Russland ändert Verfassung für weitere Amtszeiten Putins

dpa Moskau. Im Eiltempo beschließt das russische Parlament die größte Verfassungsänderung in der Geschichte des Landes. So soll Präsident Putin weiter an der Macht bleiben. In Moskau regt sich Protest. Und auch eine Hürde gibt es noch.

Russlands Präsident Wladimir Putin spricht während einer Sitzung vor der Abstimmung über die Verfassungsänderungen in der Staatsduma, dem Unterhaus des russischen Parlaments. Foto: -/Kremlin/dpa

Russlands Präsident Wladimir Putin spricht während einer Sitzung vor der Abstimmung über die Verfassungsänderungen in der Staatsduma, dem Unterhaus des russischen Parlaments. Foto: -/Kremlin/dpa

Kremlchef Wladimir Putin kann dank einer nun endgültig vom russischen Parlament beschlossenen Verfassungsänderung im Prinzip noch 16 Jahre bis 2036 an der Macht bleiben.

Die Staatsduma in Moskau nahm am Mittwoch in dritter und letzter Lesung die größte Verfassungsänderung in der Geschichte des Landes an.

Dabei werden auch die Vollmachten des Präsidenten ausgeweitet. Deshalb soll der 67 Jahre alte Putin nach dem Willen der Abgeordneten die Chance haben, sich um den „praktisch neuen Posten“ zu bewerben. Die nächsten Präsidentenwahlen sind 2024 und 2030. Ein echter Konkurrent für Putin ist nicht in Sicht.

Nach der Staatsduma winkte auch der Putin gewogene Föderationsrat - das Oberhaus des russischen Parlaments - die Grundgesetzänderung durch. Föderationsratschefin Valentina Matwijenko lobte die Verfassung als Basis für politische Stabilität und soziale Sicherheit in Russland.

Insgesamt waren an der unter Präsident Boris Jelzin 1993 verabschiedeten Verfassung 390 Änderungen vorgenommen worden. Es war die erste Verfassungsreform unter Putin, der 2000 erstmals zum Präsidenten gewählt worden war. Der Ex-Geheimdienstchef hatte in der Vergangenheit stets betont, dass er sich nicht am Grundgesetz vergreifen wolle. „Unter gar keinen Umständen beabsichtige ich, die Verfassung zu ändern“, sagte er zum Beispiel 2005.

Eine Verfassungsänderung gab es unter Präsident Dmitri Medwedew 2008, der die Amtszeit auf sechs Jahre ausdehnen ließ. Davon profitierte erstmals Putin nach seiner Rückkehr in den Kreml 2012. Putin hatte den Posten damals zeitweilig verlassen, weil laut bisheriger Verfassung nur zwei Amtszeiten in Folge möglich waren. Der Zusatz „in Folge“ ist nun gestrichen.

Die Staatsduma nahm die „Putinsche Verfassung“ nun mit 383 von 450 Stimmen an. 43 Abgeordnete der Kommunisten enthielten sich wie in der zweiten Lesung am Vortag. Sie hatten kritisiert, dass Putins bisherige vier Amtszeiten bei Inkrafttreten der neuen Verfassung nicht gezählt werden und er wieder kandidieren könne. Putin will dieses Vorgehen noch vom Verfassungsgericht bestätigen lassen. Die Richter haben allerdings bisher noch keine Entscheidung gegen den Kremlchef getroffen.

Kremlkritiker werfen Putin einen „Verfassungsumsturz“ vor. Bereits am Dienstag hatte es in Moskau Proteste gegen seinen ewigen Verbleib an der Macht gegeben. Für den 21. März beantragte die Opposition eine Protestkundgebung in Moskau. Erlaubt werden dürfte sie wohl nicht. Die Stadt untersagte wegen des Coronavirus Massenveranstaltungen bis zum 10. April. Nach offiziellen Angaben gibt es bisher kaum Infektionen in der russischen Hauptstadt.

Die Staatsduma hatte am Dienstag nach einer Rede Putins in zweiter und entscheidender Lesung die Verfassung geändert. Die dritte Lesung war nun eine rein technische. Es gab keine Gegenstimme. Für den 22. April ist eine Volksabstimmung zum Grundgesetz geplant. Erst dann soll Putin zufolge die Verfassungsreform in Kraft treten.

Viele Menschen in Russland sind verunsichert wegen der schweren Wirtschaftskrise. Auf dem Land lasten nicht nur die Sanktionen der USA und der EU wegen des Ukrainekonflikts. Zusätzlich macht Russland, das vom Verkauf seiner Rohstoffe abhängig ist, der Crash beim Ölpreis zu schaffen. Wegen der Krise verlor der Rubel gegenüber dem Euro und dem US-Dollar massiv an Wert. Putin präsentierte sich als erprobter Krisenmanager und sicherte den Menschen in der Rede in der Staatsduma ungeachtet der Probleme soziale Absicherung zu.

Kremlkritiker warfen Putin vor, die Menschen mit dem in der Verfassung verankerten Versprechen eines Mindestlohns und einer regelmäßigen Rentenanpassung an die Urnen zu locken. Der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin bezweifelte, dass die Abstimmung am 22. April ehrlich ablaufen werde. Putin „vergewaltigt“ die Verfassung, sagte Jaschin in einem Videoclip. Putin kenne seine eigenen Sünden, habe Angst, deshalb verurteilt zu werden - und sich deshalb nun die Macht auf ewig gesichert.

Jaschin kritisierte auch, dass jetzt eine Unantastbarkeit des Präsidenten in der Verfassung festgeschrieben sei. Zudem hätten nun Urteile internationaler Gerichte wie das für Menschenrechte in Straßburg keinen Vorrang mehr. Es zähle nun, was die vom Kreml kontrollierten Richter in Russland entschieden. Kommentatoren beim kremlkritischen Radiosender Echo Moskwy warnten vor einer „Diktatur“ in Russland.

In Berlin kritisierte der Vizechef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann David Wadephul, das Vorgehen. „Diese Stabilität Russlands ist auf Sand gebaut: Sie hängt wirtschaftlich allein vom Rohstoffexport und systemisch von Putins Gesundheit ab“, erklärte er. „Das ist risikoreich.“ Russland riskiere einen Rückfall in das „alte verkrustete Sowjetsystem“.

Russland gebe viel Geld für die Kriege in Syrien, in der Ostukraine und in Libyen aus, das im Land dringender gebraucht werde, meinte Wadephul. Die EU brauche „eine geschlossene Haltung gegenüber Russland“, forderte der Politiker. Aus Kreisen westlicher Diplomaten in Moskau war zu hören, dass eine offizielle Kritik aus der EU an der Verfassungsänderung kaum zu erwarten sei. Das Grundgesetz sei die innere Angelegenheit Russlands, hieß es.

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Erstellt:
11. März 2020, 08:05 Uhr

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