025 ist gescheitert.

Was ist ein Durchbruch?

„Lage, bei der es dem Angreifer im Rahmen einer unmittelbaren Operation gelungen ist, so tief in den Raum des Verteidigers einzudringen, dass dieser zunächst keinen zusammenhängenden Widerstand mehr leisten kann“, definiert die deutsche Heeresdienstvorschrift 100/900 den Begriff – wie weltweit die meisten Militärs. Daraus ergeben sich drei Merkmale, die den Durchbruch kennzeichnen: Der Angreifer dringt in die gegnerische Verteidigung ein. Er zerreißt sie in der Breite und/oder Tiefe so, dass eine zusammenhängende Verteidigung nicht mehr möglich ist. Als Drittes dringt der Angreifer so tief vor, dass er Reserven zerschlägt, sie nicht mehr herangeführt werden können und Artillerie ausgeschaltet wird.

Gab es einen Durchbruch bei Pokrowsk?

Nein. Etwa 150 russischen Aufklärern war es gelungen, sich durch die im Norden der Stadt nur sporadisch besetzte ukrainische Verteidigungslinie zu schleichen und unvermittelt auf einer Breite von etwa zwei und in einer Tiefe von sechs Kilometern in Dörfern aufzutauchen. Ihnen folgten – langsam und unentschlossen – Infanteristen der russischen 5., 114. und 132. Mechanisierten Schützenbrigaden, etwa 3500 Soldaten. Die ukrainische Nationalgarde stoppte sie am zweiten Tag ihres Vorstoßes durch das neu gebildete 1. Azov-Korps. Im Einsatz waren dabei auch fahrende, spülmaschinen-große Roboter, auf die Maschinengewehre montiert sind. Im Zusammenwirken mit fliegenden Drohnen wurden russische Kräfte geortet und bekämpft. Der Zusammenhang der ukrainischen Verteidigung wurde nie zerrissen.

Wie gelang es den russischen Soldaten, sich durch die ukrainischen Linien zu schleichen?

Die russischen Späher hatten Kühlakkus an Uniformen und Umhängen befestigt. Dadurch wurde das Wärmebild ihrer Körper so weit heruntergekühlt, dass sie für Sensoren, Drohnen und Thermalkameras nur schwer zu entdecken waren. Diese Kameras machen die für das Auge unsichtbare Wärmestrahlung sichtbar. Gefangen genommene Aufklärer berichteten ihren ukrainischen Befragern, sie hätten für Strecken von zwei, drei Kilometern bis zu zwei Nächte gebraucht. Tagsüber hätten sie regungslos auf dem Boden liegend verharrt. Andere kühlten auf ähnliche Weise die Wärmesignatur ihrer Geländemotorräder.

Was passierte mit den russischen Brigaden, die in die ukrainische Verteidigung einsickerten?

Drei russische Brigaden wurden durch frische ukrainische Bodentruppen eingekesselt, die meisten Soldaten gefangen genommen. Ein sich „Voykor Romanov“ nennender russischer Soldat schrieb auf der Plattform Telegram, es sei seiner 5. Brigade gelungen, in ein Dorf einzudringen, es aber nicht zu kontrollieren. Seine Offiziere hätten hingegen die Einnahme gemeldet. „Der Feind brachte Verstärkungen heran und trieb uns aus dem Dorf.“ Ein anderer Russe mit dem Alias „Filatov“ ereifert sich, „dass Meter und Zentimeter in der Propaganda nichts darüber aussagen, was bei Pokrowsk wirklich passiert“. Seine kommandierenden Offiziere sollten die Öffentlichkeit darüber aufklären, „aber mit Fakten und nicht mit emotionalen Ergüssen. Denn wir sind am Arsch“.

Warum gilt nach diesem Vorstoß bei Pokrowsk die russische Sommeroffensive 2025 als gescheitert?

Russlands Machthaber Wladimir Putin hatte für den Angriff auf den seit August 2024 belagerten Eisenbahnknotenpunkt 150 000 Soldaten in diesem Bereich der mehr als 1800 Kilometer langen Front zusammengezogen. Mir der Einnahme der Stadt hätten seine Truppen das Tor zur zweieinhalb Autostunden entfernten Millionenstadt Dnipro aufgestoßen. Die Metropole ist eines der Rüstungs- und Industriezentren der Ukraine. Von den etwa 600 000 russischen Soldaten in der Ukraine war also jeder vierte in diesem etwa 50 Kilometer breiten Frontabschnitt eingesetzt. Ihre Angriffe schlugen die Ukrainer blutig zurück. Westliche Quellen gehen von 50 000 bis 75 000 toten und verletzten russischen Soldaten mit einem überdurchschnittlich hohen Anteil an Toten in diesem Jahr aus. Das deckt sich mit den Schätzungen vieler Journalisten, die den Krieg in sozialen Medien verfolgen. Ukrainische Quellen rechnen mit 135 000 russischen Verletzten und Toten. Die ukrainischen Verluste seit Jahresbeginn werden bei Pokrowsk im Westen auf 15 000 verletzte und tote Soldaten geschätzt. Russland ist zu einer raumgreifenden Offensive – wie an der gesamten Front – in diesem Sommer nicht mehr in der Lage.

Wie sieht es an den anderen Frontabschnitten aus?

Im nordöstlichen Regierungsbezirk Sumy, in den südlichen Regionen um Cherson und Saporischschja wurden die russischen Angreifer unter hohen Verlusten zurückgeschlagen. Insgesamt haben sie seit Jahresbeginn 1800 Quadratkilometer Ukraine erobert. In sozialen Medien beklagen russische Soldaten ihre Erschöpfung, schlechte Versorgung und Demoralisierung. Hohe Verluste wurden auch den im Osten der Ukraine kämpfenden nordkoreanischen Truppen zugefügt, die auf der Seite Moskaus kämpfen.

Wie geht es im Raum Pokrowsk weiter?

Die Ukraine wird die Straße in die Stadt Dobropillja so freikämpfen, dass russische Kräfte nicht mehr mit Panzern auf sie schießen können. Die Straße ist eine der beiden Lebensadern für die einst 61 000 Einwohner zählende Stadt, in der noch 5000 bis 7000 Zivilisten leben sollen. Deren Lebensbedingungen sind dramatisch: Wasser wird in Tanklastern geliefert und in Badewannen gehortet; viele Menschen fangen zudem Regen auf. Über Solaranlagen und Aggregate gewinnen sie Strom, um Handys zu laden und Elektrogeräte zu betreiben. In drei, vier Geschäften können sie – wie Menschen aus umliegenden Dörfern – Grundnahrungsmittel kaufen. Gekocht und gebacken wird auf Feuer.

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Erstellt:
27. August 2025, 14:10 Uhr
Aktualisiert:
27. August 2025, 17:02 Uhr

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